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An Christi Himmelfahrt hält Ralf-Andreas Gmelin eine Ansprache im Jazzgottesdienst „Swing To The Sky“, in dem Ralf Sach, Tatjana Lohr und René Christmann musizierten.

Ein besonderes Kinoerlebnis, als ich vor einigen Jahren meine Tante besuchte, die damals in New York wohnte: “The Boys n The Hood“. Ein Film von der Langeweile amerikanischer Vorstädte. Die Jungs von der Nachbarschaft sind sich nur in einer Hinsicht einig: Man muss sehen, dass man hier rauskommt. Der Film war ein voller Erfolg. Leider nicht der gewünschte.

Einer der Hautdarsteller hörte auf den schönen Namen Ice Cube, „Eiswürfel“ und war im Zivilberuf Rap-Sänger. Das waren damals die weitgehend gesprochenen Liedtexte, vor denen auf dem CD-Cover die Eltern gewarnt wurden. Der Film war ein voller Erfolg: Es strömten in den amerikanischen Kinos die Vorstadt-Gangs zusammen, die sich sonst meist aus dem Weg gingen. Der Erfolg war, dass sie dort im Kino mit ihren brutalen Kampfmethoden begannen, sich gegenseitig auszuschalten. Nach kurzer Zeit wurde der Film in vielen amerikanischen Städten verboten. Die Moral des Films war: Wenn ihr Euch gegenseitig bekämpft, tut ihr nur Euren Gegnern einen Gefallen. Bis zu dieser Moral kamen viele dieser jugendlichen Besucher nicht mehr. Sie hatten sich schon lange vorher aus den Kinos geprügelt.

In diesem Film hieß die Antwort auf die Frage: Welcher Weg führt hier raus? - „Jeder Weg raus ist richtig.“ Und diese Wege wurden vorgeführt: Drogenhandel, Gewaltkriminalität und Lebensverachtung.

Was diesen Weg heraus begleitet sind neben den Drogen die Musik, die die formelhaft vulgäre Alltagssprache durch einen eiskalten Rhythmus zur Musik erhebt. Die Flüche, Verdammungen und Herabwürdigungen von Jugendlichen aus gesellschaftlich unterprivilegierten Kreisen werden eingepeitscht durch ein rauschhaft getaktetes Tempo.

Es gibt und gab viele Wege, den schweren Leib loszuwerden. Sich grundlegend zu verändern. Abzuheben. Die Geschichte des menschlichen Rausches füllt viele Bände. Der an Epilepsie leidende russische Dichter Fedor Michailowitsch Dostojewski beschriebt in vielen seiner Bücher die Ambivalenz des Alkoholrausches, wie in dieser Passage des „Idioten“: „Dort langweilten mich die alten Frauen durch das Vorlesen von Gebeten aus dem Kirchenkalender rein zu Tode, und ich saß betrunken dabei; als ich gerade mein letztes Geld in den Kneipen vertrunken hatte, lag ich die ganze Nacht bewusstlos auf der Straße, und am Morgen hatte ich dann das hitzige Fieber, und außerdem hatten mich in der Nacht auch noch die Hunde angefressen. Nur mit Mühe habe ich mich erholt.“ Der Versuch, mit Alkohol der alltäglichen Langeweile zu entkommen, vom flachen Boden abzuheben, kostet die Gesundheit, entfremdet von der Frömmigkeit, von der Sehnsucht nach Höherem, - und landet im Dreck.

Der englische Dichter Thomas De Quincey war selbst dem Rauschmittel Laudanum verfallen, einem Opiat. Er wollte mit diesem Gift abheben. Kennen gelernt hatte er es nach einer schweren Erkrankung und schrieb über seine erste Erfahrung: „Hier war das lindernde Allheilmittel für jedes menschliche Leid. Hier war das Geheimnis des Glücks, um welches die Philosophen ein Zeitalter ums andre disputiert hatten, mit einem Mal entdeckt; man konnte sein Glück nun für einen Penny kaufen und in der Westentasche mitnehmen; tragbare Ekstasen ließen sich in einem handlichen Fläschchen verstöpseln und Seelenfrieden mochte gallonenweise mit der Postkutsche versandt werden.“ Was Thomas DeQuincey fasziniert, ist die Käuflichkeit des Abhebens. Für ein paar Mark, für ein bisschen Gift wirst du dich für einige Zeit los und schwebst über deinem Alltag.

Die Neigung des Menschen, den billigen, den käuflichen und einfachen Weg zu gehen, ist keine Erfindung der letzten dreihundert Jahre. Auch das biblische Buch der Sprüche warnt vor den Folgen, wenn ein Mensch abheben möchte und die Abkürzung über den Alkohol nimmt: Spr 23,29-35
„Wo ist Weh? Wo ist Leid? Wo ist Zank?
Wo ist Klagen?
Wo sind Wunden ohne jeden Grund?
Wo sind trübe Augen?
Wo man lange beim Wein sitzt und kommt, auszusaufen, was eingeschenkt ist. -
Sieh den Wein nicht an, wie er so rot ist und im Glase so schön steht: Er geht glatt ein,
aber danach beißt er wie eine Schlange
und sticht wie eine Otter.
Da werden deine Augen seltsame Dinge sehen, und dein Herz wird Verkehrtes reden,
und du wirst sein wie einer,
der auf hoher See sich schlafen legt,
und wie einer, der oben im Mastkorb liegt.
„Sie schlugen mich, aber es tat mir nicht weh;
sie prügelten mich, aber ich fühlte es nicht.
Wann werde ich aufwachen?
Dann will ich's wieder so treiben.“

Der Grund, den Menschen verlassen wollen, wenn sie trinken, kiffen, spritzen oder sexuelle Ekstasen suchen, bezeichnet der griechische Philosoph Kostis Papajorgis als den Reiz am Sturz, der dem unausbleiblichen Tod entgegengesetzt wird. „Die Auflösung im Alkohol, will dem Leben kein Ende machen… Sie vergeudet es bloß und lebt den Zerfall als tiefsten Sinn der Existenz.“- „Erst in der Auflösung und im Verfall erkennt der Sterbliche sein Schicksal. Der Schock, der mit diesem plötzlichen Wissen kommt, gründet sich auf einen christlichen Glauben, denn das Ende und die Innerlichkeit sind christliche Entdeckungen. Doch hört das Evangelium des Trinkers beim Kreuz auf, nicht bei der Auferstehung.“ So weit der griechische Philosoph Kostis Papajorgis: Hier begegnet sich die kurze, abgekürzte und käufliche Sehnsucht des Menschen nach dem Abheben vom Ich mit der Hoffnung, die auch an Himmelfahrt von den Kirchen gefeiert wird: Die Sucht entflieht dem Kreuz, weil sie die Auferstehung nicht hoffen kann.

Wie viele krude Hoffnungen, Ängste, medienvermittelte Grauensszenarios und Panikattacken verfolgen den Menschen unserer Zeit? Und wie weit weg ist die Osterhoffnung: Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden! In diese Osterhoffnung stimmt die Botschaft von Himmelfahrt ein. Denn Himmelfahrt feiert keinen Abschied, sondern einen Segen, der über den Tod hinaus weist: Jesus führte sie aber hinaus bis nach Betanien und hob die Hände auf und segnete sie.
Und es geschah, als er sie segnete,
schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel.
Sie aber beteten ihn an
und kehrten zurück nach Jerusalem mit großer Freude
und waren allezeit im Tempel und priesen Gott.

Ich wünsche uns allen die große Freude, die uns vor der Sehnsucht nach Verfall bewahrt,
Amen.