Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn
Jesus Christus.
Paulus schreibt in einem Brief an die Christen von der griechischen
Stadt Thessaloniki, 4,1-8
In dem er sie ermutigt, für ihre Heiligung zu sorgen:
„Weiter, liebe Brüder,
bitten und ermahnen wir euch in dem
Herrn Jesus, da ihr von uns empfangen habt,
wie ihr leben sollt, um Gott zu
gefallen,
was ihr ja auch tut -,
daß ihr darin immer
vollkommener werdet.
Denn ihr wißt,
welche Gebote wir euch gegeben haben
durch den Herrn Jesus.
Denn das ist der Wille Gottes, eure
Heiligung, daß ihr meidet die Unzucht
und ein jeder von euch seine eigene
Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung,
nicht in gieriger Lust wie die Heiden,
die von Gott nichts wissen.
Niemand gehe zu weit
und übervorteile seinen Bruder
im Handel;
denn der Herr ist ein Richter
über das alles,
wie wir euch schon früher gesagt
und bezeugt haben.
Denn Gott hat uns nicht berufen zur
Unreinheit, sondern zur Heiligung.
Wer das nun verachtet,
der verachtet nicht Menschen,
sondern Gott,
der seinen heiligen Geist in euch
gibt.“
Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm
verkündige.
Unsere Heiligung. Unser Heilwerden, unser heilig werden. Ganz ohne Rom,
ohne Heiligesprechung, ganz ohne die Ironie komischer Heiliger. Das ist
das Thema dieses Gottesdienstes.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
„Heilig, heilig, heilig, ist der Herr
Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll, Hosianna in der Höhe.“
Das singen wir, wenn wir Abendmahl feiern. Dieses Lied stammt aus dem
Jesajabuch. Ich bitte Sie zuerst sich in das apokalyptische Bild des
Jesajabuches zu versetzen, ein 2740 Jahre altes Bild, das uns mit der
Heiligkeit Gottes bekannt macht. Unser liturgischer Gesang entstammt
einer gewaltigen Vision, die das Buch Jesaja in unserer Bibel
berichtet. Eine Vision aus dem achten Jahrhundert vor Christus, die
Jesajas Berufung zum Propheten zur Folge hat:
„In dem Jahr, als der König
Usija starb,
sah ich den Herrn sitzen
auf einem hohen und erhabenen Thron,
und sein Saum füllte den Tempel.
Serafim standen über ihm;
ein jeder hatte sechs Flügel:
mit zweien deckten sie ihr Antlitz,
mit zweien deckten sie ihre
Füße,
und mit zweien flogen sie.
Und einer rief zum andern und sprach:
„Heilig, heilig, heilig ist der HERR
Zebaoth, alle Lande sind seiner Ehre voll!“
Und die Schwellen bebten von der
Stimme ihres Rufens, und das Haus ward voll Rauch.
Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe!
Denn ich bin unreiner Lippen
und wohne unter einem Volk von
unreinen Lippen; denn ich habe den König, den HERRN Zebaoth,
gesehen mit meinen Augen.
Da flog einer der Serafim zu mir
und hatte eine glühende Kohle in
der Hand,
die er mit der Zange vom Altar nahm,
und rührte meinen Mund an und
sprach:
Siehe, hiermit sind deine Lippen
berührt,
daß deine Schuld von dir
genommen werde
und deine Sünde gesühnt sei.
Und ich hörte die Stimme des
Herrn,
wie er sprach: Wen soll ich senden?
Wer will unser Bote sein?
Ich aber sprach: Hier bin ich, sende
mich!“
Jesaja beklagt in dieser Vision, dass er unreine Lippen hat. Unreinheit
ist dem Heiligen Feind. Und er entdeckt seine Unreinheit als er Gott
erblickt, den Heiligen.
Das Heilige ist das zu Gott gehörige. Das, was der Mensch nicht
seinem Willen unterwerfen darf. Kaum packt es der Mensch an, kaum
unterwirft er es seinem Willen, entsteht Unreinheit, Entheiligung. Die
Lippen werden von dem vielen alltäglichen Geschwätz unrein.
