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Am Sonntag Kantate findet in der Ringkirchengemeinde die Feier der Konfirmation statt. Im Jahr 2002 feierten die Konfirmandinnen und Konfirmanden des goldenen Konfirmationsjahrgangs 1952 und des diamantenen Konfirmationsjahrgangs 1942 ihr Jubiläum. Die Feier der Goldenen Konfirmation wurde in Wiesbaden eingeführt von dem damaligen Ringkirchen-Pfarrer Hugo Herrfuth. Die Predigt von Pfarrer Ralf-Andreas Gmelin geht aus von dem Schriftwort im Buch der Offenbarung des Johannes im 15. Kapitel (2-4):

Und ich sah,
und es war wie ein gläsernes Meer,
mit Feuer vermengt;
und die den Sieg behalten hatten
über das Tier und sein Bild
und über die Zahl seines Namens,
die standen an dem gläsernen Meer
und hatten Gottes Harfen
und sangen das Lied des Mose,
des Knechtes Gottes,
und das Lied des Lammes:
Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott!
Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.
Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen?
Denn du allein bist heilig!
Ja, alle Völker werden kommen
und anbeten vor dir,
denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden.
HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.
 

Liebe Gottesdienstgemeinde,

ein gläsernes Meer mit Feuer vermengt. Ein Bild aus der Offenbarung, aus der Apokalypse des Johannes. Ein Bild vom Ende der Zeiten. Gleichsam friedlich dieses Bild: Am Weltbrand stehen die, die durchgehalten haben und singen:
Sie haben Gottes Harfen
und singen das Lied des Mose,
und das Lied des Lammes:
Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott!

Ein anderes Bild von heute:

Ein Jugendlicher, vierzehn Jahre, sitzt konzentriert an seinem Computer. Er ist sehr geschickt damit, die Aufgaben des Spiels zu lösen. Er hängt mit allen Sinnen am Bildschirm. Die Software hat er sich aus den Vereinigten Staaten besorgt; in Deutschland wird das Spiel nicht gehandelt. Ein näheres Hinsehen zeigt, warum: Der Spieler wird zun Amokläufer, der in den Häuserschluchten einer amerikanischen Großstadt Eiswagen in die Luft sprengt. Danach muss er mit allen Mitteln abhauen, um den anrückenden Polizisten zu entgehen. Ziel des Spieles ist, erfolgreich zu morden und den Ordnungskräften nicht ins Netz zu gehen. Bei jedem gelungenen Mord und bei jeder Finte gegenüber der Polizei spendet das Spiel dem Täter Beifall.

Ein Jugendlicher sitzt zuhause in einer friedlichen Umgebung und übt sich ein, als Massenmörder nicht erwischt zu werden. Ein apokalyptisches Bild.

Im übertragenen Sinne sprechen wir von apokalyptischen Bildern, wenn wir Geschehen vor Augen haben, die über jedes normale Maß des Entsetzens hinausgehen. Vor zwei Tagen hat sich solches virtuelle Grauen in Erfurt in eine grauenhafte Wirklichkeit verwandelt. In einer in Deutschland beispiellosen Gewalttat hat ein ehemaliger Schüler am Freitag im Johann-Gutenberg-Gymnasium 16 Menschen und sich selbst erschossen. Mindestens vier Menschen wurden verletzt. Die meisten Opfer des brutalen Amoklaufs waren Lehrer. Insgesamt tötete der 19-jährige Schütze nach Polizeiangaben zehn Männer und sechs Frauen. Die Munitionsfunde lassen auf ein noch größeres Gewaltpotential schließen.

Das Entsetzen vor Amokläufern in amerikanischen Schulen steckt manchem noch in den Knochen. Die beiden jugendlichen Mörder töteten am 20. April 1999 in Littleton im Bundesstaat Colorado zwölf Schüler und einen Lehrer. Nun erreicht dieser Wahnsinn unser Nachbarland Thüringen.

Wie verwunderlich sind solche Handlungen junger Menschen, wenn sich die virtuelle und die wirkliche Welt immer mehr annähern? Das ganz normale Fernsehkind hat bis zu seiner Einschulung auf dem Bildschirm bereits Tausende von Morden gesehen. Noch ärger wird das Verhältnis zum Töten, wenn Kinder sich mit Konsolen und Computerspielen befassen. Wenn das Spiel mit Mausklick und Monitor immer mehr das lebendige, warme und empfindliche Leben ersetzt. Wenn Kinder von klein auf lernen, dass die Figuren, die sie über den Bildschirm hetzen, mehrere Leben haben bis sie endlich durchkommen. Apokalyptischer Alltag.

Die Botschaft des Christentums ist seit Alters her: Du hast ein Leben. Es ist auf der Erde endlich. Wirf es nicht weg! Diese Botschaft kommt gegen das elektronische Piepsen kaum noch durch.

Die Pumpgun in der Hand oder der Joystick vor dem Rechner: Eine Runde ballern und dann kommt die nächste Runde. Der Massenmord von Erfurt beweist, dass die blutige Wahrheit anders ist. Erfurt beweist, dass junge Menschen dringend andere Werte brauchen als das, was die meisten Computerspiele als Moral von ihrer Geschichte transportieren: Sei schneller, stärker, schlauer und schlag tot, bevor du totgeschlagen wirst.

