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Predigt über Matthäus 11, 2-10 (15)

von Dr. Sunny Panitz

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!

Predigttext für diesen Sonntag ist das Zeugnis, das Jesus über den Täufer Johannes gab, der ihn einst getauft hatte am Jordan.
Schroff, vielleicht zu schroff waren Johannes Worte an das Volk und seine Führer gewesen, zu radikal vielleicht seine Bußpredigt, zu hart seine Aufforderung zur Umkehr, sein Ruf zur Besinnung.
Der König Herodes hat die politische Wirkung der Predigt des Johannes gefürchtet: viel Auftrieb hatte es um ihn gegeben, das Volk war ihm nachgelaufen, viel zu viel Unruhe hatte Johannes gebracht.
Herodes hatte diesen Radikalen festsetzen lassen. Aber der hat nicht locker gelassen, vom Gefängnis aus weiter Boten gesandt und Erkundigungen eingeholt, Information gesammelt. Auch wenn er davon ausgehen musste, dass er selber sein Leben verwirkt hatte:
die Sache Gottes, die Gerechtigkeit Gottes muss weitergehen in dieser Welt, durch alle Zeit bis zum Ende der Welt. Und sie wird es, auch ohne ihn, Johannes. Einer wird nach ihm kommen, dessen war er gewiss, größer als er, der dieses Werk der Sache Gottes unter den Menschen weitertreiben, fortsetzen, ja vielleicht sogar vollenden wird.

Der Predigttext steht bei Matthäus, im 11. Kapitel, die Verse 2-15:

2 Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine Jünger 3 und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen andern warten?
4 Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht: 5 Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt; 6 und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.
7 Als sie fortgingen, fing Jesus an, zu dem Volk von Johannes zu reden: Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen? Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? 8 Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die weiche Kleider tragen, sind in den Häusern der Könige.
9 Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Wolltet ihr einen Propheten sehen? Ja, ich sage euch: er ist mehr als ein Prophet. 10 Dieser ist's, von dem geschrieben steht (Maleachi 3,1): »Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her, der deinen Weg vor dir bereiten soll.«
11 Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner aufgetreten, der größer ist als Johannes der Täufer; aber der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.
12 Von den Tagen Johannes des Täufers bis heute leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalttätigen reißen es an sich.
13 Denn alle Propheten und das Gesetz haben geweissagt bis hin zu Johannes; 14 und wenn ihr's annehmen wollt: er ist Elia, der da kommen soll. 15 Wer Ohren hat, der höre!
 

Herr, tue meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.

Kurz bevor Jesus auftrat und predigte, rund um den See Genezareth, am Jordan und in ganz Galiläa, kurz bevor er bekannt wurde als jener Rabbi aus Nazareth, der es wagt, bei den Unreinen zu sitzen und mit ihnen zu essen und zu trinken und der tat, was Moses doch verboten hatte, als er mit Vollmacht, in freiem Geist Schuld und Sünde vergab als wäre er selber Gott, kurz bevor jener auftrat, war da ein anderer, ein Mann, ebenfalls von Gott gesandt.

Sein Name war Johannes, Johannes der Täufer. Auch er war Rabbi, ein Lehrer Israels, Prediger und Prophet. Aber ganz anders als Jesus war er und war seine Botschaft. Ernst und streng war er, rau im Umgang mit Menschen und abweisend, aber auch sein Herz brannte für die Gerechtigkeit Gottes. Er war sehr sensibel, hatte Gespür, merkte es gleich, wenn Menschen abirrten vom Gesetz und auf falschen Wegen wandelten. Wo immer er Korruption, Ausbeutung, Lüge und Falschheit gesehen hat, hat er sie angeprangert. Menschen, die lediglich auf ihr eigenes Wohl achteten und über Schwächere spotteten und sich überheblich zeigten gegenüber Fremden, waren ihm ein Gräuel. Er hat Frömmelei unter den Menschen gesehen, aber wenig Glaube, keine Hoffnung, keine Dankbarkeit, keine Begeisterung für das Leben und die Möglichkeiten, die Gott gegeben hat. Die Gerechtigkeit Gottes haben die Menschen nicht ergriffen, ihre Chancen zu Frieden und Güte und heilem Leben aus Gottes Hand nicht genutzt.