Sie dienen nicht dem Heiligen, sie singen nicht das Lob Gottes, sondern
drehen sich um Alltagsdinge.
Drastisch weist uns die glühende Kohle auf diese Unreinheit hin:
Wie ein Silbererz in glühendem Feuer von seiner schmutzigen
Schlacke befreit wird, so wird das Unreine von Jesajas Lippen gebrannt.
Die Reinigung hat zur Folge, dass der Gereinigte zum Werkzeug Gottes
werden kann: Er wird ein Bote Gottes, Herr sende mich!
Um Heiligung drehen sich fast alle Religionen. Das Judentum mit seiner
Kaschrut, seinen Speisegesetzen, die eine kultische Reinheit
verbürgen sollen. Der Islam, der vom regelmäßigen Gebet
bis zu den fünf Säulen ein genaues Konzept von Anforderungen
vermittelt, was der Moslem zu tun hat, um geheiligt zu werden. Und
schließlich unsere christliche Religion, die zur Zeit des Paulus
an ihre Anhänger hohe moralische Anforderungen stellte:
Denn das ist der Wille Gottes, eure
Heiligung, daß ihr meidet die Unzucht
und ein jeder von euch seine eigene
Frau zu gewinnen suche in Heiligkeit und Ehrerbietung,
nicht in gieriger Lust wie die Heiden,
die von Gott nichts wissen.
Niemand gehe zu weit
und übervorteile seinen Bruder
im Handel;
denn der Herr ist ein Richter
über das alles,
wie wir euch schon früher gesagt
und bezeugt haben.
Denn Gott hat uns nicht berufen zur
Unreinheit, sondern zur Heiligung.
Ehebruch, Prostitution, sexueller Verkehr mit verwandten und
verschwägerten Frauen, all dies wird von Paulus rund heraus
abgelehnt. Wenn solche Details genannt werden, können wir getrost
darauf schließen, dass es in der hellenistischen Umgebung sehr
lax zuging. Das wird auch für den kleinen Betrug gelten, mit dem
Geschäftspartner übers Ohr gehauen wurden. -
Dass religiöse Meister zum sittlichen Lebenswandel aufrufen, ist
nichts Aufregendes. Dass Paulus uns zu moralisch hochstehenden Personen
erziehen will, ist beinahe selbstverständlich. Was uns an der
Geschichte des Christentums beeindrucken kann ist, dass die Menschen
gerade wegen dieser moralischen Integrität zu den Christen kamen.
Frauen sollten nicht zum Werkzeug männlicher Lüsternheit
gemacht werden. Das ist Ausdruck des christlichen Menschenbildes und
das hat in der Antike tiefe Eindrücke hinterlassen. Und heute?
Wenn in unseren Tagen das Gespräch auf die verschiedenen
Konfessionen kommt, höre ich als Pfarrer oft: Na, Sie sind
wenigstens evangelisch, die Evangelischen sind ja liberaler als die
Katholiken. Das ist auf demselben Niveau wie der unfromme Spruch:
„Alles ist schlechter geworden, nur eins ist besser geworden, die Moral
ist schlechter geworden.“
Evangelische Christen sind danach nicht bemüht, ein vorbildliches
Leben zu führen; evangelische Christen sind danach nicht stolz
darauf, dass sie in ihren Familien in Friede und Freude leben;
evangelische Christen danach haben nichts, was sie als besondere Frucht
ihres Glaubens in ihren Alltag tragen. Und das soll gut sein?
Gut ist diese evangelische Ratlosigkeit vielleicht im Angesicht der
römischen Schwestern und Brüder: Die römische Kirche hat
ein minutiöses Gesetzbuch, das alles vorschreibt, was der
katholische Christ tun und lassen soll und gleich auch noch, was er
glauben soll. Dass diese Gesetze von alten Männern im Vatikan
nicht an Gottes Liebe und am Glück seiner Geschöpfe
orientiert sind, sondern an den Machtkalkülen der römischen
Kirche, das lässt unsere evangelische Liberalität
glänzen – auch wenn es ein billiger Talmiglanz ist.
