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Am 28. September 2003, dem 15. Sonntag nach Trinitatis spürte Ralf-Andreas Gmelin dem Motiov nach: „Der christliche Narr“ Ausgangspunkt war Matthäus 6, 25-34:

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Ein Geschichte aus dem Matthäusevangelium führt uns in die Gelassenheit derer, die sich nicht ständig Sorgen machen. Wir lesen im Kapitel 6:
„Darum sage ich euch: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt? Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen. Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß jeder Tag seine eigene Plage hat.“ (Mt 6,25-34)

Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Nein die Narren kommen im Neuen Testament nicht gut weg. Zehn mal wird das Wort in der Bibel benutzt und jedes Mal zeigt es einen Menschen, der auf dem falschen Weg ist.  Im Matthäusevangelium sagt Jesus: „Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig.“ Mt 5,22

Eindeutig: „Narr“ ist die schlimmste aller Beleidigungen. Der Narr ist im Neuen Testament einer, der nicht begriffen hat, das sein Leben von Gott geschaffen wurde und dass er nur leben kann, wenn er auf die Regeln Gottes achtet. Aus der Perspektive der biblischen Zeit leben wir heute in einem Zeitalter der Narren. Darum erzählt das Lukasevangelium, dass Gott den zurechtweist, der ohne ihn meint leben zu können: „Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?“ Lk 12,20.
 

Liebe Gottesdienstgemeinde,

was Martin Luther in seiner Bibelübersetzung von 1545 „Narr“ nennt, das ist ein Dummer, eigentlich mehr ein „Tor“ als ein „Narr“. Die griechischen Worte, die er mit „Narr“ übersetzt meinen einen unverständigen Menschen, der nicht begreift, was gut für ihn ist. Das ist bei einem Sprachgenie wie Luther sicher kein Zufall. Zu seiner Zeit gibt es noch Hofnarren, die Spaßmacher bei den Mächtigen, die mit gewitzten Bosheiten den gekrönten Häuptern all das sagen durften, was für andere Verbannung oder Tod bedeutet hätte. Dafür trugen sie eine Uniform, deren Hut eine Kappe mit Eselsohren zeigte. Der Tor ist der Narr, weil er sich auf seinen Witz verlässt - und nicht auf Gott.

Das Wort Narr bezeichnete ursprünglich einen von Geburt an anders gearteten Menschen, einen der körperlich anders aussah, der manchmal anders dachte und sich anders verhielt. Das sich gerade solche Menschen eine natürliche, naive Offenheit bewahren, das fiel im Mittelalter auf und darum wurden solche - sonst unterdrückte - Menschen sogar an die Fürstenhöfe geholt, um dort als eine Mischung von Zirkusclown und Präsidentenberater zu wirken. Und irgendwann erlangten die Narren Weltruhm. Zu den wichtigsten Beiträgen Spaniens zur Weltliteratur gehört ohne jeden Zweifel Miguel de Cervantes „Don Quichote“ - die Geschichte eines ritterlichen Narren, der gerade in seiner Narrheit eine besondere Weisheit aufblitzen lässt.

Die Neuzeit hat im Hinblick auf den Narren ihr Menschenbild gegenüber der Antike - und damit auch der Bibel geändert. Die Antike war orientiert am Idealbild des Weisen. Der Weise ist einer, der sich einordnet, weil sein Verstand ihm signalisiert, dass er nicht so wichtig ist. Das Buch der Sprüche, die Figur des König Salomo aus der Bibel, aber auch die Gedanken der fernöstlichen Philosophen Lao Tse und Konfutse, sind orientiert am Ideal des weisen Menschen.

Es war das Christentum, das dieses antike Weisheitsideal umstieß und die heilige Torheit verkündigte. Und mit dem Glauben, der der Welt eine Torheit ist, tritt auch der auf, der sich nicht an die Klugheiten der Welt hält: Der Narr. Auch wenn der Narr in der christlichen Vergangenheit wenig Sympathie bekam, immer wieder treten in der Geschichte der Christenheit Menschen auf, die völlig neu und originell denken - und die mit ihren Ideen anecken. Der christliche Narr, der sein Vorbild in dem hat, den wir mit unserer Ehrfurcht vor seinem göttlichen Charakter nicht Narr nennen: Jesus Christus.

Vor der Welt sind solche Ratschläge, die Jesus in unserem Predigttext gibt, die reine Narretei: „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung? Seht die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? ... Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen? Was werden wir trinken? Womit werden wir uns kleiden? Nach dem allen trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr all dessen bedürft. Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit,  so wird euch das alles zufallen.“ Wer so spricht, setzt alles herab, worum sich unser bürgerliches Leben dreht: Schule, Arbeit, Ehrgeiz, Konsum. Jesus - doch der Narr?

Ein christlicher Narr des 12. Jahrhunderts ist Jesus in dieser Hinsicht gefolgt. 1182 wird ein Junge geboren in der kleinen italienischen Provinzstadt Assisi. Als sein Vater, ein wohlhabender Tuchhändler, von einer Frankreichreise zurückkommt, gibt er ihm den Namen „Francesco“. Francesco, Franz wächst in behüteten Verhältnissen auf, sein Vater ist reich und er hat eine Kindheit und Jugend ohne Entbehrungen. Mit 20 Jahren nimmt er an einem Krieg teil und kämpft gegen die Nachbarstadt Perugia. Er wird gefangen genommen und aus Kriegsgefangenschaft befreit. Franz hat sich verändert. Er bleibt in sich gekehrt und unternimmt eine Wallfahrt nach Rom.

