Beim Konfirmationsgottesdienst am 12.
Juni 2005 hielt Ralf-Andreas Gmelin die folgende Predigt:
Liebe Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden,
bei Eurem Rückblick auf Eure Konfi-Zeit haben es einige bedauert,
dass Ihr erst ganz am Ende als Gruppe zueinander gefunden habt. Dass
Ihr bei einigen erst spät entdeckt habt, dass sie netter sind, als
Ihr erst dachtet. Zu dem Konfirmandenunterricht war Euer
Stichwort, das viele von Euch benutzt haben: „Langweilig“ sei er
gewesen, der Konfirmandenunterricht.
Langeweile hat verschiedene Ursachen. Nein, Euer Konfirmandenunterricht
war nicht wie eine Fernsehshow bunt und abwechslungsreich, unterhaltend
und unverbindlich. Gewöhnt sind wir heute eine ganze Industrie,
die uns die Zeit vertreibt. Ziel des Konfirmandenunterrichts ist, Euch
davor zu warnen, Euch Eure Zeit vertreiben zu lassen. Euer Leben
besteht aus Zeit und wenn sie vertrieben ist, dann ist sie fort und
vorbei.
Nein, Euer Gegenüber ist kein netter Twen, der sich Gel in die
Haare schmiert, damit er so aussieht wie Ihr. Euer gegenüber war
ich. Wer Unterricht gibt, ist immer schuld und das ist auch in Ordnung
so. Und wer an einen Menschen erinnert, der vor 2000 Jahren dafür
einstand, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod, der sieht
immer aus wie vom Himmel gefallen, egal welche Kleidung er trägt.
Nein, auch Ihr seid nicht immer mit Feuereifer und Begier an dem
Unterricht interessiert gewesen. Wer mit wacher Aufmerksamkeit dem
folgt, was ihm geboten wird, dem ist fast nie langweilig. Das was Euch
im Konfirmandenunterricht gesagt wird, steht unserem Alltag entgegen.
Nein, Du erfährst hier nicht, was Du mit Deinem Taschengeld machen
sollst. Ob Du ein rotes oder ein blaues Gerät kaufen sollst, ob Du
Dein Geld sparen sollst. Du erfährst auch nicht, was Du tun
sollst, wenn Du Knatsch mit Deinen Eltern hast. Stattdessen
erfährst Du: „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es Dir
wohl ergehe und Du lange lebest auf Erden.“ Das klingt nicht besonders
hilfreich – besonders wenn ich gerade Streit habe. Aber darum geht es
im christlichen Glauben: Du sollst Dich annehmen, so wie Du bist, mit
Deinen Schwächen und Stärken und Du sollst Deinen Eltern
keinen Vorwurf machen, dass es Dich gibt. Dann ehrst Du Vater und
Mutter. Und wer in meinem Alter immer noch meint, er könnte Papa
und Mama vorwerfen, warum sie mich denn auf die Welt geworfen haben,
der wird nach Ansicht der Bibel nicht alt.
Christ sein, das ist für Euch noch nicht besonders attraktiv. Der
Stolz des Glaubens, das Gefühl ein besonders kostbares Geschenk
bekommen zu haben, ist noch nicht wieder sehr ausgeprägt. Jemand,
der in einem dicken Auto vorfährt, der ist stolz und bildet sich
ein, ein besserer Mensch zu sein. Jesus wusste schon damals, dass dicke
Autos gestohlen werden und vom Rost zerfressen und dann bleibt nur ein
bisschen klägliche Einbildung übrig. Der Glaube an den
lebendigen Gott ist eine Kraft, die lebenslang in Euch sprudeln will
und die Euch Kraft geben möchte, auch wenn Ihr mit dem Fahrrad
unterwegs seid – oder in der S-Bahn.
