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Ralf-Andreas Gmelin leitete den Abendgottesdienst in der Stephanuskirche  bei dem M. Kreikenbaum sang. Musik und Wort war aufeinander bezogen. Ausgangspunkt ist Johannes 5, 39-47.

Jesus spricht aus dem Johannesevangelium zu uns. Wir lesen dort:

39 Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint, ihr habt das ewige Leben darin; und sie ist's, die von mir zeugt;
40 aber ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben hättet.
41 Ich nehme nicht Ehre von Menschen;
42 aber ich kenne euch, daß ihr nicht Gottes Liebe in euch habt.
43 Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen.
44 Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht?
45 Ihr sollt nicht meinen, daß ich euch vor dem Vater verklagen werde; es ist einer, der euch verklagt: Mose, auf den ihr hofft.
46 Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben.
47 Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?


Liebe Brüder und Schwestern

Wir haben nicht Gottes Liebe in uns. Dafür müssten wir uns leer machen. In allen Religionen hat es immer wieder mystische Bewegungen gegeben, die den Menschen helfen wollten, sich leer zu machen: Durch strenge Übung, durch Meditation, durch disziplinierte Gebete. Wir haben es da besonders schwer, denn wir sind so voll: Wir haben von klein auf gelernt, dass wir uns um alles selber kümmern müssen. Baggern, paddeln, vorwärts kommen.

Wir haben uns aufgeladen mit allem, was uns Energie gibt. Und wir haben manchen Kurzschluss überstanden, der uns blitzartig ausgeleert hat, weil uns die Traurigkeit überfallen hat, weil uns eine Krankheit gefesselt hat, weil ein Schicksalsschlag uns die Luft aus den Segeln genommen hat. Aber wir haben uns wieder nach oben geschafft, haben weiter gemacht, weiter gewurstelt und haben das erreicht, was wir jetzt sind. Aber habe ich den Mut genau nachzusehen, wo ich jetzt stehe? Bin ich mehr als die Summe meiner Eigenschaften? Werde ich bestimmt durch meine Familie und durch meinen Beruf? Oder bin ich auch unabhängig davon noch etwas, noch jemand?

Gerade viele Menschen, die ihre Arbeit verlieren, spüren das Bedrängende dieser Überlegung: Sie spüren, dass zu ihrem Selbstbewusstsein, zu ihrem Selbstwertgefühl ganz erheblich ihre Arbeit beigetragen hat. Und wenn sie dann fehlt, bleibt eine Lücke, die schmerzt. Das ist genau, was in dem Johannestext die „Ehre“ genannt wird. Die Ehre, mit der wir uns umhängen, dass wir ein besonderer Mensch seien, wenn wir besondere Aufgaben zu lösen haben: „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht?“ Und zur Psychologie des Johannesevangeliums gehört der Schluss, den Jesus aus unserer Abhängigkeit von dieser äußeren Ehre zieht: „Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen.“ Das bedeutet, dass wir jemanden viel leichter akzeptieren, wenn er genau so ist, wie wir selbst sind. Darum haben wir es so schwer mit Jesus Christus: Er bläht sich nicht mit den Ehren unserer Welt auf. Er führt ein bescheidenes Leben als Wanderprediger und lässt sich am Ende ein schäbiges, schmerzvolles und unehrenhaftes Ende gefallen, das Ende am Kreuz.

Und er lädt uns ein, dass wir uns unter seinem Kreuz sammeln, damit wir unsere Leiden und Schmerzen gemeinsam besser ertragen. Aber wir schielen nach Leuten, die uns den Himmel auf Erden versprechen und zuverlässig an den Höllen der Zukunft bauen. Und zu diesen Höllen gehört auch die Wand von Gesetzen und guten Vorsätzen, mit denen wir uns den Zugang zum Himmel vermauern: Das meint Jesus mit den Schriften des Mose. Dort findet sich eine gewaltige Zahl von Geboten, die uns aber nicht zum Leben führen, sondern die uns nur beweisen, wie weit wir von einem gottgefälligen Leben entfernt sind. – Der gottferne Ort ist die Hölle.

Der Weg ins Leben ist unsere Öffnung für Jesus Christus. Die Überwindung davon, dass es in mir so voll besetzt ist. Der Mut zur Stille, die strenge Zuwendung zu Gott, das ehrlich, aufrichtige Gebet im stillen Kämmerlein.

Uns fällt dieser Weg schwer, aber es ist ein Weg hin zum Leben. Gott schenke Du uns solchen Mut und solche Stille, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.