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30. Januar 2018:
„Wir sind immer auf Wanderung“

Nach 17 Jahren an der Ringkirche endet für Pfarrer Sunny Panitz das Berufsleben. Foto: Sascha Kopp

Von Viola Bolduan

VERABSCHIEDUNG Ringkirchenpfarrer Sunny Panitz ist jetzt im Ruhestand
WIESBADEN – Der bauchig-weite Raum der Ringkirche ist bis in die Empore hinauf besetzt, Kantorei und Streicher sind bereit auf ihren Plätzen, als die Prozession beginnt. Sunny Panitz, 17 Jahre Pfarrer hier, wird Sonntagnachmittag im großen Rahmen seiner Gemeinde, seiner Kollegen und Freunde offiziell verabschiedet. Dass der 65-Jährige gern noch eine Weile im Amt geblieben wäre, wissen alle. In den Dankesworten und Würdigungen wird es – wie es christlicher Offenheit gebührt – nicht verschwiegen. Dass dennoch nicht allein Wehmut über diesem Festgottesdienst liegt, bestimmt der abschiednehmende Pfarrer selbst.

„Von der Pflicht eines Knechts“

„Zutrauen schenken und Verantwortung wecken“ – so charakterisiert Propst Oliver Albrecht Sunny Panitz‘ Geistes- und Arbeitshaltung, und Panitz dokumentiert sie mit dem aus dem Lukas-Evangelium gewählten Text „Von der Pflicht eines Knechts“: „Wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren“. Mehr noch, führt er in seiner letzten Predigt aus: Gern habe er seinen Dienst getan, auch wenn er es ebenso „gerne ein Weilchen noch vermieden hätte, zu gehen.“
Der promovierte Theologe dankt für anteilnehmendes Miteinander durch alle Höhen und Tiefen einer Wüstenstrecke, die er aus dem 2. Buch Mose zitiert und darin einen Gott findet, der zwar verborgen bleibt, dennoch die Hand über Mose hält. Die Verse hatte er zur Ordination 1980 mit auf den Weg bekommen und während seiner Laufbahn zwischen 1982 bis 1985 als Wiesbadener Pfarrer der Stephanusgemeinde, von 2000 bis 2017 an der Ringkirche, als Vorsitzender der Evangelischen Gesamtgemeinde dieser Stadt und stellvertretender Dekan nie vergessen.

„Wir sind immer auf der Wanderung“, sagt er, und mithin ist „jedes Weggehen auch ein Weitergehen.“ Und wenn auch der Weg der Suche nach „Freiheit, Gerechtigkeit, Liebe“ nicht endet, der Mensch könne sich aufgehoben fühlen: „Für alles ist Raum bei Gott“. Sunny Panitz spricht von der Politik, als er sich in seiner Abschlusspredigt gegen „populistische Egomanen, Volksverhetzer und Antisemitismus“ wendet. Ob aber auch die „Herzen kälter“ geworden seien? Es brenne doch weiterhin Gottes Liebe zu den Menschen: „Ich sehe sie in jedem Leben.“

„Souveränität“ wird Propst Albrecht diese Haltung nennen und die Urkunde zum Eintritt in den Ruhestand an einen „jungen, frohen und starken“ Sunny Panitz überreichen. Dekan Martin Mencke dankt seinem Stellvertreter für „nachdenkliche Kreativität“ und schenkt ein Abo des Magazins „The New Yorker“, Werner Ott als stellvertretender Vorsitzender der Gesamtgemeinde Wiesbaden dankt seinem scheidenden Vorsitzenden für „liebevollen Einsatz“, und schließlich Elke Flentge als Vorsitzende des Kirchenvorstands der Ringkirche mit herzlicher Umarmung.

Kantorei und Streicher der Ringkirche unter der Leitung von Hans Kielblock begleiten den Gottesdienst musikalisch auf hohem Niveau, Panitz‘ Pfarrer-Kollegen Ralf-Andreas Gmelin und Stefan Reder ergänzen liturgisch, und die Gemeinde singt und stimmt kräftig mit ein. Viele Anwesende bleiben noch lange beim anschließenden Empfang in der Kirche ohne Talare, auf dem Gmelin ein Buch mit Fotos und Grußworten überreicht und Lieder zur Gitarre gesungen werden. Es geschieht unter Sunny Panitz Abschiedssegen in der Ringkirche.
Wiesbadener Kurier

