Predigt> Predigtarchiv

Was suche ich im Gottesdienst, was finde ich im Gottesdienst? Das sind die Fragen, die sich der Themengottesdienst am 19. Oktober 2003 (18. Sonntag nach Trinitatis) stellte, den Agnete Brüning, Ralf-Andreas Gmelin (RAG), Heike Menche und Ursula Tänzer gestaltet haben:

RAG:  Was geschieht, wenn wir Gottesdienst feiern?

Liebe Gottesdienstgemeinde,
darüber, was geschehen soll, wenn wir Gottesdienst feiern, darüber gibt es katholisch oder evangelisch und ich vermute auch orthodox eine Menge Bücher. Aber, was wirklich geschieht, das können wir nicht in Büchern lesen, sondern das kann nur jeder und jede von uns hier in einem solchen Gottesdienst erleben. Die, die an einem ganz normalen Sonntag wie diesem in einen Gottesdienst gehen, haben ihre eigenen, individuellen Gründe und die haben auch ihre eigenen Erinnerungen: Ihre ganz persönliche Geschichte mit dem Gottesdienst.

Wenn ich meine persönliche Geschichte rückwärts schaue, dann hat sich viel verändert. Ich hatte als Jugendlicher zwei Orte, wo ich Gottesdienst gefeiert habe: Seit dem Konfirmandenunterricht war der eine Ort die Kapelle auf dem Alten Friedhof in Gießen, wo mein Konfirmator, der alte Bekenntnispfarrer Gerhard Bernbeck, jeden Sonntag Gottesdienst hielt. Ich habe seine Predigten glaube ich nie verstanden. Es war mir auch egal. Gottesdienst war für mich etwas, das mit Gott zu tun hatte. Das musste ich nicht verstehen. Der zweite Ort meiner Jugendzeit war ein Kämmerchen hinter meinem Zimmer, wo ich eine alte Bibel stehen hatte. Und darin las ich. Nicht jeden Abend, aber immer wieder. Ich habe nicht verstanden, was ich gelesen habe. Aber es war mir auch egal. Es war eine Geschichte, die ich von Gott geschenkt bekomme. Unabhängig davon, ob ich sie verstehe. Irgendwann wollte ich verstehen. Egal, ob das meinem Glauben sehr zuträglich war. - Ich habe einmal von einer ehemaligen Kirchenvorsteherin meiner alten Gemeinde, in der ich Pfarrer war, ein schönes Kompliment in diesem Sinn bekommen. Sie erinnerte sich an die erste Predigt, die sie von mir hörte mit dem Satz: „Das war gar keine richtige Predigt, ich habe ja jedes Wort verstanden.“

Wir hören nun ein paar zufällige, persönliche Erlebnisse, die dazu einladen sollen, dass Sie Ihre eigene Gottesdienstgeschichte wachrufen.

Heike M.:
Liebe Gottesdienstgemeinde,
Pfarrer zu sein, ist gar nicht so einfach, wie mir beim Sammeln und Aufschreiben meines persönlichen Gottesdiensterlebnisses auffiel. Ich habe mich dafür entschieden, Ihnen von einem meiner ersten Gottesdienste oder vielleicht war es sogar der erste Gottesdienst in der Ringkirche zu erzählen.

Früher als Kind war ich jeden Sonntag im Kindergottesdienst gewesen und auch während und nach der Konfirmandenzeit war der Gottesdienst für mich kein Muss, sondern etwas, wo ich gerne und freiwillig hinging. Mit der Oberstufe und dem Studium jedoch kam der Bruch mit dem sonntäglichen Ritual, da gab es andere Interessen und oftmals war es schöner, einfach auszuschlafen.

Gegen Ende des Studiums wiederum, ich wohnte mittlerweile schon einige Zeit in Wiesbaden, erwachte das Interesse an Kirche und Gottesdienst neu. Ich wollte einerseits an meine früheren Erlebnisse im Gottesdienst anknüpfen, aber auch erfahren, wie anderswo Gottesdienst gefeiert wird, fernab von meiner alten Gemeinde. Vor mir lag, aber das konnte ich damals noch nicht wissen, ein sehr schweres Jahr; im Nachhinein habe ich manchmal gedacht, vielleicht hat Gott mich auch in die Kirche geführt, um mir Gemeinschaft aufzuzeigen und mich erfahren zu lassen, daß es eine Kraft gibt, die immer für mich da ist. Jedenfalls kam im Rahmen dieses Gottesdienstes während des Agape-Mahls Pfarrer Gmelin auf mich zu, fragte, wer ich sei und erzählte mir, daß auch er recht neu sei in der Gemeinde. Er zeigte sich für ihm unbekannte Gesichter offen und hat sich Zeit genommen, mir zuzuhören.

Das ist es, was ich mir für den heutigen Gottesdienst und im Anschluß daran für das Café Ringkirche wünsche:  Daß wir offen aufeinander zugehen, dem anderen zuhören und uns einander öffnen. Das wünsche ich auch besonders denjenigen, die heute möglicherweise selbst zum ersten Mal oder einige ihrer ersten Male in der Ringkirche sind und das ist ein Wunsch, der sich nicht nur an die Pfarrer richtet, sondern an jeden einzelnen von uns, die wir hier sind: Lassen Sie uns einander näherkommen!