Die alte aufgeklärte evangelische Kirche, die ihre Blütezeit
etwa in der Zeit erlebte, als unsere Ringkirche gebaut wurde, war von
sich überzeugt: Wir sind die vernünftigste Kirche der Welt
und wer etwas anderes glaubt, wird untergehen. So wie die katholische
Kirche heute darauf wartet, dass die Kirchen der Aufklärung
untergehen werden, so war damals der Protestantismus davon
überzeugt, dass die römisch-katholische Kirche nur noch eine
Frage der Zeit ist.
Und im Kern geht es bei diesen beiden westlichen Konfessionen der
Christenheit um die Ausgangsfrage: Was muss der Mensch tun, um
Heiligung zu erlangen.
Als Evangelische sind wir überzeugt: Du wirst kein guter Christ,
wenn du alle Auflagen Roms erfüllst. Aber reicht das? Sicherlich
nicht.
Was muss ich tun? Von den traditionellen Werten, die Paulus mit
Überzeugung vorträgt, hat sich die evangelische Theologie
distanziert. Das, was in der Antike Christen unverwechselbar gemacht
hat, bedeutet uns heute nicht mehr viel.
Dass evangelische Christen besser aushalten können, dass es noch
andere Religionen und Konfessionen gibt, ist auf diesem Hintergrund
nicht verwunderlich: Die viel gepriesene evangelische Toleranz
wäre bestimmt eine Stärke, wenn sie nicht im Verdacht
stünde, eine Schwäche zu sein. Wenn ich zu den eigentlichen
Lebensfragen von Menschen in ihrem Alltag wenig zu sagen habe, kann ich
prima damit leben, dass andere Religionen und Kulturen andere Antworten
geben.
Ich denke, dass die evangelische Kirche ihrem Namen nur dann gerecht
wird, wenn sie von dem Satz des Paulus berührt und bewegt wird: „Gott hat uns nicht berufen zur
Unreinheit, sondern zur Heiligung.“ Und damit müssen wir
auch wieder einen gemeinsamen Weg suchen, wie wir Heiligung erlangen
können. Dazu muss die evangelische Kirche auch den Mut haben das
zu benennen, was uns Menschen verunreinigt.
Der große Königsberger Philosoph Immanuel Kant hat einmal
auf den Punkt gebracht, was Menschen unter keinen Umständen tun
dürfen: Ein Mensch darf niemals einen Menschen als Mittel zum
Zweck missbrauchen. Wer heute die Nachrichten in Zeitung, Radio oder
Fernsehen zur Kenntnis nimmt, der wird feststellen, dass überall
der Mensch zum Kostenfaktor, zum Risikoelement oder zur
vernachlässigbaren Größe herabgemindert wird. Es ist
dabei völlig egal, ob es um Gesundheitspolitik oder um
Umstrukturierungen bei Opel geht.
Es ist nichts davon zu spüren:
Dass der Mensch Ursprung, Ziel und Träger aller menschlicher
Vergemeinschaftungen sein soll, und dass er dies soll, weil er ein
Geschöpf Gottes ist. Das ist eine Botschaft, die heute wichtiger
ist, als je zuvor. Darum, weil unsere Gegenwart auf unheiligen Wegen
unterwegs ist. An diesem Punkt müssten sich römische und
evangelische Christen eigentlich Seite an Seite befinden. Weil es darum
geht, dass Menschen die Chance bekommen müssen, ihren
persönlichen Weg zur Heiligung zu finden. Auch wenn diese Wege im
Einzelnen unterschiedlich aussehen.
Gott, lass Du uns unseren Weg finden, wie wir Heiligung erlangen, denn
dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre
unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.