30. Januar 2018:
Über 1000 Jahre Chorerfahrung – Wiesbadener Seniorenkantorei singt in der Ringkirche

Hans Kielblock hat für die Wiesbadener Seniorenkantorei ein anspruchsvolles Programm zusammengestellt. Foto: Anja Baumgart-Pietsch

Von Anja Baumgart-Pietsch

WIESBADEN – „Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unseren Zeiten.“ Als Martin Luther diese Liedzeile schrieb, bat er damit nicht um den himmlischen, sondern um irdischen Frieden. Damals wie heute erschütterten Kriege die Welt. Der Text, von vielen Komponisten vertont, ist heute so aktuell wie vor 500 Jahren. Darum hat Landeskirchenmusikdirektorin Christa Kirschbaum eine aktuelle Friedensbitte daraus gemacht, die den aufführenden Chor zur Improvisation ermuntert.

Melodie erklingt 30-mal – für jedes Kriegsjahr

30-mal, für jedes Jahr des 30-jährigen Kriegs, erklingt die altbekannte Melodie wie eine Litanei. Doch nach einigen Malen lösen sich einige Sänger aus dem Chor, schreiten durch die Kirche, stoßen Klagerufe aus und nennen die Namen der Länder, in denen jetzt Krieg herrscht: Syrien, Afghanistan, Jemen… So wird die Bitte um Frieden „zu unseren Zeiten“ eindringlich ins Jetzt geholt: Teil eines anspruchsvollen und höchst originellen Programms, das Ringkirchen-Kantor Hans Kielblock für das erste Konzert seiner im vergangenen Herbst begründeten „Wiesbadener Seniorenkantorei“ ausgesucht hatte.
In dem Chor singen Menschen über 70 Jahre, die jahrzehntelang in anderen Wiesbadener Ensembles wie Bachchor, Schiersteiner Kantorei, Marktkirchen- oder Bonifatiuschor gesungen hatten und die „inoffizielle Altersgrenze“ erreicht haben. Um ihnen eine Möglichkeit zu geben, weiter auf hohem Niveau musizieren zu können, hat Kielblock mit Unterstützung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) den Chor gegründet. Er mutet seinen Sängern mit insgesamt über 1000 Jahren Chorerfahrung spannende, moderne, keineswegs einfach zu interpretierende Werke zu, wie das Premierenkonzert zeigte: Neben der Friedens-Improvisation standen noch zwei ähnliche Stücke auf dem Programm, eine Improvisation zu „Alla trinita beata“, in der die Sänger sich individuell aus der bekannten Melodie entfernten und wieder harmonisch zusammenfanden. Das zweite Stück hieß „O bone Jesu“ von Marc Antonio Ingegneri in einer Version von Gunnar Eriksson, für das die rund 60 Sänger sich ebenfalls im weiten Raum der Ringkirche verteilten und einen clusterartigen, hypnotischen „Klangrausch“ erzeugten.
Hauptwerk war aber die „Misa Criolla“ des südamerikanischen Komponisten Ariel Ramirez aus dem Jahr 1964. Die Messe folgt der traditionellen Liturgie, bezieht jedoch argentinische Rhythmen wie Carnaval, Chacarera oder Baguala mit ein. Sie wurde hier mit einem südamerikanisch-holländischen Solistenquartett, „Los Criollos“, das sowohl den Sologesang wie auch Flöten, Gitarren und Perkussion lieferte, sehr authentisch und schwungvoll dargebracht. Dass hier erfahrene Sänger am Werke waren, ließ sich deutlich hören: Chor und Dirigent interagierten sensibel und selbstbewusst.
Hans Kielblock hat mit seiner Idee nicht nur dem Publikum in der gut gefüllten Ringkirche, sondern auch den Frauen und Männern im Chor eine große Freude bereitet, wie gut spürbar wurde. Der nächste Auftritt der Seniorenkantorei dürfte ähnlich spannend werden: Im Rahmen der Maifestspiele singt sie im Schlachthof bei der zeitgenössischen Oper „Vom Ende der Unschuld“.
Wiesbadener Kurier

24. Januar 2018:
Der Pfarrer der evangelischen Ringkirche in Wiesbaden und stellvertretende Dekan Sunny Panitz geht in den Ruhestand