Anders als Jesus hat Johannes nicht die die Erlösung, die Gnade, die Liebe des Vaters gesehen und gepredigt. Er hat die Dunkelheit und Gottferne unter den Menschen gesehen und den Zorn Gottes und sein Gericht hat er kommen sehen über ihrem Tun.

Des Johannes Predigt ist Gerichtspredigt gewesen. Über seinem Predigen ist der Täufer selber streng und hart geworden. Dafür gab es sichtbare Zeichen: Er hat seinen Bart nicht gestutzt und keine weichen Kleider getragen, sich in einen Mantel aus rauem Stoff gehüllt, Kamelhaar, karg sich ernährt, von Heuschrecken und wildem Honig. Johannes war hinausgegangen in die Wüste, weil er die Lebensweise der Menschen nicht mehr hatte ertragen können und weil er ihr Treiben nicht mehr hat ansehen wollen. Einige sind ihm gefolgt. Doch selbst draußen noch war er streng mit denen, die zu ihm kamen, als ob er mit Gewalt die Gerechtigkeit auf Erden herbeiführen könnte: "Ihr Schlangenbrut", hat er gesagt, "wer hat euch denn weiß gemacht, dass ihr dem kommenden Zorn entrinnen könntet. Bringt rechtschaffene Früchte der Buße. Schon ist den Bäumen die Axt an die Wurzel gelegt. Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen."
Zur Umkehr hat er gerufen, wollte, dass die Menschen sich umdrehen und wandeln in ihrem Tun: „Kehrt um und wendet euren Blick, von euch selber weg auf Gott hin, von Selbstsucht und Selbstgerechtigkeit und Verantwortungslosigkeit auf Gottes Gerechtigkeit hin und tut endlich, wozu ihr berufen seid!“
Den Mächtigen wurde die Predigt des Täufers zu konkret. Herodes hat ihn festsetzen lassen.
Sein Ende hat er wohl geahnt, aber Johannes hat nicht locker gelassen:
„Wer stillt die Sehnsucht der Menschen? Wer erfüllt nun die Gerechtigkeit Gottes?
Wer sorgt weiter dafür, dass sie sich durchsetzt?“

Johannes hat Erkundigungen eingeholt und Boten gesandt - zu Jesus:

"Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?"
Sinn und Ziel seines Lebens schwingen in dieser Frage mit: Die Hoffnungen seines Volkes, dessen Jahrhunderte alte Sehnsucht er geteilt hatte - nicht nur theoretisch, nicht nur mit dem Verstand, auch nicht nur mit dem Bekenntnis seiner Lippen, sondern mit brennendem Herzen und mit seiner ganzen Existenz: wer bringt Gottes Gerechtigkeit in die Welt, Frieden, Heil? "Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?"
Auch Zweifel schwingt da mit; Unsicherheit, vielleicht auch Enttäuschung über den, von dessen Werken er im Gefängnis gehört hat. Gerüchte über jenen Rabbi aus Nazareth, den er selber einst getauft hatte, sind offenbar bis in seine Zelle gedrungen, aber - sie haben ihn nicht überzeugt. Zu widersprüchlich war, was über ihn erzählt wurde. Was für ein Mann war das nur? Was er über ihn hörte, reimte sich nicht zusammen mit der Erwartung des Johannes, mit seiner Hoffnung auf den Messias, der ein Richter, ein Starker sein sollte, ein Gerechter und ein Helfer, nicht einer, der selber mit Sündern und Zöllnern sitzt und mit Prostituierten sich einlässt. Jesus schien dem Johannes widersprüchlich, vielleicht zu sanft, so mild, zu weich. Johannes war heftig und intensiv und impulsiv. Bei soviel Sanftmütigkeit musste er sich vergewissern: „Bist du wirklich der, der kommen soll - oder sollen wir auf einen anderen warten?“
Und Jesus antwortete und sprach zu den Boten: „Gehet hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt, und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt."

