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Am Pfingstsonntag war in der Ringkirche die folgende Predigt von Ralf-Andreas Gmelin zu hören, die über die Aktualität des Pfingstereignisses (Apostelgeschichte 2, 1-18 und 2,1) nachdachte:


Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Eine Geschichte aus der Apostelgeschichte des Lukas führt uns zu dem Geheimnis des Pfinsgtwunders. Es heißt dort: (Apg 2,1-18 2 1)

Das Pfingstwunder

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander.
2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.
3 Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen,
4 und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.
5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel.
6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.
7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa?
8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache?
9 Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien,
10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom,
11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden.
12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden?
13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.
14 Die Pfingstpredigt des Petrus
Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle,
die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und laßt meine Worte zu euren Ohren eingehen!
15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage;
16 sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5):
17 »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geistauf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben;
18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.

Herr, tu meine Lipppen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm bekenne!

Ein gewaltiges Brausen.
Einer spricht, seine Worte verdichten sich.
Die Worte sind nicht mehr wichtig,
eine Kraft geht aus der Spannung hervor, Menschen sind nicht mehr zu halten,
erst sind sie noch distanziert, dann werden sie ergriffen, dann sind sie außer Kontrolle und schließlich nur noch Hingabe.

Liebe Pfingstgemeinde,
wünschen Sie sich auch mal, so aus dem Alltagshäuschen zu sein?
Eine Kraft zu spüren, die Sie herausreißt, neu macht und ein neues Gefühl gibt?

Und dann sitzen Sie hier im Gottesdienst, spüren die hölzerne Bank unter sich, spüren Ihre kalten Füße, irgendwo her zieht es in Ihren Kragen und da vorne erzählt irgendeiner irgendetwas.

Wo ist hier der Raum für den heiligen Geist?
Wo soll er hier wehen?

Die Predigt ist gebundene Rede.
Nicht spontan erfunden, nicht im blinden Vertrauen auf den heiligen Geist mit geöffneten Händen empfangen und dann auf die versammelte Gemeinde hernieder geregnet.

Sondern am Schreibtisch in vielen Stunden Arbeit geplant, überarbeitet, wieder gestrichen und neu formuliert. In ein Predigtskript ausgedruckt, in das Ringbuch gefaltet und hier vorgetragen.

Nicht mal so ein nett persönlicher Blick wie im Fernsehen, wo selbst die Wetterkarte hinter der Kamera abgelesen wird und darum die Sprecher uns Zuschauer so nett anschauen können, so als gäbe ihnen der heilige Geist ihre freundlichen Kommentare ein.

Nein, die Heilig Geist-Show in der Ringkirche ist auch an Pfingsten nicht perfekt. Jeder Zirkus hat eine rundere Manege und buntere Sensationen, jedes Kabarett hat einen lustigeren Geist, jedes Parlament hat die Gewähr, dass nach der Debatte mehr passiert als nach einem Gottesdienst. Und dennoch: Sie sind gekommen. Sie sind da. Und ich hoffe, mit der Erwartung, dass hier in der Ringkirche nicht einfach eine mäßige Pastoralshow abgeht, sondern dass hier etwas wirkt, was im Zirkus nicht zu finden ist, was im Kabarett nur stört und im Parlament fehl am Platz wirkt.

Hans von Campenhausen erzählt die Geschichte von dem Gottesdienstbesuch eines preußischen Superintendenten. Nachdem der kirchliche Vorgesetzte den Gottesdienst gehört und gesehen hat, beginnt er mit dem Pfarrer ein Gespräch. „Sagen Sie Herr Amtsbruder“, fragt er vorsichtig, „wann beginnen Sie eigentlich Ihre Predigtvorbereitung?“ - „Freitags, manchmal auch erst am Sonnabend.“ - „So. Ich wähle mir meinen Text meist schon am Montag aus, meditiere ihn, mache am Mittwoch den Entwurf und bin am Freitag, manchmal auch erst am Sonnabend damit fertig.“ - „Ja. Herr Superintendent, die Gaben sind eben verschieden.“ - „Es scheint so. Arbeiten Sie die Predigt sorgfältig aus?“ - „Den ersten Teil schreibe ich meist wörtlich nieder, den Zweiten in Stichworten, und den Rest überlasse ich dem Heiligen Geist.“ - „Da muss ich Ihnen mein Kompliment machen, Herr Amtsbruder“, erwidert der Superintendent unverändert liebenswürdig: „Sie predigen erheblich besser als der Heilige Geist. Aber wissen Sie, was der Heilige Geist einmal Claus Harms gesagt hat, als er - nach Ihrer Methode präpariert - auf der Kanzel stand? Er hat es selbst überliefert - nichts weiter als: „Claus, du bist faul gewesen.“

