Am 8. August, dem 9. Sonntag nach
Trinitatis war in der Ringkirche eine Predigt zu hören, in der
Ralf-Andreas Gmelin, Heinrich Heine zu Wort kommen ließ:
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn
Jesus Christus.
Ein Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi, einer Stadt im
heutigen Griechenland, sagt, dass der christliche Glauben alles umkehrt
und dass angesichts des Reiches Gottes die Juwelen dieser Welt zu
wertlosen Glasperlen werden. Was uns als Gewinn erscheint, ist nach dem
Maßstab des Glaubens nur Verführung, aufs falsche Pferd zu
setzen. Es heißt im Philipperbrief: (Phil 3,7-14)
Aber was mir Gewinn war,
das habe ich um Christi willen
für Schaden erachtet.
Ja, ich erachte es noch alles
für Schaden gegenüber der überschwänglichen
Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn.
Um seinetwillen ist mir das alles ein
Schaden geworden,
und ich erachte es für Dreck,
damit ich Christus gewinne
und in ihm gefunden werde,
daß ich nicht habe meine
Gerechtigkeit,
die aus dem Gesetz kommt,
sondern die durch den Glauben an
Christus kommt, nämlich die Gerechtigkeit,
die von Gott dem Glauben zugerechnet
wird.
Ihn möchte ich erkennen
und die Kraft seiner Auferstehung
und die Gemeinschaft seiner Leiden
und so seinem Tode gleichgestaltet
werden,
damit ich gelange zur Auferstehung
von den Toten.
Nicht, daß ich's schon
ergriffen habe
oder schon vollkommen sei;
ich jage ihm aber nach,
ob ich's wohl ergreifen könnte,
weil ich von Christus Jesus ergriffen
bin.
Meine Brüder,
ich schätze mich selbst noch
nicht so ein,
dass ich's ergriffen habe.
Eins aber sage ich:
Ich vergesse, was dahinten ist,
und strecke mich aus nach dem, was da
vorne ist,
und jage nach dem vorgesteckten Ziel,
dem Siegespreis der himmlischen
Berufung Gottes in Christus Jesus.
HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.
Es gibt wenige Geschichten, die den Vergleich zwischen den
Maßstäben der Welt und den Maßstäben der Religion
so auf den Punkt bringen, wie eine Szene in den Reisebildern von
Heinrich Heine, die er im Jahr 1828 aufgeschrieben hat. Im
italienischen Lucca treffen wir einen Lotterieeinnehmer aus Hamburg,
der sich als Diener eines reichen Herrn namens Gumpel
durchschlägt.
Liebe Gottesdienstgemeinde, hören wir auf das Gespräch, das
sich dort in südlichem Lande entspinnt:
„Sind Sie etwa kein Freund der katholischen Religion?“ - „Ich bin ein
Freund davon, und bin auch wieder kein Freund davon“, antwortete jener
mit bedenklichem Kopfwiegen. „es ist eine gute Religion für einen
vornehmen Baron, der den ganzen Tag müßig gehen kann, und
für einen Kunstkenner; aber es ist keine Religion für einen
Hamburger, für einen Mann, der sein Geschäft hat, … Ich habe
oft zu Herrn Gumpel gesagt: ‚Ehrenwerte Exzellenz sind ein reicher Mann
und können katholisch sein so viel sie wollen, und können
sich den Verstand katholisch einräuchern lassen, und können
so dumm werden wie eine katholische Glocke, und Sie haben doch zu
essen; ich aber bin ein Geschäftsmann und muss meine sieben Sinne
zusammenhalten, um was zu verdienen. … Dabei muss ich Ihnen auch
gestehen, Herr Doktor, dass mir die katholische Religion nicht einmal
Vergnügen macht, und als ein vernünftiger Mann müssen
Sie mir Recht geben. Ich sehe das Pläsir nicht ein, es ist eine
Religion, als wenn der liebe Gott, gottbewahre, eben gestorben
wäre, und es riecht dabei nach Weihrauch, wie bei einem
Leichenbegängnis, und dabei brummt eine so traurige
Begräbnismusik, dass man die Melancholie bekommt - ich sage Ihnen,
es ist keine Religion für einen Hamburger.“ -
