Am Palmsonntag 2005 legt Pfarrer
Ralf-Andreas Gmelin dem Hohepriester Kaiphas dessen Sicht der Passion
Jesu in den Mund:
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn
Jesus Christus.
Wir hören die Geschichte Jesu kurz vor seinem letzten Passahfest,
wie das Markusevangelium sie erzählt: Mk 14,1-9
Es waren noch zwei Tage bis zum
Passafest und den Tagen der Ungesäuerten Brote. Und die
Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List
ergreifen und töten könnten. Denn sie sprachen: Ja nicht bei dem
Fest, damit es nicht einen Aufruhr im Volk gebe. Und als er in Betanien war im Hause
Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau,
die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl,
und sie zerbrach das Glas und goß es auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und
sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl
für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und
das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Laßt sie in
Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.
Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt
ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie
hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das
Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu
ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.
Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.
die Predigt wird einem in den Mund gelegt, der es wissen muss, wie
schwer es ist, Jesus Christus in die eigene Wirklichkeit
hineinzulassen. Wir hören auf Kaiphas, Hohepriester zur Zeit Jesu:
„Ihr stellt Euch das so leicht vor. Da kommt einer und Ihr sagt, er
käme in sein Eigentum und wir hätten ihn nicht aufgenommen.
Nein, ich wollte ihn auch
nicht aufnehmen. Ich hatte ganz andere Sorgen. So viele, dass wegen mir
nicht noch ein Wanderprediger aus den neuen Bundesländern um
Galiläa herum hätte auftreten müssen. Nach meinem Geschmack sind diese
Traumtänzer nicht.
Gestatten, Kaiphas, Hohepriester.
Als Wanderprediger würde
ich auch das Reich Gottes verkünden. Als verantwortlicher Politiker bin ich für die
Wohlfahrt des Volkes zuständig. Nicht für das Jenseits. Und
im Ernst: Wenn in Euren Kirchen die Opferstöcke umgeschmissen
würden, wäret Ihr auch nicht begeistert.
Nur, dass unser Tempel in Jerusalem eine etwas größere
Bedeutung hatte, als alle Kirchen Deutschlands heute zusammen. Er war
zugleich das wichtigste Handelsimperium, die Bundesanstalt für
Arbeit, die Rentenversicherung und die Bundesbank in einem. Und dann
kommt so ein Idealist und schreit „Räuberhöhle“ und
schmeißt den Betrieb durcheinander.
Und Ihr tut so, als wäret Ihr damals auf seiner Seite gewesen. Wir
Realpolitiker jedenfalls haben auf so einen nicht gewartet. Wir hatten
auch ohne Wanderprediger alle Hände voll zu tun: Auf der einen
Seite die Römer als Besatzungsmacht. Das ist kein Spaß. Bei
einem bisschen Unruhe im Volk gibt’s eine diplomatische Note; wenn’s
lauter wird, kommt die Frage, ob wir dem noch gewachsen seien. Und
danach setzt es militärische Strafexpeditionen. Und die kosten
viele Menschenleben. In Eurem Johannesevangelium bin ich darum nicht
einmal wert, als ein ehrenwerter Mann zitiert zu werden: „Die Schar aber und ihr Anführer und
die Knechte der Juden nahmen Jesus und banden ihn und führten ihn
zuerst zu Hannas; der war der Schwiegervater des Kaiphas, der in jenem
Jahr Hoherpriester war. Kaiphas
aber war es, der den Juden geraten hatte, es wäre gut, ein Mensch
stürbe für das ganze Volk.“ (Joh 18,12-14)
Ein Mensch ist dabei noch
geschönt: Jesus ist nicht der einzige, der das Volk aufhetzt.
Überall religiöse Eiferer, Fanatiker, Terroristen. Wo mehr
als zwei oder drei wegen irgendeinem Feuerkopf zusammenstehen und sich
die wirren Hetztiraden anhören, da ziehen die zelotischen
Superfrommen den Dolch und morden drauf los, ohne Ansehen der Person.
Die Sprengstoffattentäter Eurer Tage waren bei uns schon gang und
gäbe. Nur waren es keine Muslime oder Ausländer, sondern
fromme Kinder unseres eigenen Volkes.
Und das heißt kurz vor dem Passahfest: Brutale Besatzungstruppen,
eine große Zahl von religiösen Terroristen und dann kommen
noch Pilgerströme in die Stadt wie bei einer
Fußballweltmeisterschaft. Sie können sich ja selbst fragen,
was Sie an meiner Stelle mit
einem machen würden, der schon vor dem Fest die
Verkaufsstände im Tempel umgeschmissen hat. Sie würden
selbstverständlich warten, bis er sich auch noch alle Pilger
aufhetzt oder die halbe Stadt aufwiegelt, sich gegen die römischen
Truppen zu erheben. Den römischen Truppen ist es in jedem Fall
egal, ob Euer Jesus den ewigen Frieden gepredigt hat. Sie werden unser
Volk in Stücke reißen. Was sie ja dann auch getan haben –
zum Glück erst nach meiner
Zeit.
Aber mein Schwiegervater Hannas und ich werden bis heute wie die
monströsen Unmenschen in Eurem Johannesevangelium dargestellt: „Der Hohepriester befragte nun Jesus
über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus antwortete
ihm: ’Ich habe frei und offen vor aller Welt geredet. Ich habe allezeit
gelehrt in der Synagoge und im Tempel, wo alle Juden zusammenkommen,
und habe nichts im Verborgenen geredet. Was fragst du mich? Frage die,
die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe. Siehe, sie
wissen, was ich gesagt habe.’