Ihr habt sicherlich Recht: Viele Themen Eures Konfirmandenunterrichts
klingen ganz anders als das, was wir sonst jeden Tag hören. Und
darum sind sie manchmal schwer verständlich. Das galt auch
für manche Predigt in Eurem Konfirmandenjahr. Und manchmal auch
langweilig, das galt für manche Stunde, die wir gemeinsam verlebt
haben.
Was ist das für eine Kirche, mit der ihr verbunden werden sollt?
Eine Kirche, die darauf wert legt, dass Ihr heute ein Versprechen gebt,
dass mündige Christen geben: Wenn Ihr heute ein ja zu Eurer taufe
sagt, dann sagt Ihr damit auch ein Ja zu der Kirche, in die Ihr hinein
getauft seid. Wenn Ihr zu denen gehört, die in wenigen Jahren aus
der Kirche austreten, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder
Ihr lügt heute und heuchelt Euer Ja oder Ihr macht Euch, die Ihr
heute hier sitzt, nachträglich zu Kindsköpfen, deren ja
nichts wert ist. Ich wünsche mir, dass Eure
Glaubensmündigkeit so groß ist, dass Ihr heute ein
überzeugtes Ja sagt und dass Ihr auch später dazu steht, weil
Ihr Euch ernst nehmt.
Die Kirche, unsere evangelische Kirche, zu der die Ringkirchengemeinde
gehört, ist eine sich wandelnde Kirche. Seid Martin Luther hat sie
sich mit den Zeiten, Moden und Ideen ihrer Glieder auseinander gesetzt
und hat sich immer wieder verändert.Als ich 1980 beschloss,
Pfarrer in unserer Volkskirche zu werden, sah sie anders aus als heute.
Wenn Ihr Euch eine Eisenbahn vorstellt, dann war mein Bild von
früher, dass unsere Kirche wie eine solche freundliche Eisenbahn
wie ein Spielzeug durch die Welt dampft. Der alte Traum meiner
generation war eine freundliche Eisenbahn, wo jeder lustig zusteigen
kann, jeder darf mitfahren, alles ist bunt, gut gelaunt und freiwillig
und wenn einer aussteigt, dann fällt er weich. Diese Volkskirche
ist lustig vom Fleck gekommen, ganz viele sind zugestiegen, aber sie
wurde schließlich so bunt, dass man sie nicht mehr von den bunten
Städten und Ländern unterscheiden konnte. Sie wurde
konturenlos und unattraktiv. Und irgendwann ist eine solche nette bunte
Freiwilligkeitskirche, die nach allen Seiten offen ist, nicht mehr von
einer netten bunten Freiwilligkeitsgesellschaft zu unterscheiden, die
auch nach allen Seiten offen ist. Und wer dann fragt: Wozu brauchen wir
überhaupt noch eine solche Kirche? – der fragt richtig. Und die
Gesellschaft ist keine so nette bunte Gesellschaft mehr, in der die
meisten warm und weich fallen. Es ist kälter und härter
geworden und unsere Kirche muss sagen, wo sie steht, und was sie
meint. Ein Prospekt unserer Kirche, der dann eingestampft werden
musste, zeigte einmal eine solche Eisenbahn, auf deren Lokomotive zu
lesen war: „Kirchenleitung“. Und wir Evangelischen legen da einen
großen Wert darauf: Nicht wir Menschen, weder die Pfarrer, noch
eine Kirchenleitung dürfen die Kirche in die Richtung ziehen,
wohin sie soll, sondern allein Gott mit seinem heiligen Geist ist die
Lokomotive. Das unterscheidet uns von der katholischen Kirche: Wer da
auf die Lokomotive „Papst“ schreibt, hat völlig Recht.
