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Am Zweiten Weihnachtstag 2002 hielt Pfarrer Ralf-Andreas Gmelin ein Predigt, die vom Johannesprolog ausging:

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Der Heilige Abend hat sein Gesicht bekommen durch die Geburtsgeschichte, die das Lukasevangelium erzählt. Die Geschichte von Stall, Bethlehem und Krippe, die dann gar nicht so gut ausgeht mit Verfolgung, Kindermord und Flucht. Auch im Johannesevangelium gibt es einen Abschnitt, der über die Herkunft von Jesus Christus nachdenkt. Der Johannesprolog, mit dem das Evangelium beginnt:

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.
2 Dasselbe war im Anfang bei Gott.
3 Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
4 In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen.
5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat's nicht ergriffen. …
9 Das war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.
10 Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht.
11 Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.
12 Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben,
13 die nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes, sondern von Gott geboren sind.
14 Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit.“
 
HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Liebe Gottesdienstgemeinde,

da ist unser heutiger Täufling Jakob Tom , dem wir wünschen, dass er ein sicheres und gesegnetes Zuhause in seiner Familie hat und haben wird und da ist diese Geschichte von einem, der „in der Welt war, durch den „die Welt“ sogar „gemacht“ ist. Von ihm wird gesagt: „die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf.“

Eine traurige Geburtsgeschichte.

Geboren werden, ein Recht auf ein Zuhause zu haben, und dann: Die eigenen Leute wollen ihn nicht. Vielleicht hören Sie den Anklang an die Weihnachtsgeschichte des Lukas: Die Geschichte, dass die Menschheit für das göttliche Kind gerade einmal einen Viehtrog bereit stellt. Die Geschichte, dass ein Neugeborenes schon zum Politikum wird und einen Teil seiner Kindheit als Asylant in Ägypten verbringt.

Beide Weihnachtsgeschichten sind eigentlich nicht sehr idyllisch. Beide haben etwas kopfschüttelnd Trauriges. Gott kommt in seine Schöpfung und wir Geschöpfe haben keinen Platz für ihn.

Und darum passt auch unser bürgerliches Weihnachtsfest so gut zu dieser Geburt: Mehr als ein Drittel aller Jugendlichen und Kinder wissen hierzulande nicht mehr, warum überhaupt Weihnachten gefeiert wird.

Das Gefühl, dass nahezu alle Christen an Heilig Abend in die Kirche gehen, trügt auch: In unserer Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, die im Jahr 2000 noch etwas über 1,8 Millionen Mitglieder hatte, gingen im gleichen Jahr etwas über eine halbe Million Evangelische in den Gottesdienst: Im Klartext: 27,65 Prozent. Das heißt, dass zwei Drittel aller Evangelischen noch nicht einmal an Heilig Abend in die Kirche gehen. Zum Vergleich: Wenn wir voraussetzen, dass an Heilig Abend vorgestern vorwiegend Gemeindeglieder unserer Ringkirchengemeinde in unseren beiden Gemeindegottesdiensten waren, dann waren von den etwa 4500 Gemeindegliedern etwa 1000 in der Ringkirche. Eine erfreulich hohe Anzahl. Aber statistisch nur 22,2 Prozent. Und damit sind fast 80 Prozent unserer Gemeindeglieder nicht einmal an Heilig Abend in der Ringkirche.

Das ist sicherlich nicht moralisch verwerflich. Aber es gibt schon zu denken, wenn bei einer internationalen Erhebung in diesem zuende gehenden Jahr 2002 deutlich wird, wie weit wir gerade in Deutschland von unserem alten Ruf weg sind, dass wir ein frommes Volk wären. In fast allen Ländern kamen die Kirchen auf einer Beliebtheitsskala unter die ersten fünf Institutionen. In Deutschland belegen die Kirchen den letzten Platz. An erster Stelle - da treten wir offenbar würdig in die Fußtapfen unserer Vorfahren - steht die Polizei.

„Er kommt in sein Eigentum und die Seinen nehmen ihn nicht auf.“ - Wo soll die Geschichte von dem, der in die Welt kommt, weitererzählt werden, wenn nicht in den Kirchen?

