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Predigt über Lukas 2, 22-40 (1. Sonntag nach Weihnachten)

von Dr. Sunny Panitz
 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Der Predigttext für diesen Sonntag nach Weihnachten ist der Lobpreis des Simeon und der Jubel der Hanna. Ihre Geschichte ist aufgeschrieben im Evangelium des Lukas, im 2. Kapitel, in den Versen 22 – 40.

Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie (Maria und Josef freilich) ihn (Jesus) nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen, 23 wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn (2. Mose 13,2; 13,15): »Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«, 24 und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: »ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben« (3. Mose 12,6-8).

25 Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war mit ihm. 26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen.
27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel.
Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten,
um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,
28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:
29 Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren,
wie du gesagt hast; 30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, 31 den du bereitet hast vor allen Völkern, 32 ein Licht,
zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.
34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird. 35 - und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.

36 Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte, 37 und war nun eine Witwe, an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht.
38 Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.
39 Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth.
40 Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm.
 

Herr, tue auch meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.

Die Geschichte ist bekannt, der Zusammenhang lässt sich aus dem Predigttext leicht erschließen: die junge Familie, Maria und Josef, dazu das Jesuskind, reisen zum Tempel nach Jerusalem, um dort das für Wöchnerinnen vorgeschriebene Reinigungsopfer darzubringen und um das Kind Gott zu weihen. So verlangt es das Gesetz. »Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen.« Zwei Turteltauben, zwei junge Tauben, die eine für das Brandopfer, die andere zum Sühnopfer, das ist der geringe Preis, von dem das mosaische Gesetz annimmt, dass auch arme Leute ihn bezahlen können.

Zwei geistbewegte Altes kommen hinzu, gerade als das Jesuskind in den Tempel gebracht wird. Sie erkennen in ihm den Retter, den Heiland, ihre Erlösung und preisen und loben Gott.

Man kennt die Geschichte irgendwie und sieht die Bilder, sieht Simeon und Hanna im Halbdunkel des Tempels schemenhaft vor sich, kann sich vorstellen, wie er das Kind hält und selber ergriffen ist und wie sie jubelt. Man sieht das Bild von Simeon und Hanna, wenn auch nicht ganz so kräftig und in bunten Farben gemalt wie die Krippenbilder von Maria und Josef, Ochs und Esel, den Engeln und Hirten oder auch die Szene der anbetenden Könige aus dem Morgenland. Dabei sind beide Szenen durchaus verwandt.

Die Funktion, die im Matthäusevangelium die Geschichte von der Anbetung durch die Heiligen drei Könige hat, erfüllt im Lukasevangelium die Erzählung von Simeon und Hanna.

Wir kennen das Bild der beiden irgendwie, aber die anderen, die eigentlichen Krippenbilder sind uns vertrauter, die haben wir ja auch als Kinder selber erlebt. Wir haben sie gespielt in der einen oder anderen Rolle und da haben sie sich tief in unser Bewusstsein oder doch eher in unser Herz eingegraben.

Dass aber Simeon oder Hanna in den Krippenspielen unserer Kindheit aufgetreten wären, daran kann ich mich nicht erinnern.
Denn die beiden waren ja alt und was wissen Kinder, wenn sie ein Krippenspiel aufführen, schon von der Sehnsucht der Alten oder von der Erfüllung des Lebens, die es für Simeon bedeutet, dieses Kind empfangen zu haben. Und darum geht es ja schließlich, dass die Welt, hier repräsentiert durch zwei Alte und Hochbetagte, Christus empfängt.

Ich habe allerdings einmal ein Krippenspiel mit diesen beiden Alten gesehen. Das war vor ein paar Jahren, in der deutschen Gemeinde in Kanada, in Toronto, wo ich tätig war. Da hatten wir in jenem Jahr nicht genug Kindergottesdienstkinder, um das Krippenspiel aufzuführen, aber ein Krippenspiel muss ja zu Weihnachten sein, und da haben sich dann der Kirchenvorstand und andere dazu begabte Erwachsenen bereit erklärt, das Krippenspiel selber aufzuführen. Nach anfänglichem Zaudern waren sie schließlich mit Begeisterung dabei.

