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Am 8. Oktober, dem Erntedankfest erzählt Ralf-Andreas Gmelin das Märchen von Hans im Glück. Es folgt eine Predigt, die vom Hebräerbrief (13, 15-16) ausgeht:

Biblische sieben Jahre hatte Hans bei seiner Herrschaft gedient. Dafür bekam er ein Stück Gold, so groß wie sein Kopf. Als er ihn durch die Gegend nach Hause schleppt, kommt ihm ein Reiter enteggen. Sein Begehren richtet sich darauf, lieber lustig im Sattel zu sitzen, statt Goldklumpen zu stemmen. Aber kaum ist der Tausch perfekt, wirft ihn der Gaul ab und ein Bauer fängt ihn ein - und nutzt die Situation. Hans findet eine brave Kuh viel attraktiver als so ein wildes Pferd und - tauscht. Dann treibt er seine Kuh weiter, immer nach dem Dorf seiner Mutter zu. Die Hitze wird drückender, je näher der Mittag kommt. Da wird es ihm ganz heiß, so dass ihm vor Durst die Zunge am Gaumen klebt. Als er seine Kuh melken will, gibt ihm das ungeduldige Tier mit einem der Hinterfüße einen solchen Schlag vor den Kopf, dass er zu Boden taumelt. Da kommt gerade ein Metzger des Weges, der auf einem Schubkarren ein junges Schwein liegen hat. Das Begehren von Hans schlägt wieder zu und er sagt: „Ja, wer so ein junges Schwein hätte! Das schmeckt anders, dabei noch die Würste.” Der Metzger tauscht gern ein billiges Schein gegen eine teure Kuh. „Euch zuliebe will ich tauschen und will Euch das Schwein für die Kuh lassen.”- „Gott lohn Euch Eure Freundschaft”, sagt Hans und lässt sich das Schweinchen in die Hand geben.  Hans tauscht eine weiße Gans gegen sein viel kostbareres Schwein. Der gute Hans geht mit der Gans unter dem Arm der Heimat zu. „Wenn ich‘s recht überlege“, denkt er, „habe ich noch Vorteil bei dem Tausch: erst den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die herausträufeln wird, das gibt Gänsefettbrot auf ein Vierteljahr: und endlich die schönen weißen Federn. Was wird meine Mutter eine Freude haben!” Doch aus dieser Freude wird nichts. Hans wirft einen begehrlichen Blick auf den wertlosen Wetzstein eines Scherenschleifers - und nimmt den Wetzstein in Empfang. „Nun“, sagt der Schleifer, und hebt einen gewöhnlichen schweren Feldstein auf, „da habt Ihr noch einen tüchtigen Stein dazu, auf dem Ihr alte Nägel gerade klopfen könnt. Nehmt hin und hebt ihn ordentlich auf.“ Hans lädt den Stein auf und geht mit vergnügtem Herzen weiter; seine Augen leuchteten vor Freude: „Alles, was ich wünsche, trifft mir ein wie einem Sonntagskind.“ Jetzt schleppt er wieder Steine, wie am Anfang den Goldklumpen - und bekommt wieder Durst, wie damals mit der Kuh. Er setzt sich und seine Steine auf den Rand eines Brunnens und beide Steine plumpen hinab. Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe versinken sieht, springt auf: Vor Freude! Er kniet nieder und dankt Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art und, ohne dass er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm noch hinderlich gewesen wären. „So glücklich wie ich“, ruft er aus, „gibt es keinen Menschen unter der Sonne.“ Mit leichtem Herzen und frei von aller Last springt er fort, bis er daheim bei seiner Mutter ist.

Ein langer Weg, der Weg von „Hans im Glück” und ein langer Weg zum Beginn des heutigen Gottesdienstes: Herzlich willkommen. Auch wenn Sie es heute morgen nicht gleich gewusst haben: Bei dem Anblick, den der Altar bietet, muss heute das Erntedankfest sein. Und das Märchen nach den Gebrüdern Grimm zeigt zwei Themen dieses Gottesdienstes: Zum einen das Begehren, das dem spontan und unbedachten Hans immer wieder neue Ideen ins Herz gibt und zum andern etwas sehr Kostbares, was Hans vorlebt: Seine ungeheure Dankbarkeit, mit der er auch vom letzten Bisschen Abschied nimmt, was ihm noch verblieben ist. Beides soll in diesem, Gottesdienst Ausdruck finden: Das Begehren, das in unserer Zeit so übermächtig ist und die Dankbarkeit, die uns so schwer fällt.
 

