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Am
Sonntag Septuagesimae, mit dem der Osterfestkreis im Kirchenjahr
beginnt, fragt die Predigt von Ralf-Andreas Gmelin nach
Liberalität und Heiligkeit nach der Vorgabe des Jeremiabuches
(9,22-23):
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn
Jesus Christus.
Im Alten Testament finden wir die Geschichte aus dem Jeremiabuch, das jede menschliche
Eitelkeit unterhöhlt: (9,22-23)
So
spricht der HERR:
Ein Weiser rühme sich nicht
seiner Weisheit,
ein Starker rühme sich nicht
seiner Stärke,
ein Reicher rühme sich nicht
seines Reichtums.
Sondern wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen,
daß er klug sei und mich kenne,
daß ich der HERR bin,
der Barmherzigkeit,
Recht und Gerechtigkeit übt auf
Erden;
denn solches gefällt mir,
spricht der HERR.
DU, tu meine Lippen auf, dass mein Mund
Deinen Ruhm verkündige.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
am Abend, als Jürgen Fliege in der
Ringkirche predigte, saß ich im Rheingau und las ein Buch,
während zwei ältere Ehepaare am Nebentisch des Alten Oetinger
miteinander ins Gespräch gekommen waren. Ich hörte von einem
der Herren die Meinung, dass der Karikaturenstreit kein Wunder sei,
denn uns im Westen sei eben nichts heilig. Als Beispiel führte er
dann an, dass Jürgen Fliege
heute abend in der Ringkirche predige. Nun, dieses Beispiel halte ich
zwar für dramatisch übertrieben, aber genau um diese Frage
geht es: Was ist uns in unserer Liberalität heilig?
Das Jeremiabuch nennt Beispiele:
Meine Weisheit ist mir heilig.
Der soll was erleben, der mich einen Dummkopf schimpft.
Meine Stärke ist mir heilig.
Wer zu mir „Schwächling“ sagt, kann danach seine Knochen
zählen. - Wenigstens symbolisch.
Mein Reichtum ist mir heilig.
Ob ich zwanzig Euro in meinem Portemonnaie verliere, zweihundert bei
einer Wette oder zweitausend bei Aktienspekulationen, viele von uns
kennen dieses Gefühl, dass das liebe Geld uns den Boden unter den
Füssen wegziehen kann.
Unser Problem ist nicht, dass nicht jedem einzelnen von uns etwas
heilig wäre, sondern dass wir nichts gemeinsam haben, was uns Schranken
setzt, von dem wir allesamt ganz selbstverständlich die Finger
lassen. Bei dem Satz, dass uns nichts heilig ist, muss die Betonung
liegen auf dem „uns“! Mir ist
allerhand heilig. Aber ich werde von dem Wir rühmen uns nicht
Gottes, sondern unserer Eigenheiten. Die Geschichte Europas ist eine
Geschichte, des Kampfes für eine sich nur zögerlich
durchsetzende Liberalität:
Im alten Deutschland bis zur Reichsgründung herrschte ein
kleinlicher, kontrollierender Mief in den winzigen Kleinstaaten, der zu
Heinrich Hoffmann von Fallerslebens
Wort führte:
„Der größte Lump im ganzen
Land,
ist und bleibt der Denunziant.“
Weit weniger bekannt als dieses kurze Bekenntnis zur Liberalität
sind seine Verse, die ich Ihnen nicht vorenthalten will – aus dem „Lied
von der Freiheit“:
„Es lebe, was auf Erden
Nach Freiheit strebt und wirbt,
Von Freiheit singt und saget,
Für Freiheit lebt und stirbt.
Es kann, was lebt und webet,
In Freiheit nur gedeihn.
Das Ebenbild des Schöpfers
Kann nur der Freie sein.
Frei will ich sein und singen,
So wie der Vogel lebt,
Der auf Palast und Kerker
Sein Frühlingslied erhebt.
Fluch sing ich allen Zwingherrn,
Fluch aller Dienstbarkeit!
Die Freiheit ist mein Leben
Und bleibt es alle Zeit.
Für solche glühenden Bekenntnisse flog Heinrich Hoffmann von Fallersleben
aus seinem Beruf heraus und musste sich sein Brot mit Schriftstellerei
verdienen. Schon in diesen frühen Tagen des angehenden 19.
Jahrhunderts musste für die Liberalität - gelitten
werden. Und für manche Unglücklicheren bedeutete ihre
Freiheitliebe Tod oder Exil.
Und heute haben wir in Europa die Pressefreiheit, für die Fallersleben noch vergeblich
gekämpft und gesungen hatte.
Auf der anderen Seite der Freiheit standen sehr oft Männer der
Kirche. Sie sangen andere Lieder, die wir zum Teil heute noch singen.