Ich werde nie vergessen, wie Herr Polaschke, unser ältestes Gemeindeglied, über 90 Jahre dürfte er damals alt gewesen sein, und Sybil Ply, eine ganz fromme Pfarrerwitwe, die älteste Frau in der Gemeinde, wie sie beide zur Schlussszene unseres Krippenspieles aus den Bankreihen auftauchten und als Simeon und Hanna das Jesuskind begrüßten und es empfingen und halten durften und wie der alte Herr Polaschke dabei den Lobgesang des Simeon zitierte:

 „Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren,
wie du gesagt hast, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
den du bereitest hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten
die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel.“

Tränen liefen dem alten Herrn dabei über die Wangen – und nicht nur ihm. Viele waren da in der Tiefe bewegt als hätten sie selber dabei etwas von der Erfüllung der Sehnsucht des alten Polaschke - Simeon gefühlt und erfahren.

Daran mag ja auch etwas stimmen. Simeon und Hanna sind die Bilder der Erfüllung unserer Hoffnung. So wie sie beide aus dem Halbdunkel des Tempels vor unser geistiges Auge treten, haben sie etwas von Traumbildern, als hätten wir sie geträumt.
Und wir wissen ja: alles, was wir träumen, trägt, repräsentiert ein Stück von uns selbst. So eben auch Simeon und Hanna. Sie tragen unsere Sehnsucht. Ihre Hoffnung auf Rettung und Erlösung spiegelt unsere eigene wieder – unsere individuelle, selbstverständlich, aber – darüber hinaus - auch unsere gemeinschaftliche, kollektive Hoffnung auf Geborgenheit und Frieden.

Der hochbetagte Simeon, der das vor wenigen Tagen geborene Christuskind in den Armen hält, ist ein Urbild der Geborgenheit. So hat es ein Kollege in seinen Predigtstudien ausgedrückt:
„Indem der Mann das Christuskind bergend in seinen Armen hält, weiß er sich selbst in Christus geborgen.“
(Stephan Schleissing, Bearbeiter A zum 1. Sonntag nach Weihnachten in: Volker Drehsen u.a., Predigtstudien, Perikopenreihe I, Erster Halbband, Stuttgart 2002, S. 95.)

Am Ende ihres Lebens sind die beiden dort, wohin wir streben.
Sie haben empfangen, das Kind ergriffen und in ihm den Verheißenen erkannt. Was die Propheten geweissagt haben, ist ihnen nun persönlich wiederfahren:
„Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“

Es hat sich nun auch für Hanna und Simeon begeben, was die Engel den Hirten verkündet haben über den Feldern von Bethlehem:
Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. –
Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden
und den Menschen ein Wohlgefallen.

Und da sie das nun für sich begriffen haben, brechen die beiden Alten in Jubel aus, ganz und gar gewiss, dass sie den Verheißenen in den Armen halten.

Simeon und Hanna sind nicht nur Bielspielbilder dafür, dass Christus auch zu den Alten kommt, auf dass auch sie ihn empfangen und sie seiner Gegenwart ganz und gar gewiss werden. Nicht nur Abbilder unserer individuellen Hoffnung sind sie, der Hoffnung, dass auch wir Christus empfangen mögen und den Tod nicht sehen, nicht sterben werden, bevor wir ihn denn endlich gesehen und ganz begriffen haben.

Simeon und Hanna sind auch ein Bild der Kirche, die Christus empfangen hat, die ihn lobend und preisend trägt und sich von ihm getragen weiß, die ihn birgt und sich gleichzeitig in ihm geborgen weiß.

Nicht umsonst gehört der Lobgesang des Simeon auch heute noch zur Liturgie der Komplet, zum täglichen Nachtgebet der Kirche.

„Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren,
wie du gesagt hast, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,
den du bereitest hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten
die Heiden, und zum Preis deines Volkes Israel.“

Möge dieser Friede Gottes, den beide, Simeon und Hanna gefunden haben, der sie gefunden hat, endlich am Ende des Lebens, im Alter, möge dieser Friede, der höher ist als alle Vernunft auch eure Herzen und Sinne bewahren im rechten Glauben zum ewigen Leben. Amen.