So weit die Geschichte von der Verwaltung des Heiligen Geistes durch die Kirche.  Der Prediger, der sich auf den Heiligen Geist verlässt, ist mitunter verlassen. Claus Harms, der hier zitiert wird, war im 19. Jahrhundert einer der großen volkstümlichen Erweckungsprediger in Norddeutschland, der die Nähe zu seinen späteren Hörern gelernt hatte als er selbst noch ein Bauernknecht und Müllerbursche war. Er gehörte sicherlich zu den großen Betern, die es nicht schwer hatten - und haben - Gott um seinen Geist zu bitten. Und dennoch: Claus Harms sagt ganz deutlich: Der Fleiß gehört dazu. Nicht das faule Warten darauf, dass Gott, dass der heilige Geist meine Arbeit macht. Und das gilt für die Predigt wie für den Rest des Lebens. Natürlich würde es uns viel Mühe und Zweifel abnehmen, wenn uns ein großes Brausen überfällt, wenn wir von einer Woge der Begeisterung weggetragen werden aus unserem Alltag. Aber es ist unsere Aufgabe die Geister zu scheiden und Gott zu bitten, dass ER uns die richtige Entscheidung treffen lässt.

Der Heilige Geist tritt in dieser kleinen Geschichte als faule Ausrede auf. Und wer auf die große Welle Gottes wartet, der schiebt Gott die Verantwortung für die eigene Faulheit, für die eigene Entschlusslosigkeit oder die eigene Untätigkeit zu.

Und wer die große Welle, das große Brausen inszeniert, der lädt sich damit auch eine große Verantwortung auf: Und Sie kennen - vielleicht sogar aus eigener Erfahrung Momente, wo ein Geist aufbraust und die Menge davonträgt: Legendär wurden die Konzerte der Beatles oder der Rolling Stones und manche politische Massenkundgebung des letzten Jahrhunderts. Sie alle beweisen: Ein Geist brauste über die Menge, aber Gottes Geist war es nicht!

Nein, unsere Heilig-Geist-Show ist auch an Pfingsten nicht perfekt. Jeder Zirkus hat eine rundere Manege und buntere Sensationen, jedes Kabarett hat einen lustigeren Geist, jedes Parlament hat die Gewähr, dass nach der Debatte mehr passiert als nach einem Gottesdienst. Und dennoch: Auch in Zeiten erlebnishungriger Menschen, die alles tun, um sich irgendwie einen Kick zu geben, darf die Kirche nicht zum Eventort verkommen. Das kirchliche Bodenpersonal hat sich an der Schrift zu orientieren. Es soll mit Arbeit und Fleiß tun, was seines Amtes ist. Es soll  sich Mühe geben mit den Worten unserer Heiligen Schrift. - Und weder auf die Spontaneität hoffen, dass der heilige Geist sich schon rechtzeitig einstellen wird, noch sich mittels  Pappnase oder Teleprompter einer Unterhaltungsgesellschaft anpassen. Beide Wege  werden der geistlichen Verantwortung und Schriftbindung nicht gerecht.

Es ist unmodern geworden, die Heilige Schrift für heilig zu halten. Es klingt naiv, wenn ein Mensch Jesus Christus als seinen Herrn und Heiland bezeichnet. Aber ohne die Schriftbindung ist das Brausen des Geistes eine gewaltige Illusion, ein Sturmwind der Verwirrung und nicht der Orientierung. Ohne den Herrn und Heiland Jesus Christus ist die ganze Kirche ohne Kopf und Christen sind die Glieder eines kopflosen Gespenstes.

