Am 1. Sonntag nach Epiphanias, 9.
Januar 2005, folgt die Predigt von Ralf-Andreas Gmelin in der
Ringkirche der ersten Predigt von Jesus Christus, die er in Kapernaum
gehalten hat, wie das Matthäusevanglium erzählt (4, 12-17):
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn
Jesus Christus.
Laßt uns hören auf die Worte der Heiligen Schrift, wie wir
sie aufgezeichnet finden im Matthäusevangelium:
Mt 4, 12-17
Als nun Jesus hörte, daß
Johannes gefangengesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa
zurück.
Und er verließ Nazareth, kam
und wohnte in Kapernaum, das am See liegt im Gebiet von Sebulon und
Naftali,
damit erfüllt würde, was
gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 8,23;
9,1):
»Das Land Sebulon und das Land
Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das
heidnische Galiläa, das Volk, das in Finsternis saß, hat ein
großes Licht gesehen;
und denen, die saßen am Ort und
im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.«
Seit der Zeit fing Jesus an zu
predigen:
Tut Buße, denn das Himmelreich
ist nahe herbeigekommen!
HERR, Dein Wort sei meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem
Wege.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
beeindruckend sind für mich die Beträge, die Menschen
für die allermeist ziemlich anonymen Opfer der brutalen Flutwelle
gesammelt haben. Allein in Deutschland wird von 150 Millionen Euro
gesprochen. Das ist ein gutes Zeichen, denn wenn über 160.000
Menschen ihr Leben verlieren, können wir nicht einfach zur
Tagesordnung zurückkehren. Das entspricht zum Vergleich der Zahl
der Verletzten und Vermissten, die der Atombombenschlag auf Hiroshima
am 6. August 1945 hinterließ. Allerdings: Diese
fürchterlichste Einzelmaßnahme, die jemals Menschen gegen
Menschen unternommen haben, kostete zudem auch noch 260.000 Menschen
das Leben.
In den vergangenen Tagen erreichten mich einige für uns als
Gemeinde durchaus erfreuliche Anfragen von Spendenwilligen, die
für die Ringkirche spenden wollten und sich gleichsam entschuldigt
haben, dass angesichts der Katastrophe in Südostasien dies gar
nicht so nahe liege. Gut an dieser Entschuldigung ist, dass sie klar
sieht, dass manches hinter dem Elend dort zurückstehen muss. Aber
wahr ist, worauf auch unser Bundespräsident Köhler als
Spezialist für Entwicklungspolitik hingewiesen hat: Auch wenn wir
wissen, dass es dort unten jetzt gilt; alle anderen Probleme dieser
Erde sind damit nicht sofort gelöst. Meinen Alltag muss ich
weiterhin jeden Tag bewältigen, die Sorgen unseres Landes werden
mit den Hilfsangeboten nicht kleiner und auch die Sorgen in unserer
Stadt um den Fortbestand unserer Kulturbauten braucht unsere
Aufmerksamkeit weiterhin. Mit einem Wort: Die Not dort braucht unsere
Aufmerksamkeit, aber sie hat kein einziges der anderen Probleme
gelöst, die auch weiterhin unser Engagement brauchen.
Diese Betrachtungen führen uns einerseits zum Thema des
Gottesdienstes in der vergangenen Woche, der sich um die Opfer der
Flutkatastrophe gedreht hat, sie führen aber ebenso mitten hinein
in das Thema, das uns die Geschichte aus dem Matthäusevangelium
aufgibt.
Die Geschichte Jesu kennt nach diesem Bericht einen Punkt, wo auch
biographisch Jesus seine Entscheidung fällt: Jetzt geht es so
nicht weiter! Und was sich so lapidar liest, das ist von großer
Bedeutung für den Jungen Jeshua, Jesus, der in der Antike am Ende
der Welt als Sohn eines Handwerkers groß wird:
„Als nun Jesus hörte, daß
Johannes gefangengesetzt worden war, zog er sich nach Galiläa
zurück.
Und er verließ Nazareth, kam
und wohnte in Kapernaum, das am See liegt.“
Jesus hört von der Verhaftung des Johannes, seines Vetters, mit
dessen Anschauungen er aber schon lange nicht mehr übereinstimmt.
