Eine Ermahnung aus dem
Epheserbrief
war der Ausgangspunkt einer Predigt über die neueste Fassung der
Gralslegende. Ralf-Andreas Gmelin hielt sie am Sonntag Okuli, den 14.
März 2004:
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn
Jesus Christus.
Wer vom christlichen Glauben erfasst ist, der wird auch sein Leben
danach gestalten. Um die Frage, wie das geschehen soll geht es unserem
Predigttext aus dem Epheserbrief. 5,1-9. Sein Ziel ist ein „Leben im
Licht“:
„So folgt nun Gottes Beispiel als die
geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt
hat und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer, Gott
zu einem lieblichen Geruch.
Von Unzucht aber und jeder Art
Unreinheit oder Habsucht soll bei euch nicht einmal die Rede sein, wie
es sich für die Heiligen gehört.
Auch schandbare und närrische
oder lose Reden stehen euch nicht an, sondern vielmehr Danksagung.
Denn das sollt ihr wissen, dass kein
Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger - das sind
Götzendiener - ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes.
Lasst euch von niemandem
verführen mit leeren Worten; denn um dieser Dinge willen kommt der
Zorn Gottes über die Kinder des Ungehorsams.
Darum seid nicht ihre Mitgenossen.
Denn ihr wart früher Finsternis;
nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Lebt als Kinder des Lichts;
die Frucht des Lichts ist lauter
Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit.“
HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.
Unzucht, Unreinheit, Habsucht, keine losen Reden. Damit ist markiert,
an was sich ein christliches Leben zu orientieren hat: Es soll sich
nicht an sexuellen Begierden austoben, es soll sich nicht mit Lüge
und Betrug verunreinigen und es soll nicht an materiellen Besitz kleben
und soll auf Klatsch und Tratsch verzichten.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
von den ältesten Zeiten an gehören zum christlichen Glauben
bestimmte Wertmaßstäbe. Auch wenn wir mit den gymnastischen
Verrenkungen modernen Denkens manches von diesen Idealvorstellungen in
unserer modernen Gesellschaft in die Abstellkammer geschoben haben. Ich
denke, diese Abstellkammer ist ein Kühlraum, aus dem solche
Wertmaßstäbe immer wieder frisch und unverdorben
herauswandern.
Derzeit steht auf den amerikanischen Bestsellerlisten ein Buch, in dem
es darum geht, dass diese christliche Moral einem ungeheuren
Betrugsmanöver der Kirche aufgesessen ist. Auch in Deutschland hat
das Buch eingeschlagen: Auf vielen Bestsellerlisten steht Dan Browns Buch ganz vorn. Gleich
nach seinem Erscheinen hat es den Platz eins der "Spiegel"- und
"Focus"-Bestsellerlisten erobert. Der Erfolg eines Buches
verblüfft auf dem Hintergrund, dass man ja oft hört, die
christliche, religiöse, biblische und kirchliche Fragen seien bei
Menschen von heute völlig out und uninteressant.
Das Buch ist ein Kriminalthriller, in dessen Zentrum – es gibt nichts
Neues unter der Sonne – die alte christliche Legende vom Heiligen Gral steht. „The
Da-Vinci-Code“ heißt das Original, die Übersetzung ins
Deutsche, die seit etwa 14 Tagen zu haben ist, trägt den Titel
„Sakrileg“. Eine geheimnisvolle Mordgeschichte ist eingebunden in eine
religiöse Geheimlehre, die Leonardo da Vincis Gemälde, vor
allem die Mona Lisa und das berühmte Abendmahl, die biblische
Maria Magdalena, ein Kind, das sie zusammen mit Jesus hat, und den
Heiligen Gral einschließt. Eine temperamentvolle Mischung von
theologischen, kirchengeschichtlichen, kunstgeschichtlichen und
architektonischen Beobachtungen, Ideen und Phantasien.
Die Geschichte vom Gral ist seit dem 12. Jahrhundert nachzuweisen: Chrétien de Troyes (um 1140
bis 1190), ein französischer Dichter und Troubadour schrieb den
ersten Perceval, in der zuerst die Legende vom Heiligen Gral erscheint.
In Troyes, wo Chretien den
Parceval verfasst, entsteht 1128 unter der Mitwirkung des großen
Kreuzzugspredigers Bernhard von Clairveaux die erste Ordensregel des
Templerordens.