Sie sagten, dass die Welt – so wie sie damals war – von Gott so gedacht
sei. Und wenn Gott es will, dass Unfreiheit herrscht, dann ist die
Unfreiheit eben heilig. Basta. Das Heilige und die Freiheit
vertrugen sich selten.
Heute wiegeln ausländische Mächte ihre Völker auf, um in
unserem Europa die Pressefreiheit zu unterdrücken. Angeblich im
Namen dessen, was sie für heilig halten. Und wer den Kampf der
Europäer um die Pressefreiheit kennt, der muss die Frage stellen:
Wieso dürfen Völker, die von ihren Diktatoren wie Sklaven
gehalten werden, mit Demonstrationen und Brandschatzungen unsere
europäische Pressefreiheit – eine von unseren Völkern
erkämpfte Freiheit - unterminieren?
Das ist eine Frage – und es ist eine ernste und wichtige – aber es ist
nur ein Aspekt, wenn wir von den Karikaturen sprechen, die im September
des vergangenen Jahres in einer dänischen Provinzzeitung
veröffentlicht wurden.
Die andere Frage heißt:
Hat die Freiheit des Westens eine Grundlage gelassen, die nicht
angegriffen werden darf? Ist der Freiheit, ist der
Liberalität des Westens etwas „heilig“?
Ein Vorfall geht nicht aus meinem Gedächtnis:
Eine Fernsehsendung hatte Jesus Christus in einer widerlichen Weise
verunglimpft. Und es war offenbar allen egal: Kein
Kirchenpräsident, kein Bischof fühlte sich berufen, ein
deutliches Wort zu sprechen, die Pressesprecher der Kirchen hielten es
für unter ihrer Würde. Bei der Sendeanstalt hat sich nur ein
muslimischer Verband beschwert. Sie wünschten nicht, dass ihr
Prophet Isai in dieser Weise herabgewürdigt würde. Ich habe
mich damals geschämt, dass Muslime Jesus verteidigen, während
Christen sich hinter einer fragwürdigen Liberalität
verschanzen, der offenbar wirklich nichts heilig ist.
Der Glaube hat ein eigenes Recht. Ein liebenswürdiger Umgang mit
Menschen anderen Glaubens verlangt durchaus, dass wir auch deren
Empfindlichkeiten ernst nehmen. Oder positiver und konkreter: Wer einen
Menschen liebevoll behandeln will, der muss akzeptieren, dass ihm etwas
heilig ist. Das gilt für Ehepartner genauso wie für
Angehörige einer anderen Kultur. Liberal ist dann, wer es
erträgt, dass verschiedenen Menschen Verschiedenes heilig ist. Es
verträgt sich mit Liberalität durchaus, dass ich heilige
Gefühle achte, selbst wenn ich sie nicht teile und sogar für
falsch halte.
Aber was heißt es für uns, dass jetzt viele Muslime der Welt
in ungezügelten Hass verfallen? Dass es mittlerweile wegen
einiger liebloser Bildchen und der eingangs benannten
Fälschungen etliche Tote gegeben hat? Dass die Sachschäden
sich kaum beziffern lassen – von dem politischen Schaden einmal ganz
abgesehen? Wir können
von den Muslimen ganz offensichtlich keine Liberalität fordern. Zu
dieser Liberalität gehört wenigstens, dass die freigesprochen werden, die mit
der Verunglimpfung des Propheten nichts zu tun haben. Aber Muslime
fordern von uns Liberalität, Toleranz und ihre Heiligtümer
mit Respekt zu behandeln. In ihren Ländern
herrscht in der Regel nichts von alledem für Angehörige
unserer christlichen Religion.
Die gegenwärtigen Szenarien geben keine gute Prognose für ein
friedvolles Miteinander von westlicher Liberalität und Islam. Die
Demonstrationen in diesen Tagen zeigen zugleich, dass ein von
gegenseitigem Respekt getragener Dialog fast unmöglich scheint.
Von politisch Verantwortlichen in muslimischen Staaten ist dies
offenbar so gewünscht.
Die Opfer der kollektiven Wutausbrüche haben auch mit einem Thema
zu tun, wie wir Menschen einem uralten Trieb begegnen sollen.
Papst Benedikt XVI hat seine erste Enzyklika diesem Thema gewidmet, der
Liebe: „In einer Welt, in der
mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass
und Gewalt verbunden wird, ist die“ Botschaft der Liebe“ von
hoher Aktualität und von ganz praktischer Bedeutung.“ (mit Bezug
auf Joh. 3,16).
