Am 9. Sonntag nach Trinitatis, am 8.
August 2007, predigt Pfarrer Ralf-Andreas Gmelin über die
Geschichte der anvertrauten Zentner, wie sie das
Matthäusevangelium erzählt. (Matthäus 13, 44ff)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn
Jesus Christus.
Im Matthäusevangelium steht die heutige Geschichte von den
anvertrauten Zentnern. Jesus fordert mit dieser Geschichte, dass wir
unseren Glauben nicht einschließen dürfen. Denn dort im
Gefängnis verblasst er und geht verloren. Er fordert von uns, dass
wir ihn in die Welt tragen, dass wir ihn riskieren und dass wir mit ihm
spekulieren: Dann verspricht er großen Lohn.
Es heißt im Matthäusevangelium:
„Denn es ist wie mit einem Menschen,
der außer Landes ging:
er rief seine Knechte
und vertraute ihnen sein Vermögen an;
dem einen gab er fünf Zentner Silber,
dem andern zwei, dem dritten einen,
jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort.
Sogleich ging der hin,
der fünf Zentner empfangen hatte,
und handelte mit ihnen und gewann weitere fünf dazu.
Ebenso gewann der, der zwei Zentner empfangen hatte, zwei weitere dazu.
Der aber einen empfangen hatte,
ging hin, grub ein Loch in die Erde und verbarg das Geld seines Herrn.
Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft
von ihnen.
Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte weitere
fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf Zentner
anvertraut;
siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner gewonnen.
Da sprach sein Herr zu ihm:
Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht,
du bist über wenigem treu gewesen,
ich will dich über viel setzen;
geh hinein zu deines Herrn Freude!
Da trat auch herzu,
der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du hast mir zwei
Zentner anvertraut;
siehe da, ich habe damit zwei weitere gewonnen.
Sein Herr sprach zu ihm:
Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht,
du bist über wenigem treu gewesen,
ich will dich über viel setzen;
geh hinein zu deines Herrn Freude!
Da trat auch herzu,
der einen Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, ich wusste, dass
du ein harter Mann bist: du erntest, wo du nicht gesät hast,
und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast;
und ich fürchtete mich, ging hin und verbarg deinen Zentner in der
Erde.
Siehe, da hast du das Deine.
Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm:
Du böser und fauler Knecht!
Wusstest du, dass ich ernte,
wo ich nicht gesät habe,
und einsammle, wo ich nicht ausgestreut habe?
Dann hättest du mein Geld zu den Wechslern bringen sollen, und
wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine wiederbekommen
mit Zinsen.
Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat.
Denn wer da hat, dem wird gegeben werden,
und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch,
was er hat, genommen werden.
Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da wird
sein Heulen und Zähneklappern.“
HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
das sieht ja verdächtig danach aus, dass im Himmel genau der
gleiche Kapitalismus herrscht wie bei uns auf Erden. Nur ist der
Kapitalismus erst 1800 Jahre später erfunden worden. Ihn kann
Jesus bei seinem Bild nicht gemeint haben.
Und dennoch: Das Himmelreich in diesem Gleichnis ist ein Himmelreich
mit Falltür: Wer seine Bedingungen nicht erfüllt, fällt
heraus. Das ganze lange Gleichnis ist eine Mahnung gegen ein
Missverständnis: Wer das Himmelreich, wer seinen Glauben daran als
ein Schmuckstück betrachtet, das ich in ein Schatzkästchen
stecken, das ich in meiner Eitelkeit verbergen oder in meiner
Einbildung verschließen kann, der wird’s verlieren!
Wer die Botschaft der Bibel zu einem niedlichen kleinen Edelsteinchen
macht, das er in seine Sammlung in seinen Setzkasten legen kann, der
leistet Götzendienst.
Wer das Himmelreich für eine Laune menschlicher Geschichte
hält, der kann sich nicht auf die Bibel berufen.
Jesus war seinerzeit jüdischer Rabbiner. Sein heute in London
lebender Kollege, Jonathan Mahagonet, hat einmal gesagt: „Der Text der
Bibel ist auf der Überzeugung aufgebaut, dass die Welt nach einem
göttlichen Plan gelenkt wird und funktioniert, einem Plan, von dem
die Menschen durch die göttliche Offenbarung so etwas wie eine
Ahnung erlangen können. - Die Distanz zwischen göttlicher
Realität und menschlicher Wahrnehmung findet in der
Hebräischen Bibel auf vielfältige Weise Ausdruck. … Durch
ihren Standpunkt untergräbt die Bibel die Machtstrukturen,
Geschlechterrollendefinitionen oder religiösen Vorannahmen ihrer
Zeit.“
Das Schreckliche an der christlichen Geschichte ist, dass Christen
immer wieder versucht haben, die Bibel zu einer zeitbedingten Ideologie
herabzuwürdigen. Wenn Menschen das Ergebnis ihrer Wahrnehmungen in
die Bibel hineintragen, anstatt dass sie nach Spuren göttlicher
Offenbarung in der Bibel suchen, dann verwechseln sie Himmel und Erde
oder machen aus beiden einen fundamentalistischen Sumpf, in dem Hass
und Unterdrückung wunderbar gedeihen.
