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Bei einem Gottesdienst, den die Ringkirchengemeinde zusammen mit der Stephanusgemeinde in deren Kirchraum hielt, ging die Predigt von Ralf-Andreas Gmelin aus von der Geschichte der Speisung der Fünftausend, wie sie das Johannesevangelium erzählt (Joh 6,1-15):

Die Geschichte von der Speisung der Fünftausend
Danach fuhr Jesus weg über das Galiläische Meer, das auch See von Tiberias heißt. Und es zog ihm viel Volk nach, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber ging auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. Es war aber kurz vor dem Passa, dem Fest der Juden. Da hob Jesus seine Augen auf und sieht, dass viel Volk zu ihm kommt, und spricht zu Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? Das sagte er aber, um ihn zu prüfen; denn er wusste wohl, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Für zweihundert Silbergroschen Brot ist nicht genug für sie, dass jeder ein wenig bekomme. Spricht zu ihm einer seiner Jünger, Andreas, der Bruder des Simon Petrus: Es ist ein Kind hier, das hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; aber was ist das für so viele? Jesus aber sprach: Lasst die Leute sich lagern. Es war aber viel Gras an dem Ort. Da lagerten sich etwa fünftausend Männer. Jesus aber nahm die Brote, dankte und gab sie denen, die sich gelagert hatten; desgleichen auch von den Fischen, soviel sie wollten. Als sie aber satt waren, sprach er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrigen Brocken, damit nichts umkommt. Da sammelten sie und füllten von den fünf Gerstenbroten zwölf Körbe mit Brocken, die denen übrig blieben, die gespeist worden waren. Als nun die Menschen das Zeichen sahen, das Jesus tat, sprachen sie: Das ist wahrlich der Prophet, der in die Welt kommen soll. Als Jesus nun merkte, dass sie kommen würden und ihn ergreifen, um ihn zum König zu machen, entwich er wieder auf den Berg, er selbst allein.
 

Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Liebe Gottesdienstgemeinde,

die Geschichte der Christenheit ist ein bunter Flickenteppich. In diesem Teppich gibt es graue Flicken, die mühsam etwas verdecken, Löcher verschließen und nicht ansehnlich, aber nützlich sind. Und es gibt Flicken, die hervor strahlen. Und zu den schönen, begeisternden und fruchtbaren Flicken gehört diese Geschichte von der Speisung der Fünftausend, in der das Unmögliche Wirklichkeit wird: Es ist zu wenig da für alle, aber alle werden satt. Eine Geschichte, die sich heute um so dringlicher wünschen lässt. Es gibt mehr Rechner als jemals in der Geschichte der Menschheit. Es wird mehr gerechnet von Köpfen und von Maschinen als je - und dennoch: Es gab noch niemals in der Geschichte der Menschheit so viel Hungernde wie heute.

Wenn Jesus Christus kommt, dann werden alle satt.
- Zu schön, um wahr zu sein.
Und dennoch: Was sich da auf der grünen Wiese zusammensetzt, ist das Urbild der christlichen Gemeinde: Wir sind zusammen, um etwas von Jesus Christus zu hören und wir essen und trinken miteinander. Auch wenn wir Evangelische das gemeinsame Essen und Trinken unchristlich selten tun, indem wir nur einmal im Monat Abendmahl feiern: Wir tun auch heute morgen nichts anderes. Aber auf der grünen Wiese, in der Ringkirche oder hier in Stephanus: Dort, wo Christen sich treffen, wo Christen spüren, dass sie verbunden sind durch Jesus Christus, da beginnt ein Menschheitstraum. Der Traum, dass unter uns Menschen ganz heimlich, still und leise das Reich Gottes in einer christlichen Kultur heranwächst, bis es keinen Hunger,
bis es keine Ungerechtigkeit, keinen sozialen Vorrang mehr gibt. Der Traum, dass alle Menschen sich strebend bemühen, zu einem edlen und seinem Schöpfer würdigen Menschen zu werden. Der Traum, dass alle Menschen ihr Leben vor Gott verantworten, dass keiner mehr an der Nadel hängt, um sich zu vergiften, dass auf den Straßen keine Besoffenen mehr herumfallen, um den Rest der Welt zu vergessen.

Das geistige Band um diese frühe Gemeinde ist die Erinnerung an Jesus Christus, und das gemeinsame Gebet ist die Kraftquelle dieser Gemeinschaft.
Auch und gerade, weil die Welt da draußen ganz anders ist. Auch und gerade, weil auch damals die Welt draußen ganz anders war. Im Großen, wo Ungerechtigkeit herrscht und herrschte unter den Staaten, zwischen den mächtigen Riesen und den ohnmächtigen Zwergen. Aber auch im Kleinen, hier in dieser Stadt, wo wir überall auf Ungereimtes, Ungerechtes und Trauriges schauen können.

Immer wieder ist die Vision von einer vollendeten Gemeinde, wo alle satt werden, für Christen zum Vorbild geworden, denen das Leben von Christen in einer nicht allzu christlichen Welt zu wenig war. Eine Vision, die in diesen Tagen nachdenklich macht, in denen die Unterstützung für Menschen durch den Staat gekürzt wird. Gut und wünschenswert wäre es, wenn diese Unterstützung gekürzt wird, weil man Mittel und Wege gefunden hätte, Menschen wieder in den Arbeits- und Erwerbsprozess zu integrieren. Aber die Wirklichkeit zieht nur ein Loch im Staatshaushalt zu.