Wo sollen Familien die Kraft hernehmen, ihren Kinder beizubringen, dass es nicht völlig egal ist, wie man sich in seinem Leben benimmt? Wenn es keinen Gott gibt, dann gelten nur menschliche Gesetze. Und das erste menschliche Gesetz heißt: Lass Dich nicht erwischen. Jahrhunderte lang galten Deutsche als zuverlässig, treu und brav. Da drängt sich schon der Verdacht auf, dass die Glaubensstatistik Einfluss auf unsere gesellschaftliche Moral hat. Je weniger Menschen mit Gott rechnen, desto weniger wichtig ist ihnen, sich moralisch am Riemen zu reißen - und desto weniger sorgfältig werden auch die Kinder und Jugendlichen erzogen, damit sie ihr Leben so führen, dass sie es vor Gott verantworten können.

Ich weiß, dass ich mit solchen Gedanken altmodisch klinge. Unsere evangelische Kirche hat eine Menge Klugheit und Spitzfindigkeit aufgewendet, um die traditionelle Verbindung von Glaube und Moral zu lösen. Aber es war derjenige, der in sein Eigentum kam und von den Seinen nicht aufgenommen wurde, der uns einen bedeutungsschweren Satz hinterlassen hat: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“ Wenn der Glaube keine Konsequenzen im Leben hat, dann ist er tot. Wenn der Glaube keine Konsequenzen im Leben hat, weil schlicht nichts mehr geglaubt wird, dann wird in einer Gesellschaft nichts besser, weil doch eine größere Freiheit angeblich zum Fortschritt gehört, sondern eine Gesellschaft wird ärmer. Und auch für jeden Einzelnen ist ein Leben ohne persönliches Bekenntnis arm: Ich bin eine armselig kleine Hausnummer, wenn ich mich als ein 80 Millionstel Deutscher fühle. Es ist auch nicht besonders erhebend sich als ein 6 Milliardstel Menschheit zu fühlen.

Wenn ich hingegen spüre: Gott hat mich geschaffen, er wollte, dass ich geboren werde. Er hat mich bei meiner Taufe beim Namen gerufen. Ich gehöre ihm. Dann habe ich Respekt vor mir selbst - und vor jedem anderen der Milliarden Geschöpfe Gottes.
Und dann spüre ich auch, was da in der Christnacht passiert. Der Gott über Milliarden Menschen und über Milliarden Sterne, Planeten, Sonnen und Kometen ist für mich in einem Viehstall auf unseren blauen Planeten gekommen. Darum bin ich ihm schuldig, dass ich über mein Handeln, mein Tun und Lassen nachdenke.

Habe ich für ihn auch keinen Raum in der Herberge meines Herzens? Lasse auch ich Maria an meines Herzens Tür vorbei ziehen, weil fremde schwangere Frauen mir Angst machen?
Fühle ich mich zuhause in einem Land, in dem der Erfolg des Weihnachtsfestes am Umsatz des Einzelhandels gemessen wird?

Es wird in unserem glaubensfeindlichen Land für Christen zunehmend schwieriger, ihren Glauben zu leben und auch ihre ethischen Maßstäbe dem Rest der Welt entgegen zu setzen. Darum, dass in die Dunkelheit von Selbstsucht, Eigennutz und Egoismus das Licht der göttlichen Liebe hineinstrahlt. Ich wünsche uns allen, dass wir dazu den Mut zu christlichem Bekennen und Handeln haben. Unserem Täufling, Jakob Tom Wenig, wünsche ich, dass er die Geborgenheit in Gottes Liebe zuhause erfährt, damit er ein Leben lang davon zehren kann und den Mut zu christlichem Empfinden, Denken und Handeln aufbringt. In diesem Sinne gilt sein Taufspruch als Ermutigung:

„Ihr alle seid Kinder des Lichtes und Kinder des Tages. Wir sind nicht von der Nacht noch von der Finsternis.“

Gott sende DU uns DEINEN Geist, damit wir DICH erkennen, wenn DU an unserer Tür vorbei kommst. Lass uns DICH erkennen, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.