Agnete B.:
In meiner Jugend war regelmäßiger Gottesdienstbesuch für mich so selbstverständlich wie für Heike Menche. Einige Jahre war ich aktiv in meiner Heimatgemeinde in Mainz. Die Menschen, das Gebäude, der Ablauf des Gottesdienstes, sie wurden mir dabei so vertraut,  dass ich noch heute das Gefühl habe, nach hause zu kommen, wenn ich Gelegenheit habe, dort einen Gottesdienst zu erleben.

Einen Augenblick im Kirchenjahr empfinde ich als besonders eindrucksvoll: In jeder Osternacht wird die Botschaft: „Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden“ von den Gottesdienstbesuchern aufgenommen  und alle die nicht aus Deutschland stammen, sprechen dieses Wort in ihrer Muttersprache. Aus allen verschiedenen Richtungen hört man diesen Satz, manchmal 20 Mal. Wenn ich mich an diese Momente erinnere, bekomme ich eine Gänsehaut.

Ursula T.:
Ich fühle mich immer wohl in verschiedensten Gottesdiensten, wenn ich Vertrautem begegne. Das können Lieder sein oder Gebete oder auch die Liturgie. So fühlte ich mich in einem Gottesdienst der liberalen Synagoge in Jerusalem gleich mit den Menschen verbunden, weil wir gemeinsam aus einem englischen Gesangbuch Lieder sangen, zum Teil mit deutschen Melodien. So konnten wir gemeinsam Gott preisen. Ähnlich geht es mir in einem katholischen Gottesdienst: Singen, bekannte Lieder, das Vaterunser, zusammen beten, die vertrauten Texte aus der Bibel hören.

Ich finde es gut, wenn der Gottesdienst nicht so bitter ernst ist. Hierzu eine Anekdote: Ein Vater war mit seinen Kindern im Gottesdienst. Unzufrieden kommt er nach Hause. Er bemängelt die zu kurze Predigt, das zu leise Orgelspiel, den mangelhaften Chorgesang. Einer seiner Sprösslinge bemerkt darauf: „Aber Vater für die zehn Pfennige, die Du in die Kollekte gegeben hast, war es doch ein ganz anständiges Programm!“ -

In manchen Gottesdiensten spricht mich auch die Predigt so persönlich an, dass ich fast das Gefühl habe, der Pfarrer würde nur zu mir sprechen. Dann behalte ich mir einen Satz und versuche, mich während der Woche immer wieder daran zu erinnern und darüber nachzudenken. Ich nehme ein Stück Gottesdienst in den Alltag: Das macht mich froh.

RAG:
Was suche ich im Gottesdienst? Was finde ich im Gottesdienst? Stimmt das überein? Habe ich heute in der Ringkirche gefunden, was ich dort gesucht habe? Oder gehe ich hungrig von hier fort, weil meine Seele nicht bekommen hat, wonach sie sich sehnt?

Ein Kollege verglich manche Gottesdienste damit, dass man einem Hungernden eine Speisekarte zu lesen gibt. Die Speisekarte stimmt vielleicht - nur satt wird von ihr niemand. Am letzten Sonntag feierte die äthiopisch orthodoxe Kirchengemeinde hier in der Ringkirche ihren Gottesdienst. Ich erfuhr, dass die meisten Gemeindeglieder genau so wenig von dem liturgischen Gesang verstanden wie ich, weil er in einer alten Kirchensprache Ge’ez gehalten wird. Und dennoch kamen 80 Äthiopier zusammen und es war ihnen abzuspüren, dass etwas Wichtiges mit ihnen geschieht.

Das was in einem Gottesdienst passiert ist sehr unterschiedlich, das haben wir auch in den Beispielen gehört: Manches bewegt uns, weil wir es von Jugend an kennen, manches freut uns, weil es uns neu ist, Manche Begegnung im Gottesdienst ist möglich und bedeutsam, manches kann ich mit in meine Woche nehmen, auch wenn sie weit weg ist von Kirche, Glauben und Christentum.

Das, was Christen weltweit im Gottesdienst suchen, ist vermutlich ein Zeichen von Gott. Und ich glaube, dass Gott sich mit solchen Zeichen auch heute noch finden lässt. - Nur sind seine Zeichen nicht unsere Zeichen und er passt sie nicht an unsere Erwartungen an. Gott gibt seine Zeichen sicher auch außerhalb von Gottesdiensten und Heiligen Messen, unabhängig von Liturgien. Aber er hat seinen Kirchen versprochen, dass er sich hier finden lassen will. Ich wünsche uns allen Geduld und freudige Erwartungen, dass wir im Gottesdienst ein Zeichen von Gott empfangen. Und dass wir in Gottesdiensten nach solchen Zeichen suchen.
Gott, lass uns im Gottesdienst finden, Amen.