Es zeigt sich nicht nur heute, es hat sich immer wieder hat gezeigt, dass das Reich Gottes nicht einfach durch Visionen und guten Willen entsteht: Vor einigen Jahren erschreckte uns die Meldung, dass die "Amish people", die eine Art christlichen Kommunismus im US-amerikanischen Pennsylvanien leben, von der amerikanischen Bundespolizei wegen Rauschgiftgeschäften beobachtet wurden. Auch diese christliche Sondergemeinschaft kann - trotz Sittenstrenge, Gottesdienstpflicht und Verzicht auf technische Hilfsmittel - das Reich Gottes nicht aus eigener Machtvollkommenheit aufbauen. In Pferdekutschen und unter schwarzen Gewändern lauern die gleichen Gefahren, Versuchungen und Sehnsüchte wie draußen für den Rest der Welt. darin unterscheidet sich der amische Flicken nicht von anderen im Webteppich des Christentums.

Eine eigenartige Form von Gemeinde auf Zeit habe ich einmal in einer Schweigewoche erlebt. Ab einem Stichtag wurde geschwiegen. So wie es Aufgabe der Karthäusermönche ist, ihr Leben schweigend zu verbringen, versanken auch mehr als ein Dutzend Teilnehmende in Schweigen. Der Mund durfte nur zum Lobe Gottes geöffnet werden: Zum Gesang bei der täglichen Morgenandacht und zu Liedern beim täglichen Abendmahlsgottesdienst. Jeder Tag beginnt mit einer gemeinsamen - schweigenden - Meditation über ein Bibelwort. Aufgabe eines jeden Tages waren vier Stunden Gebetsmeditation, die jeder für sich durchführen kann. Das einzige Gespräch, das an jedem Tag vorgesehen war, war ein Austausch mit einem geistlichen Begleiter, in meinem Falle ein Jesuitenpater aus Frankfurt.

Das, was ich da kennen und schätzen gelernt habe, waren die Exerzitien, die Ignatius von Loyola vor fast 500 Jahren erfunden hatte. Diese Exerzitien haben in der katholischen Welt in der Seelsorge fast die Bedeutung gehabt, die die Reformation Luthers in unserer evangelischen Welt hatte: Durch sie hat sich sehr viel verändert. Und, was man sich fast auch ohne kirchengeschichtliche Kenntnisse denken kann: Zwischen den Jesuiten, die mit den Exerzitien groß und bedeutend wurden und den Kirchen der Reformation entwickelte sich rasch eine grundlegende Feindschaft:
Die Jesuiten wurden in den ersten Jahren innerhalb des Katholizismus verdächtigt, eine lutherische Ketzerei zu sein. Um dem entgegen zu wirken schlossen sie sich darum dicht an den Papst an. Die reformatorischen Kirchen setzten die Jesuiten mit den Interessen des Papstes gleich und hatten auch da und dort mit echter Konkurrenz zu kämpfen: Gegen die evangelischen Schulen, die unter dem Bildungskonzept von Philipp Melanchthon entstanden, setzte die jesuitische Seite wohlkonzipierte katholische Bildungsanstalten. Und obwohl Konkurrenz manches Mal durchaus gesund ist, liebt man ja leider seinen Konkurrenten nur in seltenen Fällen.

In den Exerzitien zeigt sich heute manchmal ein großer ökumenischer Fortschritt - trotz der in Rom auch jetzt wieder neu ausgerufenen Eiszeit: Ohne jedes kirchendiplomatische Vertragswerk bilden katholische und evangelische Christen für einige Tage eine feste Einheit von Christen, die ihre Zeit ausschließlich dazu nutzen, nach Gott zu fragen und nach Gottes Willen für die eigenen Entscheidungen. Ganz selbstverständlich kann ein Jesuitenpater Beichtvater eines evangelischen Pfarrers sein und Katholikinnen nahmen wie selbstverständlich am täglichen evangelischen Abendmahl teil. Nach dem Schweigen in solchen Exerzitien verläuft sich diese "Gemeinde auf Zeit" wieder; aber es ist erstaunlich, dass man Menschen auch näher kommt, mit denen man den ganzen Tag kein Wort wechselt.

Auch diese Exerzitiengemeinde beweist, dass die Gemeinden Gottes ein bunter Flickenteppich ist, auf dem das Reich Gottes heranwächst. Das Reich Gottes legt sich nicht auf eine bestimmte Farbe fest, es bindet sich nicht an Konfession, Hautfarbe, Intelligenz oder Reichtum. Es wächst unscheinbar hier in der Stephanusgemeinde, in der Ringkirchengemeinde oder im Gebiet von St. Bonifatius, an unzähligen Orten der Welt und ist ein Stachel im Fleisch der Ungerechtigkeit, die zu dem Leben der Welt dazugehört.

Die Vision für die christliche Gemeinde aus der Johannesevangelium: Aus der Erfahrung, dass das Unmögliche Wirklichkeit wird, überwindet die Gemeinschaft der Glaubenden die Enge dieser Wirklichkeit. Ein starkes Gemeinschaftsgefühl beim Essen und Trinken, die Bereitschaft, das Lebenswichtige zu teilen, die Verkündigung von Jesus Christus und das Gebet - das sind Verheißungen, die auf jedem Feld dieses christlichen Flickenteppichs auf fruchtbaren Boden fallen können.

Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie schon einmal ein Samenkorn des Reiches Gottes gefunden haben und dass Sie es auch in Zukunft dann finden, wenn Sie die Hoffnung besonders brauchen, die allein Gott schenkt.

Gott, lass uns zur DEINER Kirche werden, wenn wir im Hören auf Dein Wort und im Abendmahl beieinander sind und darauf hoffen, dass DEIN Reich wächst, denn Dein Friede, der höher ist denn alle Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo Jesu, Amen.