Johannes hatte einen Richter erwartet, hart und gnadenlos, einen, wie er selber war. Gekommen ist in der Tat ein Richter, aber keiner der verurteilt und verdammt, sondern einer, der gnädig ist, der Gerechtigkeit zuspricht, geknickte Rohre nicht zerbricht, sondern aufrichtet: Blinde, Lahme, Aussätzige, Arme, Sterbende - die glimmenden Dochte löscht er nicht aus, sondern bringt sie zum Leuchten. So also - ganz anders als Johannes - versieht der sein Richteramt, indem er aufrichtet und zu Recht bringt, indem er heilt und stärkt.
"Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt."

„Und selig ist“, sagt er, „ wer an mir keinen Anstoß nimmt.“
Vielleicht hat Jesus damals schon geahnt, dass sich die Leute auch an ihm stoßen werden, dass auch ihn das Schicksal des Johannes ereilen wird. An Johannes haben sie sich gestoßen, weil er unerbittlich war in der Verkündigung des Gerichts. An Jesus Christus werden sie sich stoßen, weil er die Menschen liebt, aber eben auch die, die es aus menschlicher Sicht nicht verdienen, geliebt zu werden. Jerusalem tötet die Propheten! Aber nicht nur Jerusalem! Bis heute ist der Welt die Liebe Gottes zu viel, zu dicht. Vielleicht haben wir darum auch das Fest von Christi Geburt verharmlost und verkitscht. Weihnachten verkommt manchmal zum Weihnachtszirkus und zum Kassenrummel, wird manchem erstickt unter dem Liedergedudel vom Endlosband in den Kaufhäusern, unter Bergen von Braten und Gebäck, unter der verlogenen Besinnlichkeit der Festtagsprogramme und der Zeitungsbeilagen, das kann es doch wahrlich nicht sein, dass wir am Ende - wieder schrecklich abgefüllt und zugleich unendlich leer - froh sind, wenn die Feiertage endlich vorbei sind. Auch das ist eine Art, die Botschaft Gottes gefangen, matt zu setzen, weil letztlich die Welt sie nicht erträgt und Anstoß nimmt, an dem, der sie ausrichtet und im Grunde nicht will, dass die, die tot sind, leben, denn das wäre Leben im Sinne der Liebe Gottes und seiner Gerechtigkeit, dass niemand, der arm ist, früher sterben muss als der, der reich ist und niemand aussortiert wird, weil er alt ist und niemand, der behindert ist, allein darum schon im Mutterleib seinen Anspruch auf Leben und Menschenwürde verwirkt. Das wäre Leben im Sinne der Liebe Gottes und seiner Gerechtigkeit, dass Blinde sehen und Lahme gehen und sogar gescheiterte Schüler noch eine Lehrstelle bekommen, dass Aussätzige rein werden und Asylbewerber eine reelle Chance auf Arbeit und eine menschenwürdige Unterkunft und dass Taube hören, Eltern und Lehrer sich zusammentun und gemeinsam Alternativen zu einem bescheuerten Schulsystem entwickeln, dass gescheiterte Schüler und ausgebrannte Lehrer produziert und uns auf einem der letzten Plätze in Europa finden lässt.
Aber nein, besser ist’s, die Toten sind tot. Dieser Haltung sind beide zum Opfer gefallen, Johannes und Jesus. Der aber ist auferstanden – zum Glück - und lebt, auf das die Gerechtigkeit Gottes und die Botschaft von seiner Liebe in der Welt weitergeht und vollendet wird.

Möge der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft Eure Herzen und Sinne bewahren im rechten Glauben zum ewigen Leben. Amen.
 
 

In dieser Predigt sind Lesefrüchte verarbeitet aus:

Okko Herlyn, Predigt über Matthäus 11, 2-6, gehalten zum 3. Advent im Hochschulgottesdienst der Universität Bochum am 12. Dezember 1999, Göttinger Predigten im Internet, http://www.gwdg.de/~unembac/archiv-2/991212.html
und Karl-Heinrich Bieritz, Bearbeiter B zum 3. Advent in: Volker Drehsen u.a., Predigtstudien, Perikopenreihe I, Erster Halbband, Stuttgart 2002, S. 46f.