Die jüngste Pflanze, die in diesem Sumpf gewachsen ist, ist die
auch von unserer Landeskirche mitfinanzierte „Bibel in gerechter
Sprache“. Ich gestehe, dass mich bei meinen ersten Begegnungen nur die
Hässlichkeit der Sprache so abgeschreckt hat, dass ich mich einer
weiteren Lektüre verschlossen habe. Aber in einer eingehenden
Untersuchung hat der frühere Lehrer für dogmatische Theologie
in Erlangen, Reinhard Slenczka, gerade in dieser Frage ein
vernichtendes Urteil gefällt: „Die Bibel in gerechter Sprache muss
man nicht als Übersetzung, sondern als ideologische
Textveränderung bezeichnen.“ Slenczka geht sogar so weit, diesen
Versuch, aktuelle politische Korrektheit in die Bibel
hineinzuschreiben, direkt mit den Bemühungen der „Deutschen
Christen“ in der Nazizeit zu vergleichen, die er mit einer Forderung
des Jahres 1933 zitiert: „Wir erwarten, dass unsere Landeskirche als
eine deutsche Volkskirche sich frei macht von allem Undeutschen in
Gottesdienst und Bekenntnis insbesondere vom Alten Testament und seiner
jüdischen Lohnmoral.“
Es wäre lächerlich, die Ziele der Verantwortlichen für
die „Bibel in gerechter Sprache“ mit denen der „Deutschen Christen“
gleichzusetzen, aber Slenzcka setzt seinem Artikel das Kriterium voran,
worin sich diese beiden Ideologien verschwistert sind, so sehr sie sich
inhaltlich auch unterscheiden mögen. Es ist ein Zitat des Gregor
von Nyssa, einem bedeutenden Kirchenlehrer des 4. Jahrhunderts:
„Das göttliche Wort verbietet von vornherein, Gott mit dem
gleichzusetzen, was Menschen in ihrer Erfahrung erkennen. Jeder Versuch
der Vernunft, das Wesen Gottes mit dem natürlichen
Vorstellungsvermögen zu erfassen, macht aus Gott einen
Götzen, jedoch verkündigt ihn nicht.“
Dass diese neue – und im Buchhandel rege nachgefragte
Bibelübetragung genau dies tut, das weist Slenczka anhand der
trinitarischen Gottesvorstellung nach, die durch diese neue Bibel
zerstört würde: Indem sie das feministische Anliegen
erfülle, weibliche Gottesbezeichnungen einzutragen, wird die
menschliche Erfahrungswelt in die Sphäre Gottes gehoben. Damit
treten die Verantwortlichen für diese Bibelübertragung heraus
aus der großen Übereinstimmung mit der alten Kirche und der
gesamten rechtgläubigen Christenheit. Die in der weltumspannenden
Kirche geltende Vorstellung von Gott als dreieinigem „Vater, Sohn und
Heiligem Geist“ ist mit den feministischen Anliegen nicht kompatibel.
Damit wird nach Slenczka der Glaube und die Kirche zerstört.
Es kommt uns hier nicht auf die Einzelheiten einer Kritik an der „Bibel
in gerechter Sprache“ an. Für uns ist wichtig, dass Menschen immer
wieder versucht sind, zwischen Gottes Himmel und menschlicher Erde
nicht hinreichend zu unterscheiden.
Für den, der in einer Bibel liest, sollte klar sein: Suche ich auf
ihren Seiten, die Übereinstimmung des biblischen Textes mit meinen
Lieblingsideen? Oder suche ich danach, was Gott mir zu sagen hat, auch
wenn es mich verstört, verletzt oder zurückweist? Wenn ich
bereit bin, mich von Gott erschüttern zu lassen, dann weiß
ich dass mich der Himmel Gottes berührt – und dass ich nicht der
Sumpfblüte meiner eigenen Erkenntnisse erlegen bin.
Möchte ich, dass Gott Erfüllungsgehilfe meiner Wünsche
ist – oder frage ich Gott: Was willst Du, das ich tun soll?
Ich wünsche uns allen und vor allem auch unseren beiden
Täuflingen Christian und Jennifer, dass der Himmel Gottes in
unserem Leben Spuren hinterlässt.
Gott, öffne uns für die Erschütterungen,
die unsere vertrauten Bilder von der Welt mit DEINEM Himmel
konfrontieren,
denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft,
bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.