Von Anke Hollingshaus

Sunny Panitz in der Ringkirche: Dort war er 17 Jahre lang Pfarrer. Am Sonntag wird er offiziell verabschiedet. Foto: Sascha Kopp

WIESBADEN – Weil er sich im Quiz, das der Kirchenvorstand vorbereitet hatte, gut geschlagen hat, gab es den Hauptpreis: Sunny Panitz hat auf Lebenszeit bei der Ringkirchengemeinde einen Parkplatz gewonnen. Gar nicht unpraktisch in dieser Gegend, denn Anwohner ist Panitz nicht mehr. Seit Kurzem wohnt der Pfarrer in Hahn. Er ist seit 31. Dezember im Ruhestand. Am kommenden Sonntag wird er ganz offiziell verabschiedet.



ZUR PERSON
Sunny Panitz kommt am 27. Juni 1952 in Frankfurt zur Welt. Von 1971 an studiert er Evangelische Theologie in Bethel, Tübingen und Bossey (Schweiz). Vikariat in Budenheim, Oberursel und Herborn, 1980 Ordination zum Pfarrer, 1982 bis 1985 Pfarrer in der Stephanusgemeinde am Elsässer Platz (die inzwischen zur Ringkirchengemeinde gehört). 1986 bis 1990 Praxisanleiter für Theologiestudenten in Mainz, 1993 bis 1997 Pfarrer im Auslandsdienst der EKD in Toronto. November 1995: Promotion. Oktober 2000 bis Dezember 2017, Pfarrer in der Ringkirchengemeinde. 2001 bis 2017: stellvertretender Dekan im evangelischen Dekanat Wiesbaden.

Es ging dann doch schnell.

Die Gemeinde selbst, darunter auch der Seniorenkreis, den er 15 Jahre lang geleitet hat, hat am vergangenen Wochenende schon Tschüss gesagt. „Das ging schon ganz schön zu Herzen“, sagt Sunny Panitz, der im Juni 66 Jahre alt wird, mehr als 17 Jahre lang Pfarrer in der Ringkirche war und fast ebenso lange stellvertretender Dekan im evangelischen Dekanat Wiesbaden. Er hätte gerne noch weitergemacht, das gibt er unumwunden zu. Die Kirche hat die Entscheidung anders getroffen. Panitz kommt damit klar, auch wenn es für ihn nach zuerst längerer Unklarheit „dann doch schnell ging mit dem Abschied“.

Sunny Panitz ist ein Kind des Rhein-Main-Gebiets. Am 27. Juni 1952 kommt er in Frankfurt zur Welt, bis 1963 lebt er in Bockenheim, anschließend in Lorsbach, das seit 1972 zu Hofheim gehört. „Ich bin sehr behütet aufgewachsen.“ Als seine Eltern erlebt er seine Mutter und ihren Mann, der aus Ostpreußen kam. „Aber irgendwas an dieser ostpreußischen Herkunft konnte bei mir nicht stimmen“, sagt er und lacht. Sein leiblicher Vater ist ein schwarzer US-Soldat. Im Alter von 36 Jahren erst hat Sunny Panitz ihn in den USA kennengelernt. Ein Jahr später starb er. Zu seiner amerikanischen Familie hat der 65-Jährige aber bis heute Kontakt.

1980 ist er nach Wiesbaden gekommen, damals an die Stephanusgemeinde, die seit drei Jahren mit der Ringkirchengemeinde zusammengehört, insofern schließt sich jetzt auch ein Kreis. Predigen, sagt der Mann mit der gewaltigen Stimme, sei für ihn immer besonders wichtig gewesen. Aber nicht nur das. Auch die vielen persönlichen Gespräche „in diesem unglaublich interessanten Viertel“ haben ihm viel gegeben. Wer sucht heute das Gespräch mit dem Pfarrer? Es seien schon meist ältere Leute, sagt Panitz, aber zu besonderen Anlässen eben auch Jüngere. „Ein Taufgespräch geht tief. Auch wenn die meisten Leute nach der Taufe nicht mehr wiederkommen. Es wirkt mehr, als wir oft denken.“

Vier Jahre in Toronto verbracht

Der Vater zweier erwachsener Söhne sieht sich als politischen Pfarrer. 1968 war er 16 Jahre alt. „Wir wollten ja die Welt verändern. Es ist uns nicht gelungen. Das ist manchmal auch beschämend.“ Vier Jahre haben Sunny Panitz, seine vor zehn Jahren nach längerer Erkrankung verstorbene Frau Inge Schäfer-Panitz und die beiden Söhne in Toronto in Kanada gelebt. Inge Schäfer-Panitz war Klinik-Seelsorgerin und sehr in der Hospizarbeit engagiert. Zurückgekehrt seien sie aus Kanada vor allem wegen der Frage, „ob unsere Kinder als Nordamerikaner oder Europäer aufwachsen sollen.“ Europa hat gewonnen. Viele Errungenschaften, dazu zählt Panitz die Kirchenmusik, könnten zum Beispiel in Kanada lange nicht so selbstverständlich erlebt werden wie hier.

