Predigt > Predigtarchiv



Am 17. Oktober, dem 19. Sonntag nach Trinitatis ging die Predigt von Ralf-Andreas Gmelin von dem Epheserbrief  4,22-32 aus:

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Der Epheserbrief antwortet auf die Frage:
Christ sein - was für Folgen hat das?
Wenn Christus für dich gestorben ist, was machst Du dann mit deinem Leben?
Der Epheserbrief führt aus:

Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel,
der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet.
Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn
und zieht den neuen Menschen an,
der nach Gott geschaffen ist
in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten,
weil wir untereinander Glieder sind.
Zürnt ihr, so sündigt nicht;
laßt die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen,
und gebt nicht Raum dem Teufel.
Wer gestohlen hat, der stehle nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das nötige Gut,
damit er dem Bedürftigen abgeben kann.
Laßt kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist,
was erbaut und was notwendig ist,
damit es Segen bringe denen, die es hören.
Und betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid für den Tag der Erlösung.
Alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung seien fern von euch
samt aller Bosheit.
Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern,
wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.

Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Maria und Marta:
Beide Schwestern erleben ein Wunder: Jesus Christus kommt zu ihnen. Er ist keine Nachricht von weither, er ist keine Geschichte aus uralten Zeiten, er ist ihr Gast, tritt durch ihre Tür und wird ein teil ihres Lebens. Beide gehen mit diesem Wunder unterschiedlich um: Maria erstarrt in Untätgkeit, öffnet ihre Ohren und ihr Herz. Marta treibt es um, ihre Ohren möchten vielleicht hören, aber ihre Hände geben das Kommando. Alles muss so gut wie möglich vorbereitet werden, wenn ein wunderbarer Besuch da ist. Aber der Kopf von Marta füllt sich mit Unbehagen: Warum reiße ich mir ein Bein aus und meine Schwester sitzt bei unserem besuch – und schafft gar nichts! Sie beschwert sich, Marta: Ist das gerecht, dass eine wie ein Wiesel flitzt und die andere sitzt herum und hört nur zu?

Sie bekommt von Jesus eine unbefriedigende Antwort: Beides ist wichtig. Das Offensein und das Zuhören, das aufmerksame Nichtstun einerseits. Und andererseits das Handeln, das Sorgen dafür, dass diese Welt weiter läuft.

Liebe Gottesdienstgemeinde,
in Maria und Marta begegnen uns die beiden Seelen in unserer eigenen Brust: Einerseits unser Wunsch, irgendetwas zu bewegen, aktiv zu sein, unser Leben nicht zu verschlafen, sondern zu gestalten. Und andererseits die Sehnsucht, die Seele baumeln zu lassen, die Sehnsucht nach Tiefe und Ernsthaftigkeit, die uns zu uns selbst kommen lässt. Wenn wir diese Sehnsucht nicht hätten, dann gäbe es keine Urlaubsreisen mehr, die Konzertsäle dieser Welt stünden leer und Theater und Oper hätten kein Publikum. Ob ich mich am Strand in die Sonne lege und nichts tue oder ob ich auf meinem Klappsessel Tönen und Klängen lausche, ich denke, dass mich eine große Sehnsucht nach Tiefe begleitet, nach einem erfüllten Leben, das ich in meinem Alltag, in meiner Hektik und Aktivität nicht finde.

Unser aktives Leben steht unter der Bedrohung, dass es sich rasch nur noch um sich selbst dreht. Sachzwänge legen fest, was ich tun soll. Ich drehe mich nicht um mein Leben, sondern um Sachen. Friedrich Schiller beschrieb dieses Gefühl mit dem deutlichen Worten:
„Das ist der Fluch der bösen Tat,
dass sie fortdauernd Böses muss gebären.“

Und so lese ich auch den Epheserbrief, der uns rät:
„Legt von euch ab den alten Menschen mit seinem früheren Wandel,
der sich durch trügerische Begierden zugrunde richtet.
Erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn
und zieht den neuen Menschen an,
der nach Gott geschaffen ist
in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“

Wie können wir neu werden? Wie kann sich unser Geist und Sinn in einen neuen Menschen verwandeln?
Diese Frage ist die Frage des Benedikt von Nursia, der mit seinen Klosterregeln den Menschen helfen wollte, sich auf das Heilige zu konzentrieren. Seine Antwort ist klar: Löse dich aus dem Betrieb der Welt, so weit es geht und konzentriere DICH auf eine Gegenwelt, die es in einer festen Gemeinschaft zu bauen gilt. In das Kloster konnten auch die Menschen von der Welt kommen. Sie konnten dort die heiligen Gesänge der Mönche hören und mit ihrem Hören auch ein klein wenig von dem Heil abbekommen, das das heilige Leben der Mönche erzeugt.

Mehr uns mehr Menschen nutzen auch heute wieder solche Rückzugsorte, um sich selbst zu suchen: Klöster werden von vielen Christen gern besucht und auch die evangelischen Kirchen haben mittlerweile Einkehrhäuser, wie das „Haus der Stille“ unserer Kirche, das in Waldhof-Elgersahusen steht.

Auch unsere Kirchen werden mehr und mehr wieder zu „heiligen Orten“, zu Orten, wo wir etwas von Gottes Gegenwelt spüren wollen. Und wir suchen nach einer Gegenwelt Gottes, weil unsere rationale Welt mit ihren wirtschaftlichen Ängsten, Betriebsschließungen und Rentenproblemen uns nicht ausfüllt. Das aktive Leben, das sich allein um solche – durchaus schwer wiegenden Fargen dreht, steht eines Tages vor einem Berg: „War’s das schon oder kommt’s erst noch?“ Wohl dem der dann noch Zeit hat und der nicht zu spät feststellt, dass dies sein Leben gewesen ist.