Angesichts dieser eingehämmerten Moral, mit der viele junge Menschen bei uns groß werden, dürfen wir uns wundern, wie wenige Amokläufer es gibt. Wie selten ein junger Mensch die Moral seiner Kindheit in die blutige Wirklichkeit überführt. Dafür können wir Gott nicht genug dankbar sein. Weltweit wird dennoch unsere Gegenwart von Terror erschüttert, ob in New York, Kabul und Ramallah oder jetzt in Erfurt. Vielleicht gibt es zwischen den Terrorakten sogar einen - psychologischen - Zusammenhang, wenn der Gießener Psychoanalytiker Horst Eberhardt Richter Recht hat. Er meint zu dem jugendlichen Mörder aus Erfurt: „Auch die Fernsehbilder von jungen Attentätern in Palästina, die nach ihrem «Märtyrertod» viel Ruhm ernteten, könnten den 19-Jährigen beeinflusst haben."

Die Kindheiten verschiedener Epochen haben ihre unterschiedlichen Werteprobleme: Die Schwestern und Brüder, die heute diamantene Konfirmation feiern, sind im Frieden geboren - wenngleich in einer krisenhaften Zeit - und wurden konfirmiert in dem Jahr, in dem der zweite Weltkrieg seine Wendung nahm, die alle Illusionen vom siegreich geführten „Blitzkrieg" zerstreut hat.

Unsere Goldenen Konfirmanden sind Kriegskinder, die in ihrem Konfirmationsjahr1952 der Friede wieder eingeholt hatte. - Aber bei näherem Hinsehen ist das Jahr 1952 auch nicht so harmlos: Auf den Bundeskanzler Adenauer wird am 27. März ein Sprengstoffanschlag verübt. Adenauer wird von einem Feuerwerker bewahrt, der aber beim Entschärfen des Sprengpakets sein Leben verliert. Während in Japan der Friedensvertrag mit den USA geschlossen wird, unternimmt Amerika ein gewaltiges atomares Testprogramm mit Bombenexplosionen in der Wüste Nevada. Die DDR beginnt, ihre Westgrenze abzuriegeln und beschließt, ihre Volksarmee aufzubauen. Hier in Hessen gibt Ministerpräsident Georg August Zinn bekannt, dass ein rechtsradikaler Geheimbund einen Umsturz geplant habe, man habe zahlreiche Belege für einen Putschversuch gefunden.

Apokalyptische Bilder, wohin wir auch sehen. Jede Epoche hat ihre eigenen Zeichen dafür, dass die friedliche Welt um uns herum auf sehr dünnem Eis steht.Die Welt vor fünfzig Jahren stand noch unter dem Schatten des Zweiten Weltkrieges, als bereits der Kalte Krieg mit seiner dunklen Wolke aufzieht. Was uns in all diesen Umbrüchen und inmitten der Brüche und Risse im Eis unseres Weltfriedens oft fehlt, ist das unerschütterliche Vertrauen, das die Urchristen am Rande des Abgundes fröhlich singen lässt.

Die Christen der ersten Jahrhunderte, die vor dem Vernichtungsfeldzug der damaligen Großmacht Rom stehen und damit rechnen müssen, dass auch sie einmal von den römischen Prozessen ereilt - und hingerichtet werden. Sie, die Verfolgten, Schwachen und Hilflosen, sehen sich als Sieger in diesem ungleichen Kampf gegen die gewaltige Weltmacht des Imperium Romanum. Ihre Vision lässt sie an dem gläsernen Meer stehen. Und als ginge es nicht um Leben und Tod, sondern um ein friedliches Fest heben sie Gottes Harfen, lassen sie erklingen,

sie singen das Lied des Mose,
und das Lied des Lammes:
„Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott!
Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker.
Wer sollte dich, Herr, nicht fürchten und deinen Namen nicht preisen?
Denn du allein bist heilig!
Ja, alle Völker werden kommen
und anbeten vor dir,
denn deine gerechten Gerichte sind offenbar geworden."

Das dünne Eis, auf dem wir unser friedliches Leben führen, es wird Risse zeigen, so lange Menschen auf der Erde leben. Ich wünsche uns allen angesichts der fürchterlichen Katastrophen, die jede Zeit für ihre Menschheit bereit hält, den inneren Frieden, der uns am Rande des Abgrundes geborgen sein lässt.

Ein Friede, der unsere Stimmen vereinigt zu einem hörbaren Lied; ein Friede, der unsere Herzen vereinigt zu einem geräuschlosen Lied, das Gott dafür dankt, dass wir leben dürfen, trotz aller Zeichen, mit denen Menschen sich gegenseitig das Leben schwer machen. In diesem Frieden sind wir in der Hoffnung vereinigt, das alle Völker eines Tages auf den Gott des Lebens hören werden, egal wie sie ihn nennen.

In der Hoffnung, dass junge und alte Menschen aller Kulturen Gott um Frieden anbeten werden,
weil allein Gott einen gerechten Frieden schenken kann.
Gott, wir bitten Dich um Deinen gerechten Frieden: In unserem Herzen, in unserem Land und in Deiner Welt,
denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.