Konfirmationspredigt
am 6. Juni 2004
von Ralf-Andreas Gmelin
in der
Evangelischen Ringkirche Wiesbaden
Liebe Konfirmandinnen,
liebe Konfirmanden,
bei Eurem Rückblick auf Eure Konfi-Zeit habt Ihr
hauptsächlich davon gesprochen, wie es Euch miteinander gegangen
ist. Manche unter Euch fanden sich am Anfang ziemlich doof und haben
sich besser kennen - und schätzen gelernt. Manche haben sich
kennen gelernt und es hat der Wertschätzung eher geschadet.
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, sowohl in Eurem Alter als auch
bei uns Älteren, dass wir uns aufeinander verlassen können.
Und das bedeutet: Wenn ich Dich eine Weile nicht gesehen habe,
möchte ich dennoch, dass ich Dich das nächste Mal wieder
erkenne. Dass Du Dich nicht so gewandelt hast, dass Du mir jetzt fremd
bist. Dass für Dich das immer noch gilt, was Du mir einmal gesagt
hast. Wie man das früher gesagt hätte: Dass Du ehrlich bist.
Mit dieser Ehrlichkeit, mit diesem Festbleiben bei dem, wozu ich einmal
Ja gesagt habe, steht es in unserer Zeit nicht zum Besten.
Flexibilität ist das Schlagwort unserer Tage: „Immer schön
flexibel bleiben“, mich dünn machen oder mich aufplustern, mich
stromlinienförmig anschleimen oder wie ein Fels in der Brandung
stehen. Wie es gerade passt, wie es gewünscht wird, wie der
Arbeitsmarkt, wie Lehrer, wie Chefs und unsere Obrigkeiten es gerade
als erforderlich ausgeben.
Und dazu die passende Lebensabschnittsgefährtin oder den gerade
passenden Lebensabschnittsgefährten wählen! Dauer, Treue und
Ehrlichkeit sind im Flexibilitätszeitalter nur
Störgrößen. Das Menschenbild, das unsere Kirche seit
2000 Jahren als Vorbild hinstellt, passt in unsere flexible Zeit nicht
mehr. Wie ein Dinosaurier steht die Ringkirche in dieser Stadt, die mit
dem Verkehrschaos des Jahres 2004 um sie herum tobt. Wie ein
Dinosaurier ist unser christliches Menschenbild in einer Zeit, die
alles der Flexibilität unterwirft.
Und trotzdem: Ihr 15 Konfirmandinnen und Konfirmanden wollt Euch mit
diesem Dinosaurier verbinden. Mit Eurer Konfirmation legt Ihr ein
Bekenntnis ab, dass es uns Menschen gut tut, wenn wir fest bleiben,
„konfirmiert“: Fest an Gott und fest an dem, was Gott von uns Menschen
will.
Und wenn wir uns die alte Geschichte von Adam und Eva anschauen - in
der Kirche dürfen wir ja ruhig bei Adam und Eva anfangen: Sie ist
kein Werbespot für Flexibilität. Am flexibelsten ist die
Schlange im Baum der Erkenntnis. Sie würmelt sich trotz der Beine,
die sie noch hat, durchs Geäst. Dann schleimt sie sich in das
Vertrauen der Menschen ein: „Glaubt doch nicht, was Gott Euch sagt. Ich
weiß es besser. Los, macht schon. Schmeißt alles über
Bord, was Ihr bis eben noch gedacht und geglaubt habt. Und dann geht’s
ab mit Euch: Ihr werdet sein wie Gott.“
Adam und Eva waren ehrliche, einfältige Wesen. Sie haben treu zu
dem gestanden, was ihnen gesagt worden ist. Und dann trat mit der
Schlange die Flexibilität in ihr Leben und sie wurden untreu,
unehrlich und windelweich. Eva berichtet der Schlange, was Gott ihr
gesagt hatte: Ihr werdet sterben, hatte Gott angedroht, wenn Ihr vom
Baum der Erkenntnis esst. Und das macht die Schlange zum Prototypen
aller Flexibilitätsverführer, sie verknüpft die
Lüge mit der Wahrheit: „Ihr werdet keineswegs des Todes sterben,
sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure
Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und
böse ist.“
Mit dieser Flexibilität hätte die Schlange auch heute noch
gute Chancen, die höchsten politischen Ämter zu erreichen.
Die traurige Wahrheit immer schön, nett und freundlich verpacken,
dass sie wie eine verführerische Schönheit auftritt! In
diesem Falle zischt die Schlange das Verführerische: „Euch werden
die Augen aufgehen und ihr werdet wissen, was gut und böse ist“.
Hinter dieser bunt verpackten Freudenbotschaft „Wir werden sein wie
Gott“ steht die bedrohliche Wahrheit: „Ihr werdet wissen, dass Ihr
eines Tages sterben müsst!“
Das ist der flexible Umgang mit der Wahrheit.
Und so fliegt man raus aus dem Paradies.
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
so lange ist das bei Euch gar nicht her, dass Ihr noch ganz ehrlich
wart, dass Ihr noch gar nicht schwindeln konntet, - als Ihr noch Babies
wart: Denn Windeln lügen nicht!