Schon der junge Martin Luther fragt sich, wie die Heiligung des Christen geschehen kann, wenn sich die heiligen Orte, die heiligen Orden und die heilige Kirche als eine Räuber- und Lasterhöhle erweisen und niemand seine Seele einer solchen durch Machtgier zersetzten Institution anvertrauen kann. Ihm bleibt nur, das ganze menschliche leben zum Heiligen Raum zu erklären. Drastisch schildert er das mit dem Bild von der einfachen Magd, die eine Stube mit frommem Herzen kehrt. Sie hält damit einen würdigeren Gottesdienst als ein Priester in seinem heiligen Kleid.

Damit dreht Luther die Welt des Heiligen Benedikt von Nursia geradezu auf den Kopf: Wollte der einen heiligen Bezirk aus der Welt herausnehmen, öffnet nun Martin Luther die Heiligkeit für das gesamte Dasein: Das Heilige soll die Welt durchdringen wie ein klein wenig  Sauerteig den gesamten Teig. Zur Zeit Luthers gelten die „Werke des ersten Gebots“ als besonders heilig. Als solche gelten: Liturgisch Singen, Lesen und Orgeln, die Messe halten, Messen, Vespern und andere Tagzeiten beten, Kirchen, Altäre und Klöster stiften, Schätze sammeln von Schmuck, Glocken, Kleinodien, liturgische Kleider und Geschmeide, und schließlich nach Rom oder zu den Heiligen laufen, also Pilgerfahrten unternehmen.“ Solche großartigen heiligen Handlungen hält Luther für Werke der Unsicherheit und Zweifels im Glauben. Wer mit Gott nicht einig ist, oder an ihm zweifelt, der will Gott mit tüchtigen Werken bewegen. „Er läuft nach St. Jakob, nach Rom, nach Jerusalem, hierhin und dahin, … fragt diesen und jenen und findet doch keine Ruhe und tut das alles … unter Unlust seines Herzens.“

Was das für Luther bedeutet, bekommt am härtesten sein direkter Freund und Nachbar Philipp Melanchthon ab. Der berichtet eines Tages stolz von einem wunderschönen Kirschblütenast, den er sich im Zimmer aufgehängt hat, damit der ihn an die Herrlichkeit Gottes erinnere. Luther verweist ihn rüde auf seine Kinder, die Melanchthon sich anschauen solle: An seinen eigenen Kindern könne Melanchthon die Herrlichkeit Gottes erkennen und zugleich auch die Aufgabe, die ihm Gott damit gibt. Nicht das Besondere, der Schmuck, das Fest, die Zeremonie oder die Pilgerfahrt bringt dich Gott näher, sondern wenn du mit deiner Arbeit tust, was Gott von dir will. So sagt Luther einmal: „Von Arbeit stirbet kein Mensch. Aber von ledig und müßig gehen kommen die Leute um Leib und Leben; denn der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.“

In der Arbeit liegt der rechte Gottesdienst. Dabei gilt das auch für Arbeitslose: Ihnen ist als Arbeit aufgegeben, ihr Schicksal zu tragen und trotz ihres Unglücks für die Menschen einzustehen, die ihnen anvertraut sind. Und Luther weiß aus eigener Erfahrung: Wer handelt, macht Fehler und sündigt damit. Wieder ist es Philipp Melanchthon, der Luther mit seinem Perfektionismus rasend macht. Melanchthon möchte alles richtig machen – und damit verhindern, dass Gott ihm etwas vergeben muss. Er bekommt von Luther den Kopf zwischen die Ohren gesetzt: „Wenn du ein Prediger der Gnade bist, dann predige eine wahre Gnade, wenn es eine wahre Gnade ist, dann trage keine erdichtete Sünde vor. Gott heilt nicht erdichtete Sünder. Sei ein wahrhaftiger Sünder und sündige kräftig, aber glaube noch kräftiger und freue dich in Christus, der ein Sieger über Sünde, Tod und Welt ist. Bete kräftig, auch als der kräftigste Sünder.“ (1521)

Der gläubige Christ bekommt von Gott in seinem leben und Alltag eine Aufgabe gestellt und hat hier seinen Glauben an die Gnade zu bewähren: Tu etwas, sei auch tapfer zur Sünde bereit, den das kannst Du nur, wenn Dein Glaube an Gottes Gnade groß genug ist. Von diesem Platz des Glaubens inmitten der Welt geht die Gestaltungsmacht des Protestantismus aus. Und die Begeisterung für den eigenen Alltag, in dem uns Gott zahllose kleine und große Chancen eröffnet, unseren Glauben zu bewähren, das ist die Tiefe, die viele von uns in ihrem Leben vermissen.

Luther hat in seinem konsequenten Kampf gegen eine machtgierige römische Kirche den Glauben aus deren Klauen gerettet. Er würde heute im Deutschland unserer Zeit eine gähnende Wüste der Seelenlosigkeit erkennen. Und darum bin ich sicher: Er wäre von der Notwendigkeit überzeugt, dass die Kirchen zu lebendigen heiligen Orten werden, in denen wir lernen können, unseren Alltag mit unserem Glauben zu durchdringen.

Die Stimmung, die in unseren Kirchen herrschen soll, damit unsere Begeisterung wächst, stellt sich ein, wenn wir auf den Epheserbrief hören:
„Seid aber untereinander freundlich und herzlich und vergebt einer dem andern,
wie auch Gott euch vergeben hat in Christus.“

Das schick DU uns, denn Dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.