Wenige Jahrzehnte später trägt Wolfram von Eschenbach die
Gralslegende in seinem Roman Parzival in die deutsche Kultur. Bei ihm
ist der Gral kein Kelch mehr, sondern ein Stein. Auch hier wird der
Templerorden in Zusammenhang mit dem Gral gebracht. Die letzte epochale
Bearbeitung dieses Stoffes stammt von Richard
Wagner der Wolframs Version in der gewaltigen Oper „Parsifal“
auf die Bühne bringt. (1850 Erstaufführung).
Die frühe Gralslegende half, die Kreuzzüge zu begründen,
indem sie Antwort darauf gab, was Europäer tausend Jahre nach dem
irdischen Leben von Jesus in Palästina zu suchen haben: Die
magischen Reliquien ihres Erlösers.
Dan Browns neuer Gralsroman greift die Fragen unserer Zeit auf: Jesus erscheint
jetzt als der erste Feminist. Er war mit Maria Magdalena verheiratet
und hatte mit ihr eine Tochter, die von einer Geheimgesellschaft nach
Frankreich in Sicherheit gebracht wurde. Der Heilige Gral bezeichnet
das Grab der Maria Magdalena und enthält zahlreiche Dokumente, die
die Kirche zwingen würden, ihre gesamte neutestamentliche
Tradition über den Haufen zu werfen. Um die verborgene Wahrheit
Jesu zu schützen und vor der Kirche zu bewahren, wurde die Prieuré de Sion
gegründet, die sich einen bewaffneten Arm hielt, den Templerorden. Der Templerorden sei
1307 vernichtet worden, weil er dieses Geheimnis vom Gral gehütet
hat. Bis heute gibt es die Prieuré
de Sion, die dafür sorgt, dass der Gral verborgen bleibt.
In der Kunst werden immer wieder geheime Wegzeichen gegeben, die auf
dieses welthistorische Versteckspiel hindeuten: Leonardo da Vinci hat auf einigen
seiner Bilder solche Andeutungen hinterlassen: Auf seinem
berühmten Abendmahlsfresko ist eine weiblich wirkende Figur
abgebildet. Das sei Maria Magdalena.
Die Männer am Tisch, die Jünger, die später die Kirche
bilden werden, ertragen sie nur mit Mühe. Eine Hand deutet an,
dass man ihr den Hals durchschneiden will und eine anonyme Hand
hält über dem Abendmahlstisch ein Messer. All dies deute auf
die zweitausendjährige Verschwörung der Männerkirche
gegen die feministische Seite des Christentums hin.
Die Gewährsleute, die sorgfältige Vorarbeiten für diesen
Roman geleistet haben, werden zwar nicht namentlich genannt, sind der
Theologie aber durchaus bereits vertraut: Die beiden amerikanischen
Journalisten Michael Baigent
und Richard Leigh haben 1991
ein Buch lanciert, das unter dem Titel „Verschlusssache Jesus“ eine
gewaltige Verschwörungsgeschichte aufgetischt hat: Die
Qumranrollen, Schriften aus den Höhlen am Toten Meer, würden
von der römischen Kirche böswillig unter Verschluss gehalten,
weil ihr Inhalt Sprengstoff für die biblische Überlieferung
berge. Bevor sie dieses Kolportage-Sachbuch auf den Markt brachten,
hatten sie bereits zwei Bücher veröffentlicht, die dem Roman
von Dan Brown zugrunde
liegen: „Der Heilige Gral und seine Erben“ und „Der Tempel und die
Loge“. Auch hier wurde mit einem Verschwörungsmärchen viel
Geld verdient. Dan Brown hat
dieses Erfolgsrezept noch verbessert: Seine Kriminalgeschichten lesen
sich weitaus flotter, kaum ein Kapitel hat mehr als zwei Seiten. Wusste
sein letztes Buch „Illuminati“ von einer Weltverschwörung von der
alten Freimaurerloge der Illuminaten zu berichten, so jagt in dem Roman
„Sakrileg“ ein Monster der katholischen Geheimgesellschaft „Opus
Dei“ den „Heiligen Gral“ bzw. die letzten Überlebenden aus
der Familie Jesu. Die Erlösergestalt des Romans ist ein
amerikanischer Symbolkundler, Robert
Langdon. Er ist mittlerweile zum Serienhelden avanciert und hat
schon im Illuminatenbuch einen mörderischen Papstanwärter
überführt. Dan Brown
hat schon seinen nächsten Roman angekündgt: Wir dürfen
in naher Zukunft mit einer weiteren freimaurerischen
Weltverschwörung rechnen.