Predigt

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Der für das Erntedankfest vorgeschlagene Predigttext gehört zu den kürzesten, die in der Ordnung vorgesehen sind. Wir hören auf Worte des Hebräerbriefes: Hebr 13,15-16:

So lasst uns nun durch Jesus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.

Herr, tu meine Lippen auf,  dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.
 

Liebe Gottesdienstgemeinde,

wenn ein Freund Ihnen aus einem Liebesbrief, den er gerade bekommen hat, zwei kurze Sätze vorliest und ihn dann wieder sorgfältig zusammen legt: Wie geht es Ihnen dann? Ich glaube, ich würde mir dann ausdenken, was denn da noch alles in diesem geheimnisvollen Brief stehen mag. Bei diesen kurzen, dürren Worten aus dem Hebräerbrief ist es Ihnen vielleicht nicht ganz so ergangen. Vielleicht dachten Sie: Was für ein Glück, dass wir heute Morgen nicht eine so lange Geschichte in diesem altertümlichen Bibeldeutsch hören müssen?

Wie Sie es auch empfinden: Der Hebräerbrief, dieser - allerdings schon 1900 Jahre alte -  Liebesbrief von Christen an Christen wird als Predigttext heute sehr schnell zusammengefaltet. Und wer von Ihnen wird zuhause schon an seine Bibel gehen, und freiwillig weiterlesen, was denn in diesem Kapitel noch so alles steht? Ich möchte Ihnen nicht durch die Hintertür alle diese guten Empfehlungen hereintragen: Aber dieser Hebräerbrief erteilt uns in diesem Kapitel eine Menge ganz klarer Ratschläge. Es geht darum, wie wir in der Ehe handeln sollen, wie wir mit Lehrern umgehen sollen - und eben die in dieser Umgebung klarer Hinweise fast distanziert wirkende Empfehlung für die Predigt am Erntedankfest: „So lasst uns nun durch Jesus Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.”

Für eine Welt, die nicht mehr direkt weiß, woher ihr Brot kommt, die nicht täglich auf den Himmel schaut, weil dessen Regen die Ernte - und damit die kompletten Einkommen verhageln kann - ist ein solcher Text gedacht. Wir sollen nicht wie unsere Vorfahren Getreidegarben in die Kirche tragen, um für diesen Segen des Himmels zu danken, sondern über „Lobopfer” nachdenken, von denen zum Glück auch gesagt wird, was sie bedeuten: Die Früchte, die solche Lippen reifen lassen, die Gottes Namen bekennen.

Für die Ackerbürger Wiesbadens war noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts das Erntedankfest fest mit Ackerbau und Gartenwirtschaft verbunden. Und der Dank gegen den Himmel war nichts Abstraktes, Fernes und Theoretisches, sondern begann mit dem „Gott sei Dank”, sobald die Scheunentore sich hinter der eingebrachten Ernte geschlossen hatten. Die Früchte, die als treue Bekenntnisse des Glaubens reifen, drehen Ursache und Wirkung um. Denn das steht direkt danach: Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit andern zu teilen: denn ein solches Opfer gefällt Gott! Der Dank für das, was wir zum Leben haben, wird in diesem Wort zur Forderung: Gutes tun und Teilen sollen wir, um Gott etwas zurückzugeben, für das, was er uns zum Leben schenkt. Ein konkreter Dank.

Erntedank. Als unsere Vorfahren zur Hauptsache von Getreide abhängig waren, war dieser Erntedank der Dank gegen Gott: Danke, dass Du uns keine Hungersnot geschickt hast. In der Sprache Luthers ist das Getreide, das empfindliche Edelgras daran schuld an „Misswachs und Teuerung”. Und damit an dem Tod vieler, die hier in Mitteleuropa hungern mussten. Das hat sich erst durch die Kartoffel etwas gemäßigt: Erst die geschützt in der Erde ruhende Knolle hat verhindert, dass in schlechten Jahren fast nichts Essbares auf die Märkte kam.