Und er ändert sein bisheriges Leben. Er bricht das vierte Gebot:
„Du sollst Vater und Mutter lieben, auf dass es Dir wohl ergehe und du
lange lebest auf Erden.“ Jesus arbeitet nicht weiter im
väterlichen Betrieb. Vielleicht ist sein Vater Joseph schon tot
und Jesus war sein Nachfolger. Auf jeden Fall können wir sicher
sein: Seine Mutter und seine Geschwister hätten ihn bestimmt
gebraucht. Aber er lässt sie im Stich und zieht hinunter an den
See Genezareth, in das kleine Fischerdorf Kapernaum.
Sie können die Grundmauern dieses Dorffes am See Genezareth bis
heute besuchen: Wir kennen den Ort, wo die alte Synagoge stand und wo
Jesus vermutlich täglich mit anderen Männern des Ortes
versammelt war und wo sie ihm zuhörten, wenn er lehrte. Und die
Predigt, die Jesus hält, verbindet den jungen Mann, der gerade
sein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat, mit dem Andenken an den
verhafteten Johannes.
„Seit der Zeit fing Jesus an zu
predigen:
Tut Buße, denn das Himmelreich
ist nahe herbeigekommen!“
Tut Buße, das heißt im griechischen Neuen Testament:
metanoeˆite! „Erkennt hinterher“ müsste man’s genau
übersetzen. Bedenke nachträglich das, was Du bisher gemacht
hast.“ Und wer das tut, sich im Nachhinein genau anzusehen, was er mit
seinem Leben angefangen hat, der wird danach ein anderes Leben
führen. Ein jüdischer Übersetzer, der versucht, das Neue
Testament aus dem Geist der hebräischen Sprache und Religion zu
verstehen, konkretisiert dieses Wort noch: „Wendet euch von euren
Sünden zu Gott, denn das Reich des Himmels ist nahe.“
Genau besehen heißt das: Egal, was du getan hast, egal, wie du
gelebt hast; sobald du im Nachhinein auf dein Leben blickst, wirst du
erkennen, dass du es eigensüchtig oder als sündiger Mensch
geführt hast und wenn du konsequent bist, änderst du dich
jetzt. Und das wird im Deutschen übersetzt mit: „Du tust
Buße“, oder „du kehrst um“.
Das macht diese Geschichte von Jesus so eigentümlich geschlossen
und dicht: Jesus betrachtet sein Leben in dem Augendblick, als ein
großer Prediger verhaftet wird, weil er bei seiner Botschaft
geblieben ist. Johannes hat sich bei der Obrigkeit in Verruf gebracht,
weil er ihre Verfehlungen angeprangert hat. Der unauffällige
Handwerker Jesus hört davon, und wird selbst zum Prediger, indem
er sein Heimatdorf und den väterlichen Betrieb verlässt. Und
was er sagt ist: Schau auch du auf das Leben, das du bisher
geführt hast. Denke zurück, was dich bisher bewegt hat. Und
dann ziehe die Konsequenzen. Werde ein anderer Mensch.
Ich glaube fest, dass die meisten Menschen auch heute, auch jetzt, auch
in dieser Ringkirche an diesem Sonntagmorgen, die Sehnsucht nach dem
Augenblick haben, der ihnen unabweislich sagt: Überlege, was
gewesen ist und werde jetzt ein neuer Mensch. Verlasse den Weg des
Eigensinns und nähere dich dem heiligen.
In unserer lieben evangelischen Kirche wird eine solche Botschaft nicht
gerne gehört: Wir verkünden lieber eine Botschaft, die
schön angepasst und brav bleibt, eine Botschaft, die nicht gern
diesem Auftrag Jesu folgt, sondern die lieber wie ein Dackel hinter den
Menschen unserer Zeit herschleicht. Immer schön brav an der Leine.
Der Grund ist, dass wir unsere Volkskirche retten wollen, die in
Wahrheit schon lange ein bloßer Traum geworden ist, weil die
Christen in unserem, Land immer mehr eine Minderheit werden. Und die,
die übrig bleiben, denen wird in unserer Kirche häufig
gesagt: Es genügt, dass du getauft bist, iss, trink, sei ein
anständiger Mensch und lass dich christliche gegraben, aber nicht,
bevor du möglichst lange Kirchensteuer bezahlt hast.
Diese Botschaft stammt nicht von Jesus Christus. Jesus Christus will,
dass unserer Taufe etwas folgt: Diese Metanoia, dieses Überdenken
im Nachhinein, das Konsequenzen hat. Wer ein “Christentum light“
verkündigt, der möchte sich auf Jesus Christus nicht
einlassen.