Als er so redete, schlug einer von den Knechten, die dabeistanden,
Jesus ins Gesicht und sprach: Sollst du dem Hohenpriester so antworten?
Jesus antwortete: Habe ich
übel geredet, so beweise, daß es böse ist; habe ich
aber recht geredet, was schlägst du mich?“
Und Hannas sandte ihn da gebunden zu mir, dem Hohenpriester Kaiphas.
(Joh 18,19-24) Matthäus und Markus meinen sogar, Jesus habe vor
dem gesamten Hohen Rat, vor dem Synhedrin gestanden; als hätte der
nichts Wichtigeres zu tun gehabt! Und
die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn mit List
ergreifen und töten könnten. Das meint das
Markusevanglium. Und das hätte so kommen können: Kurz vor dem
Passah-Pilgerfest steht der Drucktopf kurz vor der Explosion und wir
diskutieren gemütlich, ob irgend so ein Prediger übel,
böse oder recht geredet hat. Ich kann das Wort so hoch
unmöglich schätzen. Die Wirkung
ist entscheidend.
Wir müssen uns entscheiden. Wir üben unsere Macht aus. Wir
entscheiden über wenige Leben, damit viele Leben geschützt
werden.
Und das Reich Gottes, das ist, wenn diese religiösen Spinner uns
im Frieden regieren lassen. Wenn diese idealistischen Gutmenschen
endlich still sind. Wenn das Volk brav und gehorsam tut, was es soll
und aufhört nach den Sternen zu greifen. Wenn diese Prediger uns
nicht dazwischen reden. Wenn sie den Leuten nicht mehr den Kopf
verdrehen mit Gottes Gerechtigkeit. Mit dem Frieden, der wie eine
gebratene Taube aus dem Himmel fällt.
Wir sind die Friedensarbeiter
der Welt: Wir sorgen mit unserer Politik dafür, dass die
religiösen Predigten ohne Folgen bleiben. Die Armen werden
nicht reich, wenn man ihren König für sein Begräbnis
salbt. Wir sorgen dafür, dass die selbst ernannten Könige
Gottes nicht den sozialen Frieden hier unten sprengen. Da wo Jesus uns
unterstützen kann, schmeißt er das Geld aus dem Fenster.
Seine Jünger haben zurecht angemahnt, dass Salböl der armen
Frau für teures Geld guten Zwecken zugeführt werden kann. Und
was sagt Jesus? „Laßt sie in
Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.
Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt
ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat
meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis.“
Worte eines Wanderpredigers. Die Armen sind unsere Sache: Unsere
Sozialverwaltung hat kein Verständnis für solche
Verschwendung. Auch schon vor Hartz IV.
Ich will nicht verschweigen, dass wir Jesus dennoch zu retten versucht
haben. Darum trafen sich
einige Älteste nachts, als wir ihn bereits an die römische
Gerichtsbarkeit verloren hatten. Auch der Synhedrin durfte Todesurteile
fällen und vollstrecken lassen. Im Falle von Jesus aber haben wir unsere Hände in Unschuld
gewaschen; ihn haben die
Römer auf dem Gewissen. Zwei Evangelien werfen uns vor, wir
hätten nachts über Jesus zu Gericht gesessen. Auch für
Jesus hätten wir nicht alle Regeln, Gesetze und die gesamte
jüdische Strafprozessordnung über Bord geworfen: Nachts darf
kein jüdisches Gericht tagen. Aber nachts darf man versuchen, den
Juden Jesus noch vor der römischen Kreuzigung zu retten. Weil er
am Palmsonntag von einer Riesenmenge begeistert empfangen wurde.
Mich, Kaiphas hatten die Jerusalemer zum Römerfreund
herabgewürdigt, zur Marionette, der stromlinienförmig tut,
was die Besatzer wollen. Die Befreiung von Jesus hätte meine
Position gestärkt; jeder Politiker hätte diese Chance
genutzt. Das macht mich nicht zum Freund von Jesus, aber begründet
auch keine wirkliche Feindschaft. Jesus war ein Jude. Er wurde von der
römischen Gewaltherrschaft nach römischem Recht auf
römische Weise getötet. Rom wurde zum Zentrum derer, die sich
auf den von Römern ermordeten Jesus Christus berufen.
Und es ist ihnen gelungen, Kaiphas zum Täter zu machen und mit ihm
alle Juden. Kaiphas ist Politiker wie alle Politiker, das darf man ihm
vorwerfen; aber man hat ihn zum Juden gemacht, um im Namen seines
vermeintlichen Opfers Juden verfolgen zu dürfen. Und damit wurde
Jesus als Opfer der Gewaltherrschaft gegen Juden zum Alibi, um in
seinem Namen weitere Gewalt gegen Juden auszuüben.
Das tut selbst denen Leid, die nicht auf der Seite von Wanderpredigern
und religiösen Eiferern stehen können. Jesu Reich ist nicht
von dieser Welt. Das hat es uns mit ihm schwer gemacht, aber das macht
es Euch ebenso schwer. Daran hat
Eure Taufe nichts geändert.
Gott lass uns dem Christus
folgen, den DU uns gesandt hast, nicht dem, den wir gerne hätten,
denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft,
bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.
(vgl. Chaim Cohn: Der Prozeß und Tod Jesu aus jüdischer
Sicht. Frankfurt, 1997)