Und noch ein Schritt weiter: Unser Erntedank lässt sich auch sehr genau beschreiben. In der Volkswirtschaft werden sogenannte „Warenkörbe” gefüllt. Diese Warenkörbe braucht man, um so komplizierte Sachen wie Verbraucherindizes oder Inflationsraten festzustellen. Sie verraten uns, was den Menschen in Mitteleuropa heute wichtig ist. Ich fülle Ihnen einmal einen solchen aktuellen Warenkorb mit den guten Sachen in der Reihenfolge ihrer wirtschaftlichen Wichtigkeit. Zuerst kommen Ausgaben für den Verkehr (13,6), Autos oder Fahrkarten. Dann legen wir schon gleich die Ausgaben für Wohnung, Wasser, und Heizmittel in unseren Korbwagen. Wir rollen weiter durch den Supermarkt des Lebens und holen jetzt: Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke. Dann folgen Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen, also das was jeder von uns in Restaurant oder Hotel ausgibt. Nun werden die Päckchen weiter kleiner: Freizeit, Unterhaltung und Kultur sind in einem Säckchen. Dann kommen Einrichtungsgegenstände wie Möbel oder Küchengeräte, jetzt erst kommen Kleider und Schuhe, die zur Zeit Luthers noch ziemlich weit oben standen. Jetzt legen wir nur noch kleinere Dosen in den Korb: Die Gesundheitspflege (3,5) gefolgt von ihrem Gegenteil: Alkoholische Getränke und Tabakwaren (3,1). Abgeschlagen mittlerweile die Ausgaben für die Nachrichtenübermittlung und am absoluten Ende steht das Bildungswesen (0,76). Davon haben wir nur noch für ein winziges Schächtelchen Platz in unserem Korbwagen.

Erntedank 2002:
Es fällt vielen von uns nicht leicht, für all die Dinge zu danken, die da in unserem Warenkorb liegen. Manche denken mit Schweißausbrüchen daran, was passiert, wenn wir mit unserem Korbwagen an die Kasse des Lebens kommen: Was geschieht mit einer Umwelt, die zu allererst von den Ausgaben für Verkehr dominiert wird? Der scheue Blick aus der Ringkirche zeigt schon ein Stück von der Rechnung, die uns da aufgemacht wird.

In der nüchternen Liste verbirgt sich - anders wie in alten Zeiten - mehr Begierde als das, was Luther noch „des Leibes Nothdurft“ nannte. Die hohen Ausgaben für den Verkehr ergeben sich nicht nur aus der schlichten Notwendigkeit, sondern auch aus Spaß an der Freude. Wir erleben gerade, wie das Begehren als Konsumtriebfeder allerseits wieder geweckt werden soll, damit unsere Wirtschaft wieder anspringt und der Konjunkturmotor wieder höhere Touren erreicht. - Und wir haben diese Woche erleben müssen, wie ein Mensch aus blanker Besitzgier einen elfjährigen Jungen ermordet hat, ungezügelt und offenbar gewissenlos. Das Begehren ist ein wichtiger Bestandteil unseres Warenkorbes. Mit Wehmut können wir auf Hans im Glück schauen, dessen Begehren noch unschuldig und naiv gewesen ist. Auf Hans im Glück, der vom Rest der Welt über die Löffel balbiert wird, weil er stets einen schlechten Tausch macht. Hans im Glück kann aber dann nieder knien und Gott von ganzem Herzen danken, dass es ihm gut geht, auch wenn er nichts mit nach Hause bringt. Und damit ist er vielleicht ganz nahe an dieser „Frucht der Lippen”, die seinen Namen bekennen. Hans im Glück macht es nicht ganz freiweillig. Aber an seinem Wegrand wimmelt es von Leuten die vorher reicher sind, als vor der Begegnung mit ihm: Naiv wie er ist, tut er eben Gutes und teilt auf seine Weise mit andern.

Wir sind nicht Hans im Glück. Wir möchten uns nicht über’s Ohr hauen lassen. Aber ein bisschen können wir lernen, von dem Hans aus dem Märchen: Begehren ist harmlos, wenn sie mit Dankbarkeit im Herzen zusammen geht. Das Begehren, das mit Gier und Missgunst auftritt, ist mörderisch. Erntedank feiern heißt, die eigene Dankbarkeit im Herzen zu suchen - und vielleicht neu zu wecken. Gott, befreie uns vom Fetisch der Waren, von der Gier nach Geld und Sachen und wecke DU in uns die Dankbarkeit, die Freude und Frieden in unser Leben und in unsere Welt trägt, denn Dein Friede, der höher ist denn alle unsre Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo Jesu, Amen.