Sein Klassenlehrer, den er im vergangenen Dezember hochbetagt beerdigt hat, und der Pfarrer, bei dem er zur Konfirmation gegangen ist, haben ihn geprägt, auch der Kirche nahegebracht. „Das war Beheimatung“, nennt es Sunny Panitz, der in seiner Schule in Hofheim in den 60er Jahren der einzig Dunkelhäutige war, der auch Diskriminierung erfahren hat. Aber, darauf legt er großen Wert, „viel mehr Akzeptanz erlebt hat“. „Ich wollte nicht in Frankreich, nicht in England und auch nicht in Nordamerika leben“, meint er.

Auch bei seiner Arbeit zum Beispiel mit den älteren Frauen aus der Gemeinde habe es oft eine Rolle gespielt, „Ängste vor dem Fremden zu nehmen“. Das Fremde können anders aussehende Menschen sein, Flüchtlinge, aber auch Homosexuelle. „Wer seine Gefühle, seine Ängste nicht benennt, nicht darüber spricht, der kann nicht dagegen angehen.“ Oft habe er mit den Seniorinnen über solche Themen geredet. „Und dabei ist viel in Gang gekommen. Manche sind selbst als Flüchtlinge in Wiesbaden angekommen.“

Neben der Arbeit in der Ringkirchengemeinde ist Sunny Panitz auch die Gesamtgemeinde wichtig. Gerade die vier Innenstadtkirchen Markt-, Luther, Berg- und Ringkirche mit ihrem jeweils eigenen Profil gefallen ihm. Und zur Ringkirche passe die von seinem Kollegen Ralf Gmelin gern gebrauchte Bezeichnung „Der Dom der kleinen Leute.“

Diesem „Dom“ wird er selbstverständlich verbunden bleiben. Langweilig wird Sunny Panitz und seiner zweiten Frau Ulrike, Pädagogin, die 15 Jahre lang in Mexiko gelebt hat und durch die er jetzt schon sechs Enkelkinder hat, bestimmt nicht. Beide sind seit 2014 verheiratet. Nächstes größeres Vorhaben: „Ich muss einen Holzschuppen bauen.“ Und weil er handwerklich nicht sonderlich begabt sei, sagt Panitz, werde das bestimmt eine spannende Aufgabe.
Wiesbadener Kurier


20. Januar 2018:
Fritz Philippi – der Pfarrer aus dem Tintenviertel

RINGKIRCHE Pfarrer Ralf-Andreas Gmelin hat ein Buch über seinen frühen Vorgänger Fritz Philippi verfasst

_Fritz Philippi war Pfarrer und Schriftsteller. _

Von Anja Baumgart-Pietsch

WIESBADEN – 2001 wurde Ralf-Andreas Gmelin Pfarrer an der Wiesbadener Ringkirche. Er fand dort eine „ungeheure Regalwand vor, in der ungeordnet und kaum beachtet die papierenen Schätze der über 100-jährigen Geschichte der Gemeinde lagerten“.

Gmelins Dienstwohnung war noch nicht renoviert, er schlug sein Quartier hier auf und schaute sich den Inhalt der Regale näher an. Dabei stieß er auf den Namen Fritz Philippi. Das war einer seiner Vorgänger im Pfarramt der Ringkirche von 1910 bis 1933, der aber auch als Literat hervorgetreten war. Es reizte den neuen Pfarrer, tiefer in die Gedankenwelt Philippis einzutauchen. „Ich hatte ihn mir gedacht wie einen netten Kollegen, der vielleicht ein paar Jahrzehnte älter ist“, berichtet er. Dann kam das Projekt der „Stadtteilhistoriker”. Und dies nahm Gmelin zum Anlass, Philippis Leben und Werk ausführlicher zu erforschen, um „ihn wieder in seiner Heimatstadt ankommen zu lassen, wo er fast völlig vergessen ist“.

