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Der schon fast traditionelle Familienpilgerweg am Pfingstmontag wurde dieses Jahr mit Taufe gefeiert. Christen der Ring- und Stephanusgemeinde, sowie der äthiopisch-orthodoxen Giyorgisgemeinde eine Tauffamilie und Gäste nahmen in der vollbesetzten Kapelle teil. Ralf-Andreas Gmelin hielt die Predigt.


Liebe Brüder und Schwestern,

Wenn man Programme von Kinderkirchentagen oder -Bibelwochen in die Hand bekommt, dann gewinnt man den Eindruck, die Bibel bestünde nur aus drei oder vier Geschichten. Neben Jona mit dem Walfisch, neben der Arche Noah und dem Regenbogen findet sich häufig auch die Geschichte vom Turmbau zu Babel, die heute  als Predigttext vorgesehen ist. Das soll uns aber nicht abhalten, dennoch hier draußen diese Geschichte aus dem 1. Buch Mose anzuhören:

„Der Turmbau zu Babel
Es hatte aber alle Welt
einerlei Zunge und Sprache.
Als sie nun nach Osten zogen,
fanden sie eine Ebene im Lande Schinar
und wohnten daselbst.
Und sie sprachen untereinander:
Wohlauf, laßt uns Ziegel streichen und brennen! - und nahmen Ziegel als Stein und Erdharz als Mörtel und sprachen:
Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen;
denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder.
Da fuhr der HERR hernieder,
daß er sähe die Stadt und den Turm,
die die Menschenkinder bauten.
Und der HERR sprach:
Siehe, es ist einerlei Volk und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies ist der Anfang ihres Tuns; nun wird ihnen nichts mehr verwehrt werden können von allem, was sie sich vorgenommen haben zu tun.
Wohlauf, laßt uns herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren, daß keiner des andern Sprache verstehe!
So zerstreute sie der HERR von dort in alle Länder, daß sie aufhören mußten, die Stadt zu bauen.
Daher heißt ihr Name Babel,
weil der HERR daselbst verwirrt hat aller Länder Sprache und sie von dort zerstreut hat in alle Länder.“

Die Menschen wollen sein wie Gott. Sie wollen ihn aber nicht überholen, indem sie liebevoller und achtsamer sind, sondern indem sie ranklotzen. Mörtel und Steine sollen die Menschen mächtig machen wie Gott selbst. Und weil jeder Mensch sein eigensüchtiges Ziel hat, ist ihm egal, was der andere meint.

Und schon leben wir in babylonischer Sprachverwirrung. Auf den ersten Blick geht es in der Geschichte um eine Erklärung, warum wir Menschen so viele unterschiedliche Sprachen sprechen. Auf den zweiten Blick erklärt diese Geschichte, warum wir uns nicht verstehen, auch wenn wir in der uns vertrauten Sprache miteinander sprechen.

Die Pfingstgeschichte dreht den Turmbau-Effekt wieder um: Gottes Geist erfüllt in einem Brausen die Christen und lässt sie sich wieder verstehen, - egal, welche Sprache sie gelernt haben. Das gilt nicht so, als könnte jeder getaufte Christ sofort perfekt jede Sprache. Das hätte ich mir im Englisch oder Latein-Unterricht als Schüler  immer gewünscht. Aber unsere Eigensucht und unsere Abgrenzung muss uns nicht mehr trennen, wo der sanfte Flügel Gottes weilt.

Wir hören am Ende dieses Gottesdienstes den Brotsegen in amharischer Sprache und das wird uns deutlich werden, dass es nicht leicht ist, eine solche alte und kultivierte Sprache zu verstehen. Aber – und das wünsche ich mir – dieses Segenswort soll uns deutlich machen, dass wir miteinander verbunden sind und dass uns auch unsere Sprachen nicht trennen müssen.

Eine zweite Geschichte zeigt uns genau, wie das Pfingstwunder zum Verständnis-Wunder wird. Und es ist schön, dass es die Geschichte ist, in der im Neuen Testament ein Äthiopier vorkommt. Und mich verbindet zusätzlich mit dieser Geschichte, das Bruder Messeret Alena seine Tochter Hewet mit einem Vers aus dieser Geschichte getauft hat. Sie heißt „Der Kämmerer aus Äthiopien“ (Apg 8,26ff) und stammt aus der Apostelgeschichte:

„Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. Und er stand auf und ging hin.
Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten.
Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.
Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! Da lief Philippus hin und hörte, daß er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. Der Inhalt aber der Schrift, die er las, war dieser (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.« Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Wort der Schrift an und predigte ihm das Evangelium von Jesus.
Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser.
Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, daß ich mich taufen lasse? Und er ließ den Wagen halten, und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich.“

Haben Sie das Pfingstwunder gespürt? Philippus bekommt vom Heiligen Geist gesagt, was er tun soll: Nicht sitzen bleiben, sondern aufbrechen. Mit einem wertvollen Menschen ein Stück Weg mitgehen. Ehrlich zu ihm sprechen und sich seinen Fragen öffnen. Und ihm die gute Botschaft von der Liebe Gottes in Jesus Christus schenken. Und schon spielen Unterschiede keine Rolle mehr – obwohl sie bleiben und obwohl diese Unterschiede auch weiterhin Gräben aufreißen können. Wo der Glaube zur Liebe und zur Zuwendung führt, wo er uns aufbrechen lässt, da baut er Brücken, um diese Gräben zu überwinden.

Wir wünschen uns allen aber vor allem auch unserem Täufling Cornelius Dierks, dass der Geist uns Brücken baut, und uns hilft, Gräben zu überwinden.

So ist unser Pilgerweg heute Morgen wiederum ein Sinnbild für unser ganzes Leben: Wenn wir uns aufmachen, dann beginnt sein Geist unter uns Brücken zu bauen. Gottes Geist zieht mit uns.
Amen.