„Aber Herr Hyazinth, wie gefällt Ihnen denn die protestantische
Religion?“ - „Die ist mir wieder zu vernünftig, Herr Doktor, und
gäbe es in der protestantischen Kirche keine Orgel, so wäre
sie gar keine Religion. Unter uns gesagt, diese Religion schadet nichts
und ist so rein wie ein Glas Wasser, aber sie hilft auch nichts. Ich
habe sie probiert und diese Probe kostet mich vier Mark und vierzehn
Schilling.-„
„Wieso, mein lieber Herr Hyazinth?“ - „Sehen Sie, Herr Doktor, ich habe
gedacht: das ist freilich eine sehr aufgeklärte Religion, und es
fehlt ihr an Schwärmerei und Wunder; indessen, ein bisschen
Schwärmerei muss sie doch haben, ein ganz klein Wunderchen muss
sie doch tun können, wenn sie sich für eine honette Religion
ausgeben will. Aber wer soll da Wunder tun, dacht ich, als ich mal in
Hamburg eine protestantische Kirche besah, die zu der ganz kahlen Sorte
gehörte, wo nichts als braune Bänke und weiße
Wände sind, und an der Wand ein schwarz Täfelchen hängt,
worauf ein halb Dutzend weiße Zahlen stehen. Du tust dieser
Religion vielleicht Unrecht, dacht’ ich wieder, vielleicht können
diese Zahlen ebenso gut ein Wunder tun wie ein Bild von der Mutter
Gottes oder wie ein Knochen von ihrem Mann, dem heiligen Joseph, und um
der Sache auf den Grund zu kommen, ging ich gleich nach Altona und
besetzte eben diese Zahlen in der Altonaer Lotterie, die Ambe besetzte
ich mit acht Schilling, die Terne mit sechs, die Quaterne mit vier und
die Quinterne mit zwei Schilling - Aber ich versichere Sie auf meine
Ehre, keine von den protestantischen Nummern ist herausgekommen. Jetzt
wusste ich, was ich zu denken hatte; jetzt dacht’ ich, bleibt mir weg
mit einer Religion, die gar nichts kann, bei der nicht einmal eine Ambe
herauskommt - werde ich so ein Narr sein, auf diese Religion, worauf
ich schon vier Mark und vierzehn Schillinge gesetzt und verloren habe,
noch meine ganze Glückseligkeit zu setzen?“ -
„Die altjüdische Religion scheint Ihnen gewiss viel
zweckmäßiger, mein Lieber?“
„Herr Doktor, bleiben Sie mir weg mit der altjüdischen Religion,
die wünsche ich nicht meinem ärgsten Feind. Man hat nichts
als Schimpf und Schande davon. ich sage Ihnen, es ist gar keine
Religion, sondern ein Unglück.“ …
Hier verlassen wir den Dialog des Reisenden mit Herrn Hyazinth aus
Hamburg, der mit den Maßstäben des weltläufigen
Hamburger Geschäftsmannes die Religionen beurteilt. Und er ist so
etwas wie der Vordenker unserer Zeit geworden:
Die Religionen müssen vor dem Tribunal der Welt nachweisen, was
sie leisten.
Jeder einzelne fragt nach dem Nutzen für sich und entscheidet, ob
es sich dafür lohnt, weiterhin Kirchensteuer zu zahlen.
Die Kirchen beeilen sich, auf ihre Leistungen für das Gemeinwesen
und für soziale Aufgaben hinzuweisen, denn eine Einrichtung, die
Gottes Gerechtigkeit inmitten einer ungerechten Welt verkündigt,
langt schon lange nicht mehr.
Unsere Zeit ist längst zum Abonnenten der Altonaer Lotterie
geworden - in religiöser Hinsicht.
Aber nicht mit so entwaffnender Offenheit wie Herr Hyazinth bei
Heinrich Heine, der selbst als zum Protestantismus konvertierter Jude
in ironischer Verfremdung Fragen eingebaut hat, die ihn ganz
persönlich betroffen haben - vom Antijudaismus seiner Zeit bis zu
der mangelnden Begeisterung für einen nüchternen bis
herzlosen Protestantismus. -
Gott schenke Du uns Deine Maßstäbe, die unsere Welt am
Himmel messen, an Deinem Reich und an der Gerechtigkeit, die vor Dir
gilt.
Hilf uns, dass uns die Maßstäbe unserer Welt den Weg zu Dir
nicht absperren, denn dein Friede, welcher höher ist denn
alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.