Gmelin kam zu überraschenden Erkenntnissen, die er in zwei jetzt vorliegenden Büchern zusammengefasst hat. Das erste Buch, „Gott, Natur und Tintenfinger“, beschreibt Biografie und literarisches Werk Philippis und ordnet es in zeithistorische Zusammenhänge ein. Das zweite Buch, „Kirche und Kultur wohnen nun einmal beieinander im Erdenhaus“, ist ein reiner Quellenband.

Philippi, geboren 1869 in Wiesbaden, wächst noch in einer vorindustriellen Kultur auf und muss in seiner Lebenszeit gewaltige Veränderungen aushalten. Sein Vater hatte eine Schlosserei in der Hellmundstraße: Dort lebten zwar Handwerker, aber auch, wie Philippi beschreibt, „in den besseren Stockwerken die Schreiberzunft, oder was sonst Tintenfinger hatte. Daher der Name Tintenviertel … Es waren auskömmlich gemütliche Zeiten.“

Das sollte aber bald der Vergangenheit angehören: „Dann kam über unsere Stadt das Baufieber… So entstand das Generalsviertel … Papier und Tinte erhob sich und wanderte aus. In die verlassenen Quartiere schob sich geringes Volk nach und trug Staub und Werktagsgeruch in den Kleidern.“

Auf nationalistische Wege fehlgeleitet

Doch Fritz Philippi ist nicht in erster Linie Chronist Wiesbadens, obwohl einige seiner historischen Schilderungen im Tagblatt abgedruckt wurden. Er war auch ein politischer Denker, der auf nationalistische Wege fehlgeleitet wurde. „Das Eine ist, dass er den materialistisch-marxistischen Weg ablehnt, das Andere ist, dass sich auf der Gegenseite die völkische Opposition formiert, die Internationalismus bekämpft, aber dadurch in einen Hypernationalismus gerät, der im Zusammenwirken mit dem Geist des Militarismus letztlich zu den Verwerfungen der beiden Weltkriege führt“, ordnet Ralf-Andreas Gmelin Philippis Haltung ein. Doch er sieht es differenziert, macht sich ein Urteil über Philippi nicht leicht. „Das Ringen um Antworten ist bei ihm durchaus vorbildlich, doch sein Kriegsschicksal warnt vor einer Rückkehr der völkischen Ideologie. Philippi ist mit einem blinden Fanatismus in den Krieg gezogen.“ In Predigten kommt indes deutlich zum Ausdruck, dass nach dem Ersten Weltkrieg, in dem er an der Westfront als Feldgeistlicher eingesetzt war, alles anders ist. Später hat er gezählt, dass er bei der Beisetzung von rund 50 000 meist jungen Männern beteiligt war. Wenn dieser grauenvolle Blutzoll nicht völlig sinnlos sein soll, dann kann dieser Sinn, so Gmelin, für Philippi nur darin liegen, dass der Krieg die ganze Welt zurück zur göttlichen Ordnung führen muss.

„Da Philippi 1933 gestorben ist, ist er über jeden Zweifel erhaben, selbst zum Nazi-Täter geworden zu sein, aber seine völkische Theologie hat einen kräftigen Zug in die deutschchristliche Tendenz.“

Gmelin untersucht die Schriften aber auch unter literarischem Aspekt. Besondere Bedeutung hat das Thema Tod. Der Soldat, der willig sein Leben gibt, um mit seinem Einsatz für das Vaterland zu wirken, relativiert bereits den Wert des Lebens. „Hier verlässt das Thema die historische Dimension in einem Zeitalter, in dem neuvölkische Ideologien wieder erstarken. Im nationalen Egoismus liegt bereits der Keim für die Menschenverachtung, mit der der gegnerische Mensch zum Objekt reduziert wird. Ich wünschte, wir könnten aus dem Schritt Philippis lernen, den er etwa 1925 getan hat und der ihn andere Motive entdecken ließ als die Liebe zum Vaterland“, so Gmelin, der Philippi als jemanden beschreibt, „der aus Liebe zum Menschen Theologe wurde, dann gläubiger Anhänger der deutschen Nation und der nach einem begeistert begrüßten Krieg sein Leben, Denken und Schreiben neu ordnen musste.“

Wiesbadener Kurier