Wenn ich in meinem Leben einen Weg suche, den ich gehen kann, wenn es mir ernst ist, dass ich den Weg suche, den mir Gott aufgegeben hat, dann brauche ich verbindliche Wegzeichen. Rückenwind ist herrlich, wenn man noch einen weiten Weg vor sich hat. Der Rückenwind ist aber keine Garantie dafür, dass ich auf dem rechten Weg bin: Rückenwind kann mich leicht in die verkehrte Richtung treiben.

Das Wegzeichen von Christen ist die Heilige Schrift. Sie zeigt uns den Weg. Der Heilige Geist gibt uns dann Rückenwind und macht uns Mut, diesen Weg zu gehen. Von dem Stolz des Protestantismus, jedem Christen einen Zugang zur Bibel, zur Heiligen Schrift verschafft zu haben, ist nicht mehr viel übrig: Und da führt ein unheiliger Weg von der Gleichgültigkeit gegenüber der Bibel zu Elternhäusern in denen nicht gelesen wird und in denen Kinder groß werden, die es für überflüssig halten, sich mit Büchern wie der Bibel auseinanderzusetzen. Zwischen der Kirchenkrise und dem schlechten Abschneiden der deutschen Schüler der Pisastudie  herrscht da ein innerer Zusammenhang.

Petrus predigt davon, dass der Heilige Geist ausgegossen wird in der ganzen Welt zeugen Pfingstgemeinden von der Wirkung derer, die ohne große Predigtvorbereitung mit Stammeln Schreien und Zungenreden so tun, als hätte der heilige Geist von ihnen Besitz ergriffen. Und ich glaube ihnen, dass da ein Geist in ihr Denken und Empfinden eingreift. ich fürchte nur, es ist ein ganz anderer Geist als der Geist Gottes.
Am nächsten Sonntag, wenn wir Konfirmation feiern, singen wir traditionell: „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen.“

heute an Pfingsten dürfen wir das Lied auch umdrehen: Wir sollen zur Burg Gottes werden. Wir sollen seinen Geist in uns aufnehmen und wir sollen der Ort werden, wo Gott auf unserer Erde zuhause ist.
Der Heilige Geist wohnt in jedem von uns, wenn wir ihn dort wirken lassen und er fügt uns zusammen zu seiner lebendigen Kirche. Die Kirche ist die Folge vom Wirken des heiligen Geistes. Darum ist auch unser Kirchenbau kein leeres Gehäuse, gebaut aus Steinen und Schweiß, sondern ein lebendiges Zeichen, dass Gott den Anspruch erhebt auf dieser Erde zuhause zu sein, die er geschaffen hat und noch erhält. Damit seine Kirche, damit jeder einzelne von uns dem Geist Gottes folgt und nicht dem Brausen irgendwelcher Wahnvorstellungen, bedarf es der Orientierung.

Wer zur Orientierung nach einem Wegzeichen sucht, der dreht keine feurigen Pirouetten. Er behält Bodenkontakt und sucht die Ränder seiner Wirklichkeit ab. Wer nach Gottes Wegzeichen sucht, braucht dafür keinen Wirbelsturm. Der Gottesdienst ist kein guter Zirkus, er ist kein perfektes Kabarett, hier gibt es nicht die lustigsten Clowns und die originellsten Kostüme.

Der Gottesdienst ist ein stetiges Suchen nach der Richtung, die Gott seiner Christenheit aufgibt. Er ist das Gebet, dass der heilige Geist uns suchen hilft und dass er uns Rückenwind gibt für den richtigen Weg. Das ist seine Aufgabe. Darum ist weniger schrill, bunt, schräg und hip. Gut, wenn die Christenheit sich vom Geist rufen lässt und wenn sie sich in Gottesdiensten dieser Such unterzieht; über alle Kirchen- und Konfessionsgrenzen hinweg.

Gott lass uns finden, wenn wir aufrichtig suchen, lass unsere Gottesdienste dazu dienen, dass DU uns näher kommst und Orientierung gibst, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.