Der ebenfalls sehr katholische Literaturwissenschaftler und
Kulturanthropologe René Girard,
der an der amerikanischen Stanford-Universität lehrt und im Mai
einen Preis der Evangelisch theologischen Fakultät der
Universität Tübingen empfangen wird, hat vor über 30
Jahren ein Buch über „Das Heilige und die Gewalt“ vorgelegt. In
einem Zeitungsinterview nimmt er zu einem Wort des Papstes Stellung,
dass sich hinter unserer Liberalität eine „Diktatur des
Relativismus“ verbirgt. Girard antwortet auf die Frage, ob der Papst
mit seiner Meinung recht habe, dass es im Westen eine Diktatur gegen
das Heilige gebe:
„Ja, er hat recht. Seine Formulierung - die „Diktatur des Relativismus“
- ist hervorragend. … Die heute so offensichtliche Vorherrschaft des
Relativismus hat ihre Ursachen zum Teil in den Erfordernissen unserer
Zeit.“ Die pluralistische Gesellschaft zwingt zu einem relativen Umgang
mit allem, lässt nicht Heiliges zu und macht alles gleich
gültig – und damit gleichgültig. …
Was Girard als Wissenschaftler vom Menschen bewegt, ist die Auffassung,
dass „der christliche Glaube höherstehend ist“ und nicht
bloß eine Mythologie. Er sagt – wohlgemerkt unabhängig vom
tobenden Karikaturenstreit: „In der Mythologie mobilisiert ein
wütender Mob gegen
Sündenböcke, die man für irgendeine große Krise
verantwortlich macht. Die Opferung des schuldigen Sündenbocks
durch kollektive Gewalt beendet die Krise und begründet eine neue
Ordnung, eingesetzt von Gott selbst.“
Er vergleicht unser christliches Evangelium mit den
Sündenböcken der Mythologie. Ähnlich ist beiden, dass
eine Krise durch ein einzelnes Opfer, das alle befürworten,
gelöst wird. Jesus Christus stirbt - und alle sind dafür. Und
so wird die Gemeinschaft versöhnt. „Das Opfer löscht den
Hunger nach Gewalt. Allerdings ist im christlichen Glauben das Opfer
unschuldig - die Verfolger sind schuldig. Die kollektive Gewalt
gegenüber einem Sündenbock als heiliger Gründungsakt
wird als Lüge entlarvt. Christus erlöst die Verfolger, indem
er sein Leiden erträgt und Gott anfleht: "Vergib ihnen, denn sie
wissen nicht, was sie tun." Jesus will nicht Strafe und Gegengewalt,
sondern er „hält noch die andere Wange hin. Der Sieg des Kreuzes
symbolisiert den Sieg der Liebe über den Sündenbock-Kreislauf
der Gewalt. Er entkräftet die Auffassung, dass Hass eine heilige
Pflicht ist.“
Mit einem Wort: Das Evangelium wäre genau die Botschaft, die den
gewalttätigen Aufständen gut täte. „Diese Entlarvung
kollektiver Gewalt als Lüge ist das Kennzeichen des auf dem
jüdischen Glauben aufsetzenden Christentums. Das ist es, was es
einzigartig macht. Und diese Einzigartigkeit ist wahrhaftig.“
Aber wir rühmen uns nicht Gottes. Wir schämen uns seiner und
seiner Symbole. Das Kreuz tut uns nicht leid, wenn es in den Schmutz
gezogen wird. Und darum müssen wir mit Angst darauf schauen, dass
der Islam das Heilige mit Mitteln verteidigt, die uns als Christen als
unheilig und unmenschlich vorkommen.
„Sondern wer sich rühmen will,
der rühme sich dessen,
daß er klug sei und mich kenne,
daß ich der HERR bin,
der Barmherzigkeit,
Recht und Gerechtigkeit übt auf
Erden;
denn solches gefällt mir,
spricht der HERR.“
Mit einem größeren religiösen Selbstbewusstsein, mit
größerer Liebe zu Gott, mit - und auch das steckt in dem
Wort „Rühmen“ – mit größerem Stolz des Glaubens,
wären wir auch selbstbewusster im Umgang mit Menschen, die unserer
Liebe bedürfen, aber deren Einmischung in unsere Geschichte und
Kultur wir streng zurückweisen müssen. Weil wir aber uns
nicht unseres Gottes rühmen, wird uns eine selbstbewusste
Partnerschaft von Muslimen und westlich geprägten Menschen vor
allem in Europa schwer fallen.
Das ist keine frohe Botschaft, auch wenn wir dankbar zur Kenntnis
nehmen, dass der „Bund Deutscher Karneval“ bekundet:
„Man sollte nicht etwas verspotten, was anderen heilig ist“. Leider
scheint daraus mehr die Angst zu sprechen als der Respekt vor
Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit Gottes. Und darum wird uns auch
diese Enthaltsamkeit nicht weiter bringen.
Gott schenke Du uns, dass wir uns DEINER
rühmen, und lass uns den Weg zwischen Liberalität und Achtung
vor dem Heiligen finden, denn dein Friede, welcher höher ist
denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu,
Amen.