Es ist nicht möglich, in einer Predigt Stellung zu dem weit
gespannten Material zu nehmen, das von dem Buch über die
angebliche Geschichts-fälschung „der Kirche“ angeführt wird.
Ein europäischer Schriftsteller, Umberto Eco, hat in einem
gewaltigen Roman 1988 gezeigt, wie man völlig unverbundene
Sachverhalte zu einer kunterbunten Verschwörungsgeschichte
zusammenbastelt. Leider hat dieser intelligente Roman, „Das Foucauld’sche Pendel“, das
solche Verschwörungen auf den Arm nimmt, keinen so
durchschlagenden Erfolg wie „Sakrileg“
gehabt.
Gut ein Jahr hat Dan Browns "The Da Vinci Code" an der Spitze der "New
York Times" - Bestsellerliste gestanden. In den USA sind inzwischen
mehr als 5,5 Millionen Bücher verkauft worden. Geschickt macht Brown in dem 600 Seiten starken
Roman das zum Thema, was sein Roman betreibt: "Was gibt es
Schöneres als Verschwörungstheorien", fragt die Hauptfigur, Robert Langdon: "Als ein Mann, der
sein Leben der Erforschung verborgener Verbindungen von anscheinend
völlig zusammenhanglosen Emblemen und Zeichen verschrieben hatte,
betrachtete Langdon die Welt
als ein Geflecht vielfältig vernetzter Ereignisse und Geschichten.
Die Verbindungen mögen unsichtbar sein, pflegte er den Studenten
zu predigen, aber es gibt sie trotzdem. Man muss nur ein bisschen an
der Oberfläche kratzen." Das klingt harmlos. Aber wer schon
weiß, was er finden wird, der wird bei seiner Suche in der
Geschichte immer Beweise für eine Verschwörungsidee finden,
sobald er an den historischen Oberflächen kratzt. Wer Maria Magdalena daraufhin
analysiert, ob sie nicht dazu taugt, alle Ungerechtigkeit gegen Frauen
in dieser Figur des Neuen Testaments, wird bei seinem Kratzen an der
Oberfläche bestimmt finden, was er sucht.
Diese Art, mit dem umzugehen, was uns die Geschichte von Menschen oder
unsere christlichen Urahnen an Schriften überliefert haben, ist
sicherlich phantasieanregend. Ein Ergebnis
stellt sich dann aber nie ein: Ich werde niemals verstehen, was die
alten Schriften zu ihrer Zeit wollten und gemeint haben. Und damit
werde ich auch nie eine Korrektur meiner Gedanken erfahren; denn ich
werde nur das finden, was ich zuvor schon dachte.
Sie erinnern sich?
Unzucht, Unreinheit, Habsucht, keine losen Reden. Damit ist markiert,
an was sich ein christliches Leben zu orientieren hat: Es soll sich
nicht an sexuellen Begierden austoben, es soll sich nicht mit Lüge
und Betrug verunreinigen und es soll nicht an materiellen Besitz kleben
und soll auf Klatsch und Tratsch verzichten. Nach der Logik von Dan Brown und seinen Mitstreitern
lässt sich so etwas bequem vom Tisch wischen. Alles, was mir nicht
passt, ist eben eine Geschichtsfälschung der kirchlichen
Weltverschwörung. Was dann übrig bleibt, ist das, was ich
schon vorher richtig fand: meine Lieblingsvorstellungen.
Das macht diese spannende und im guten Sinne unterhaltende Literatur am
Ende doch bedenklich. In den Vereinigten Staaten hat der Erfolg des
Buches viele Diskussionen wachgerufen. Darum wurde es auch von
kirchlicher Seite als Chance begriffen, dass christliche Grundlagen
wieder in die Öffentlichkeit gefunden haben. Das wäre auch in
Deutschland eine wünschenswerte Wirkung. Warten wir ab, ob es auch
hier zu solchen Glaubensgesprächen kommt oder ob mit solchen
Geschichten die Distanz zu unserer Glaubenstradition zunimmt.
Gott schenke Du uns den Mut, es auszuhalten, wenn uns Gedanken der
Heiligen Schrift fremd sind und lass uns prüfen, ob es DEIN
Wille ist; denn dein Friede, welcher höher ist denn alle
Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.