Seine Botschaft ist eine schwere Aufgabe und wer ihm nachfolgen will,
der muss sich auf dieses Nachdenken einlassen. In diesem Jahr werden
wir über die drei großen Fensterrosetten zu entscheiden
haben, die im Westen unserer Ringkirche verändert worden sind. Im
Originalzustand war im mittleren Fenster das Lamm Gottes zu sehen:
Jesus Christus ist die Mitte, die Mitte der Botschaft einer
evangelischen Kirche und auch die Mitte der Trinität, der
ursprünglich die Fenstermotive gewidmet waren. Ich werde mich
dafür einsetzen, dass Jesus auch architektonisch wieder in die
Mitte gerückt wird. Man hat ihn jetzt diskret an die Seite gesetzt
und ein gemütliches Blut- und Bodenfenster an seine Stelle
gerückt, das unseren Alltagserfahrungen viel näher ist mit
seinen Ähren und Weintrauben. Aber Jesus hat eben nicht gepredigt,
dass wir brav weiter essen und trinken sollen, sondern, dass wir
umkehren sollen und den Weg suchen, den Gott für uns vorgesehen
hat.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
am Montag kommender Woche, morgen in acht Tagen wird der katholische
Mönch und Pater Anselm Grün hier in der Ringkirche über
„Spiritualität im Alltag“ sprechen. Zu unserer Freude erwarten wir
um die 500 Interessierten. Und wer an Spiritualität so viel
Interesse hat, dass die 9 Euro Eintrittsgeld keine Rolle spielen, der
zeigt damit auch seine Sehnsucht nach dem Heiligen in seinem Leben. Und
damit auch die Sehnsucht nach einem Wendepunkt in diesem Lebens. Anselm
Grün erzählt von der Weihnachtspredigt, in der Papst Leo der
Große vor sechzehnhundert Jahren gesagt hat: "Heute kann
ich von neuem beginnen, da Gott in mir als Kind geboren wird." Pater
Anselm meint dazu: Gott wird in mir als Kind geboren. Kind, das ist die
Verheißung, daß alles in mir neu wird, daß ich in
Berührung komme mit dem unberührten und unverfälschten
Bild, das Gott sich von mir gemacht hat. Weihnachten ist das Fest des
neuen Anfangs. Ich bin nicht festgelegt durch meine Vergangenheit,
weder durch die Verletzungen, die ich erlitten habe, noch durch mein
Versagen, mit dem ich mir das Leben oft genug schwer gemacht habe.
Weihnachten heißt vielmehr: "Traue Gott zu, daß er all das,
was in dir schief gelaufen ist, wieder zurecht rückt und dir einen
neuen Anfang ermöglicht." So wie ein Kind alle Verheißung in
sich trägt, so soll Weihnachten für dich der Beginn neuer
Möglichkeiten sein. Wenn Christus in deinem Herzen geboren wird,
dann erneuert er deine Seele und erfüllt sie mit einem tiefen
inneren Frieden und mit einer Liebe, die weder durch die Last der
Vergangenheit noch durch die Konflikte und Bedrängnisse des
Alltags zerstört werden kann. Ich wünsche dir, daß du
in deinem Innern diese göttliche Liebe spürst, die in dem
Kind in der Krippe zärtlich aufscheint. Diese Liebe möge auch
dein Herz durchdringen und dir sagen: "Es ist alles gut. Du kannst
heute neu beginnen zu leben, da Gott selbst in dir als Kind geboren
wird."
Die Kirche, die Mut macht, zum eingehenden Nachdenken, die Menschen
ermöglicht neu anzufangen und die sich damit in die Nachfolge
Jesus Christi setzt, der in der Krippe geboren wird, diese Kirche wird
immer wichtiger und größer werden.
Die Kirche, die meint, sie könne ihre Größe bewahren,
in dem sie nur noch tauft und beerdigt und sich als Behörde dieser
Welt aufspielt, für sie hat meines Erachtens die Zukunft wenig
Platz. Ich wünsche mir unsere Kirche als Versammlung derer, die
Jesus Christus in ihre Mitte nimmt und ihm nachfolgt:
„Denke über Dein Leben eingehend
nach, denn das Himmelreich ist dir ganz nahe.“
Jesus rufe uns, damit wir uns bewegen, denn dein Friede, welcher
höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in
Christo, Jesu, Amen.