Am Ersten Sonntag nach dem
Epiphaniasfest geht die Predigt von Ralf-Andreas Gmelin von einer
Briefstelle aus, die Paulus an die Gemeinde in Korinth richtet (1. Kor.
1,26-31):
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn
Jesus Christus.
Lasst uns hören auf die Worte der Heiligen Schrift, wie wir sie
aufgezeichnet finden 1. Korintherbrief (1,26-31):
„Seht doch, liebe Brüder, auf
eure Berufung.
Nicht viele Weise nach dem Fleisch,
nicht viele Mächtige,
nicht viele Angesehene sind berufen.
Sondern was töricht ist vor der
Welt,
das hat Gott erwählt,
damit er die Weisen zuschanden mache;
und was schwach ist vor der Welt,
das hat Gott erwählt,
damit er zuschanden mache, was stark
ist;
und das Geringe vor der Welt und das
Verachtete hat Gott erwählt,
das, was nichts ist,
damit er zunichte mache, was etwas
ist,
damit sich kein Mensch vor Gott
rühme.
Durch ihn aber seid ihr in Christus
Jesus,
der uns von Gott gemacht ist zur
Weisheit
und zur Gerechtigkeit
und zur Heiligung und zur
Erlösung,
damit, wie geschrieben steht (Jeremia
9,22-23):
»Wer sich rühmt, der
rühme sich des Herrn!«
HERR, Dein Wort sei meines Fußes Leuchte und ein Licht auf
meinem Wege.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
zu den dümmsten aufgeklärten Worten, die ich je gehört
habe, stammt die arrogante Beurteilung eines mittlerweile wieder aus
der Mode geratenen Modephilosophen, das reformatorische Thema Schuld sei nun einmal heute
nicht mehr so wichtig wie zur Lutherzeit.
In der Tat: Luther fragte: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?
Und er fragte, weil er sich seiner Schuld bewusst war.
Wie war das damals 1505 als Jurastudent in Erfurt, als ein Freund
tödlich verunglückte? Man hatte getrunken, man machte Unsinn
vor dem offenen Fenster. Und dann lag einer unten. Tot. Und ich denke
nicht, dass Martin Luther ihn zum Fenster hinausgestoßen hat.
Aber ich bin sicher, dass er sich ein Leben lang gefragt hat:
Hätte ich diesen Tod nicht verhindern können? Und ich bin
sicher, dass er gespürt hat, dass Gott ihn fragt: Wo ist Dein
Bruder? Hättest Du nicht sein Hüter sein können?
Daraus ist die Geschichte erwachsen, die wir alle kennen: Luther fragt
ein Leben lang: Wie kann ich, wie können wir als Menschen vor Gott
bestehen, obwohl wir nicht tun, was ER will? Wohin führt mich
Gott, wenn er mir so meine Grenzen zeigt?
Und heute, wo wir nicht nur in der Silvesternacht die
Krankenhäuser mit Feuerwerkspopfern füllen, in dieser Zeit,
in der irakische Extremisten mit allerlei höllischen Gemeinheiten
fast jeden Tag über hundert Menschen in den Tod reißen, in
der Epoche, die immer noch unter dem Bild der Atombombe steht, die
Millionen von Menschen mit einem Schlag ausradieren kann, in einer
Zeit, in der sich eine Unzahl von Menschen rücksichtslos selbst
zerstört, indem sie freiwillig ihre Gesundheit durch falsche
Ernährung und missbrauchten Wohlstand ruiniert:
In dieser unserer Zeit, soll das Thema Schuld kein Thema mehr sein?
Die Frage ist, aus welchem Blickwinkel wir diese Schuld betrachten: Von
außen, von der Seite eines satten Bürgertums her, dem die
christliche Taufe wurscht ist und dem die Kirchenmitgliedschaft nur
eine lästige Steuerpflicht bedeutet, die man schnellstmöglich
beseitigt. Von dieser „säkularen Seite“ her ist klar, dass wir
reagieren wie der Bürgermeister von Bad Reichenhall: Erst mal alle
Schuld abstreiten. Ich bin nicht schuld und überhaupt wird das mit
der Schuld völlig überschätzt!
Und diese Haltung ist doch klug: Egal ob Bürgermeister, Minister
oder Kanzler, ob Bischof oder Papst: Paragraph eins aller
Mächtigen lautet: Ich bin unschuldig! Paragraph zwei lautet dann,
wie jetzt in Bad Reichenhall: Ich werde dafür sorgen, dass die
Schuldigen bestraft werden. Wie könnte Unschuld strahlender
dastehen, als wenn sie sagt: Ich bestrafe die Schuldigen? Und es findet
sich immer einer, der dann wie der biblische Sündenbock die Last
der Schuld auf die Schulter gepackt bekommt und in die Wüste
gejagt wird.
Niemals in der Menschheitsgeschichte zuvor, ist so penetrant nach der
individuellen Schuld gefragt worden wie heute: Wieviele Häuser in
Indonesien werden zerstört, in denen 300 Tote begraben werden.
Dort beklagt man die furchtbare Natur. In Deutschland bricht ein
Bauwerk zusammen, auf das gewaltige Schneemengen heruntergegangen sind:
Und es ist nicht die Naturgewalt, sondern der Bürgermeister, der
Architekt, der Hausmeister oder welcher Sündenbock sonst zur
Verfügung steht. Gnadenlos!
So urteilt die Welt. Für Luther ist die Frage: Urteilt Gott genau
so wie die Welt? Und der frühe Luther ist davon überzeugt:
Gott urteilt ebenso hart, aber viel mächtiger wie wir Menschen.