Darüber haben Evangelische und Katholische sich bislang ohne
Einigung gestritten, dass unserer Meinung nach die katholische Kirche
ohne Gott und ohne heiligen Geist auskommt, weil sie meint, dass der
Papst den Schatz des Glaubens verwalten könne. Wenn der frisch
gewählte Papst Benedikt daran etwas ändern kann, dann wird es
auf die Dauer keine Kirchenspaltung mehr geben. Ich bin gespannt, aber
verhalten
Wenn die Eisenbahn unserer Kirche einen Sinn hat – und das gilt
für den katholischen wie für den evangelischen Zug - dann
den, sich von dem Rest der Welt zu unterscheiden. Und dass es nicht
genügt, ein bisschen nett zueinander zu sein, das war ein
schöner Traum, der ausgeträumt ist. Der evangelische Christ von gestern war
ein mehr oder weniger netter Mensch, der gemacht hat, was ihm gerade
einfiel. Der evangelische Christ
von Morgen wird anders sein: Er wird bewusst ein evangelisches Leben
führen wollen; nicht, weil es die Kirche so vorschreibt, sondern,
weil er sich und seine Identität ernst nimmt. Er wird sich
überlegen, wie er selbst lebt, was er seinen Kindern vorlebt. Er
wird darüber nachdenken, ob Gott es gut findet, wenn wir unseren
Körper mit Alkohol und Nikotin vergiften. Er wird eine
Entscheidung treffen, ob die 10 Gebote bloß Lernstoff im
Konfirmandenunterricht waren, oder eine Forderung, die für ihn
gilt!
Und das, was den evangelischen Christen ausmacht ist nicht, dass er der
perfekte Christ ist. Ein evangelisches Leben bemüht sich ehrlich
und aufrichtig um das Gute. Darauf werdet Ihr, liebe Konfirmandinnen
und Konfirmanden heute konfirmiert. Aber er weiß auch, dass er es
nicht immer erreicht, dieses Gute.
Wenn Du Dich in Deinem Leben verirrt hast, wenn Du einen Weg gegangen
bist, der keineswegs das Gute zum Ziel hatte, wenn Du Dir nicht
vorstellen kannst, dass Dich da einer wieder herausholt, dann beginnt
eine Geschichte zu sprechen, die auf das erste Hinhören vielleicht
noch ganz langweilig wirkt:
„Es nahten sich Jesus aber allerlei Zöllner und Sünder, um
ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten
und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und ißt mit ihnen.
Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach:
Welcher Mensch ist unter euch, der
hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen verliert, nicht die
neunundneunzig in der Wüste läßt und geht dem
verlorenen nach, bis er's findet? Und wenn er's gefunden hat, so legt
er sich's auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft
er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir;
denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So
wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der
Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der
Buße nicht bedürfen.“
(Lk 15,1-7)
Liebe Konfirmandinnen, lieb Konfirmanden,
nein, ich wünsche Euch nicht, dass Ihr Euch eines Tages in
irgendeiner Wüste Eures Lebens wieder findet. Aber ich
wünsche Euch, dass Ihr Euch an diese Geschichte erinnert, wenn es
Euch dennoch trifft: Wenn Euch ein Mensch verlässt, auf den Ihr
Euch ganz fest verlassen habt, wenn Euch etwas wegbricht, auf das Ihr
Euch monatelang vorbereitet habt, wenn Eure Selbstachtung mit
Füßen getreten wird oder wenn Ihr aus Gier, aus Leichtsinn
oder aus Dummheit etwas Schreckliches angerichtet habt:
Die Geschichte „Vom verlorenen Schaf“
zeigt uns einen Hirten, der die braven Schafe in der Wüste
zurücklässt und hinter mir her klettert, egal, wohin ich mich
verirrt habe. Wenn Ihr diesen Hirten spürt, dann habt Ihr ihn
gefunden, den evangelischen Stolz des Glaubens: Den Stolz auf einen
Gott, der uns nicht verdammt, weil wir in die Irre gegangen sind. In
den Augenblicken der Entscheidung, wenn es darum geht, wohin mein Leben
in Zukunft gehen soll, werdet Ihr erleben: Da ist alle Langeweile
verfolgen!
Gott, bewahre uns vor dem Bösen, aber höre niemals auf, unser
guter Hirte zu sein; mach DU uns fest, Gott, im Vertrauen auf Dich,
denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft,
bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.