Ein Kruzifix, ein Abbild des gekreuzigten Christus beginnt zu ihm zu sprechen. Er soll ein Kirchlein bei Assisi restaurieren, das dort verwahrlost und herunter gekommen ist. Franz klaut einen Tuchballen im Geschäft seines Vaters und möchte das Geld dafür einsetzen. Er wird zur Rede gestellt. Er gibt das Geld zurück, aber auch alles andere, was er von seinem Vater hat, bis hin zur Kleidung. Er sagt sich von dem Vater und dem Wohlstand los, lebt von Almosen und arbeitet an der Renovierung von heruntergekommenen Kirchen. Franz wird ein asketisch lebender Wanderprediger, in vielem in den Fußtapfen von Jesus Christus. Adolf Holl, ehemaliger Wiener Pastor und auch ein wenig ein religiöser Narr, hat Franz ein literarisches Denkmals gesetzt. Darin heißt es: „Wir werden nicht in den Fehler verfallen, Franz mit den Augen der Funktionäre und Beamten zu sehen, indem wir uns der von ihnen benutzten Formeln bedienen. Wir werden Franz weder als Heiligen noch als Ketzer betrachten. Wir werden Franz als den Narren erkennen, als den er sich selber bezeichnet hat; als einen, der Mächtige beim Arm nimmt, um ihnen wie ein Kind die Wahrheit zu sagen, mit einer Kraft, die sie zum Schweigen bringt.“ Diesem Ziel dient das ganze Buch, das den provokativen Untertitel trägt: „Der letzte Christ“.

Holl erzählt: „Es war Franzens Wille, die Lehren des Herrn Jesus wortwörtlich zu verstehen und peinlich genau zu praktizieren. Aus diesem Grund ordnete er an, dass der Bruder Koch das Gemüse für den nächsten Tag keinesfalls am Abend vorher in heißem Wasser einweichen durfte, so wie man das üblicherweise machte. Damit wollte er eine Weisung der Bergpredigt befolgen, die da lautet: ‚Sorget euch nicht um den morgigen Tag.’ So tat denn der Koch die getrockneten Erbsen oder Bohnen immer erst zeitig am Morgen ins Wasser, nach den Frühgebeten nach Sonnenaufgang. So etwas lässt sich nicht erfinden. Vielleicht versteht man jetzt besser, warum wir Franz den letzten Christen genannt haben.“

Eine zweite Geschichte wird aus Assisi erzählt. Franz wird von einer Horde Kindern begleitet, die fröhlich die Wertvorstellungen ihrer Zeit herausrufen: „Pazzo, Pazzo“ - „Einfaltspinsel“. Nach fünfzehn Jahren hatte Franz noch immer das Geschrei der Kinder in den Ohren, die ihm auf sehr direkte Weise seinen neuen sozialen Ort mitteilten - den eines Narren. Die göttliche Botschaft aus Kindermund wurde durch einen Regen von Steinen und Abfall unterstützt.“

Franz hat dieses Leben eines Narren, das Leben als ein frommer Narr durchgehalten. Viele sind ihm und seinen Idealen gefolgt und aus den „Minderbrüdern“ wurde wenige Jahre nach dem Tod von Franz der mächtige und einflussreiche Franziskanerorden. Das hätte Franz nicht gefallen, denn in dieser Einrichtung hatten Narren keinen Platz mehr. Franz sagte einmal: „Der Herr sagte mir, dass ich in dieser Welt ein Tor werden soll. Gott würde uns Christen keinen anderen Weg, als den Weg einer törichten Weisheit führen. Aber Gott wird euch durch eure eigene Weisheit und Gelehrsamkeit verwirren.“

Da stehen wir nun am Ende dieser Predigt mit unserer eigenen Weisheit und Gelehrsamkeit und müssen erkennen, dass der Weg zur einem Narrenleben wie das des Franz von Assisi sehr weit ist. Franz hat mit seinem Leben und mit seinen Ideen wichtige Impulse gesetzt. Der letzte Christ war er nicht. Da widerspricht der Protestant dem Katholiken Adolf Holl. Auch wenn im christlichen Glauben dieser Impuls zum Narren steckt, Gott vergibt uns auch, wenn wir diesem Impuls nicht folgen. Ob wir dazu zu schwach sind oder ob wir den Weg der Narrheit als falsch erachten. Weil wir an diese Vergebung Gottes glauben sind wir Christen - und auch noch nicht die letzten.

Aber das Beispiel von Franz will uns Mut machen, der Torheit Gottes mehr zu vertrauen als der Weisheit der Menschen. Paulus hat gesagt:
„Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.“1.Kor 1,25

Es ist nicht leicht, damit im eigenen Leben ernst zu machen. Aber die Narren Gottes beweisen, dass dies ein Weg ist, der zu Glück und zur Harmonie mit Gott führt. Gott schenke Du uns den rechten Mut, und den Weg zu dem, was in unserer Welt als unklug gilt, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.