Und der spätere Luther entdeckt beim Studium der Paulusbriefe:
Nein, Gott urteil ganz anders.
Luther kennt auch die Wort des Paulus:
„Was töricht ist vor der Welt,
das hat Gott erwählt,
damit er die Weisen zuschanden
mache.“
Weise ist, wer sich vor der Torheit hütet, seine Verantwortung,
seine Schuld zu gestehen!
„Was schwach ist vor der Welt,
das hat Gott erwählt,
damit er zuschanden mache, was stark
ist.“
Die Muskelprotze unserer Welt, sie bestimmen wo es lang geht: Mit der
Faust, mit der Lüge, mit Betrug, mit Schwindel und mit
Rücksichtslosigkeit. Sie kriegen hier Schlagzeilen, nach ihrer
Pfeife tanzen die Moden, sie lassen es krachen und sie lachen zuerst
und zuletzt. Aber nicht vor Gott!
Für Martin Luther hat hier noch ein anderer seine schmutzige Hand
im Spiel. 1515 zeigt er in einer Predigt drastisch, welche Wirkung der
Teufel hat, wenn er Menschen verführt, zum Verleumder zu werden:
„Ein Verleumder tut nichts anderes, als dass er den Unrat anderer mit
Zähnen wiederkäut und wie ein Schwein mit der Nase im Dreck
wühlt. Darum stinkt sein Dreck auch am meisten, nur noch
übertroffen von Teufelsdreck. Und obwohl der Mensch seinen Kot
heimlich ablegt, holt der Verleumder ihn aus der Heimlichkeit. Er
wälzt sich darin mit Lust. In Gottes gerechtem Gericht ist er auch
nur wert, dass er sich in Kot wälzt. Wenn der Verleumder
sagt: Seht, wie hat der sich beschissen!“ dann ist darauf die beste
Antwort: Diese Scheiße frisst du!“
So weit Martin Luther, jetzt
wieder Paulus:
„Das Geringe vor der Welt und das
Verachtete hat Gott erwählt,
das, was nichts ist,
damit er zunichte mache, was etwas
ist.
Was auf Erden nichts gilt, hat bei Gott gute Chancen. Das, was hier
peinlich, politisch inkorrekt, unangepasst ist und was wirklich nicht
geht, das kann ein göttlicher Lichtstrahl sein. Kann – muss nicht!
Und der Grund, den Paulus anführt, der Grund, dass Gott unsere
Wertvorstellungen auf den Kopf stellt, ist:
„Damit sich kein Mensch vor Gott
rühme.“
Der schuldlose Mensch kann mit Recht sagen: Ich brauche Dich, Gott,
nicht! Ich bin völlig o.k., du bist überflüssig, bei mir
stürzt keine Eishalle ein, ich kann nichts für alle
Verbrechen dieser Welt, wenn alle so wären wie ich, dann wäre
alles gut.“ Dieser schuldlose Mensch ist der fürchterlichste
Sünder. Er tötet Gott, weil er sich in seiner selbstgerechten
Eitelkeit, in seiner aufgeblasenen Arroganz an die Stelle des einzigen
setzt, der dem irdischen Wahnsinn entgegenhandelt. Er tötet den,
der sein Leben gibt dafür, dass wir mit unserer Schuld leben
dürfen:
„Durch ihn aber seid ihr in Christus
Jesus,
der uns von Gott gemacht ist zur
Weisheit
und zur Gerechtigkeit
und zur Heiligung und zur
Erlösung,
damit, wie geschrieben steht (Jeremia
9,22-23):
»Wer sich rühmt, der
rühme sich des Herrn!«“
Wer allen Ernstes denkt, er sei kein Sünder, der nimmt sein Leben
nicht ernst: Das was ich tue ist völlig in Ordnung, mir ist nie
eingefallen, besser zu sein. Wer sich für sündlos hält,
denkt, dass alle anderen Menschen Sünder sind: Denn sie sind nicht
wie ich. Das macht es schwer, die Menschen zu lieben. Und der angeblich
sündenfreie Mensch ist auch einer, der sich versteckt vor der
Wahrheit seines Lebens: Will Gott, dass ich genau so bin, wie ich jetzt
bin? Oder möchte er, dass ich einen Schritt in ein anders Leben
tue?
Das Thema dieses Gottesdienstes ist, dass Gott mich nicht will wie ich
schon bin. Er will, dass ich einen Schritt gehe, dass ich mich bewege,
dass ich fortschreite.
Wenn nachher der Gottesdienst zuende ist und ich gehe nach Hause: Was
gibt mir Gott auf diesen Weg mit? Wohin kann ich mich entwickeln? Wo
kann ich Gottes Lichtstrahl hinein holen in mein Herz, in mein Leben,
in mein Werden?
Ich wünsche uns allen Liebe zur Wahrheit und zu unseren
Mitmenschen. Und zu der tapferen Einsicht: Wir sind Sünder, die
der Erlösung bedürfen. Wir sind Menschen und brauchen darum:
Gott!
Ich wünsche uns allen ein Jahr, in dem uns die Umkehr aller
weltlichen Werte leichter fällt. Weil unsere Schuld uns auch
verbindet mit der Liebe: Mit der Liebe zu unseren Mitmenschen und mit
der Liebe zur Wahrheit.
Erlöse uns als erstes von der Illusion unserer arroganten
Sündlosigkeit, denn dein Friede, welcher höher ist denn alle
Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen. -