Aber wie wir alle habt Ihr die Flexibilisierung der Ehrlichkeit bereits
mitgemacht. Bei jedem Wort müsst Ihr zwischen Lüge und
Wahrheit, zwischen richtig und falsch auswählen. Das Paradies
wäre, wenn wir alle wieder ehrliche, aufrichtige Menschen
wären, die sich auf einander verlassen könnten. Aber genau
dieses Paradies ist uns verloren gegangen.
Wir wollen von Euch heute ein ehrliches aufrechtes und festes „Ja, mit
Gottes Hilfe“ hören. Und das in einer Zeit, in der der
berühmte Satz von Konrad Adenauer, dem ersten Bundeskanzler der
Bundesrepublik Deutschland in beängstigender Weise populär
geworden ist: „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“
Es ist wichtig, dass Ihr auch morgen und übermorgen zu diesem Ja
steht. Mit dem christlichen Glauben steht es nicht zum Besten. Da sind
viele „flexibel“ geworden und haben vergessen, wozu sie selbst einmal
Ja gesagt haben. Gestern vor genau 1250 Jahren ist der große
Missionar der Deutschen, Winfrith, genannt Bonifatius, von den Friesen
umgebracht worden. Für manche Zeitung war das gestern ein Grund,
einmal nachzusehen, wie es um die christliche Religion in Deutschland
heute steht:
Der Islam ist zur zweitgrößten Religionsgemeinschaft
aufgestiegen. Die beiden großen Kirchen haben noch immer rund 53
Millionen Mitglieder, das sind etwas mehr als 63 Prozent der 82
Millionen Deutschen. Es gibt mehr Katholiken als Protestanten, aber in
den neuen Bundesländern dominieren die Konfessionslosen mit 75
Prozent. Seit Bonifatius hat es Verhältnisse wie dort auf
deutschem Boden nicht gegeben: Zwei Drittel der Menschen in der
ehemaligen DDR sind keine Christen. Das ist rekordverdächtig: Die
Gebiete rund um Wittenberg, wo Martin Luthers Reformation ihren Ausgang
genommen hat, ist heute neben Tschechien der am stärksten
"entkirchlichte", wenn nicht unchristlichste Teil Europas.
Aber auch bei uns schrumpfen die Volkskirchen: Allein in den
vergangenen sechs Jahren ist die Zahl ihrer Mitglieder um 1,9 Millionen
zurückgegangen. Nur eine verschwindende Minderheit "praktiziert"
ihren Glauben: 14 Prozent der Kirchenmitglieder, zehn Prozent
Katholiken, vier Prozent Protestanten, gehen regelmäßig zum
Gottesdienst, Ihr, Konfirmandinnen und Konfirmanden, kennt das von
Euren Kirchenbesuchen im vergangenen Jahr.
So sieht Eure Gegenwart aus, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden.
Wenn in ungefähr zwei Jahrzehnten die Mehrheit der
Bevölkerung in Deutschland muslimisch sein wird: Was werden sie
von Euch denken? Seid Ihr dann feste Christen, die selbstbewusst zu
Jesus Christus halten? Und die darum auch tolerant sind, weil sie
wissen, wo sie hingehören? Oder habt Ihr im Jahr 2024 den heutigen
Tag, Euer Ja und Eure Bindung an Kirche und Christus längst
vergessen, weil Ihr müde geworden seid. Müde im Kampf um ein
bisschen Wohlstand, um Spielzeuge, die Euch ein paar Tage, Wochen oder
Monate begleiten und die dann auf unseren gewaltigen Mülldeponien
verschwinden?
Dieses Ja von Konfirmandinnen und Konfirmanden wird in den
nächsten Jahrzehnten wichtiger werden, weil unser Land sich
grundlegend wandeln wird. Seid Ihr dann flexibel, wachsweich,
stromlinienförmig angepasst an eine Kultur, die weder für
Jesus Christus noch für seine Kirche Platz haben wird?
Oder steht Ihr fest zu Eurem Ja von heute?
Paulus bewundert die Wunderwege Gottes, als er an die Christen in Rom
schreibt, an eine kleine Minderheit: „O welch eine Tiefe des Reichtums,
beides,
der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!
Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege!“
Röm 11, 33
Liebe Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden,
unbegreiflich und unerforschlich sind die Wege Gottes. Wir wissen darum
auch nicht genau, wie Eure Zukunft aussehen wird.
Wir, Eure Ringkirchengemeinde, wünschen Euch, dass Ihr ehrliche,
aufrichtige Menschen und Christen seid. Christen, die für das
einstehen, was uns Jesus Christus als die wichtigsten beiden Gebote
aufgetragen hat: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem
Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt“ Das andere aber ist
dem gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
Gott schenke Du uns allen die
Einsicht, dass DU uns einen kostbaren Schatz anvertraut hast, den wir
nur erhalten können, wenn wir fest und ehrlich sind, wenn wir
morgen noch wissen, wer wir heute sind,
mach uns fest, Gott,
denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft,
bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.