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Ein Wort aus dem 2. Korintherbrief (2.Kor 4,3-6) ist der Anstoß zu der Predigt am Sonntag Epiphanias, dem ersten Gottesdienst in der Ringkirche im Jahr 2002. Ralf-Andreas Gmelin hält diese Predigt, die auch die erfolgte Währungsumstellung von der Mark auf den Euro berücksichtigt:

Paulus schreibt an die Christen in Korinth:

"Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt, die verloren werden,

den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes.

Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, daß er der Herr ist, wir aber eure Knechte um Jesu willen.

Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi."

HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Liebe Gottesdienstgemeinde,

hoffentlich haben Sie wieder den Durchblick in Ihrem Geldbeutel: Seit der Erfindung des Geldes ist es Aufgabe von Scheinen und Münzen bloße Tauschware zu sein. Insoweit ist es eigentlich nicht so schrecklich verwunderlich, dass der Wechsel von Pfennig in Cent keine so großen Wellen geschlagen hat.- Auch wenn der Außenminister Italiens wegen dieses Themas mittlerweile zurück getreten ist. - Zu Beginn der Euro-Ära der immer noch aktuelle Werbe-Claim der Hypo-Vereinsbank:

Leben Sie. Wir kümmern uns um die Details.

Ein Wahlspruch, der vielen Menschen von heute aus dem Herzen gesprochen ist:

Meine Bank kümmert sich um mein Geld.

Meine Versicherung kümmert sich um mein Schicksal.

Meine gewählte Regierung kümmert sich um meine Sicherheit.

Meine Polizei schleppt die Falschparker ab.

Meine Schule erzieht meine Kinder.

Mein Internet-Provider versorgt mich mit allen Informationen, die ich nicht brauche, aber trotzdem wissen möchte.

Und für die, denen es nicht völlig egal ist: Meine Kirche kümmert sich um Religion, Glaube Bibel und so etwas.

Ich lebe. Und um den Rest kümmern sich andere.

Ich lebe. Siebzig Jahre und wenn es hoch kommt achtzig Jahre. Eine kurze Frist. Lohnt es sich da, dicke Bücher zu lesen?

Die PISA-Studie sagt, die Schüler unseres Landes können sich diesen Aufwand sparen. Auf die biblische Frage: „Verstehst du auch, was du da liesest?" können sie getrost nein sagen. Elternhäuser und Schulen setzen die jüngste Lesergeneration in Deutschland nur heftig unterdurchschnittlich in Stand, das zu verstehen, was sie soeben gelesen haben.

Und an Prügel auf Lehrer und Schulen fehlt es seit dem 4. Dezember in Deutschland nicht: Aufgrund dieser an diesem Tag veröffentlichten PISA-Studie. Sie hat vor allem den Leseleistungen deutscher Schülerinnen und Schüler ein verheerendes Zeugnis ausgestellt: Im internationalen Vergleich kamen sie auf den 21. Platz von 31 Ländern. Dies ist nicht peinlich, weil deutsche Kinder schlauer sein müssten als z.B. tschechische oder spanische, aber es ist peinlich, weil die Ausstattung des deutschen Schulsystem als durchaus gut gelten muss. Am peinlichsten ist das Ergebnis darum, weil es beweist, dass in kaum einem Land die soziale Ungerechtigkeit so groß ist wie in Deutschland: Kinder aus einfachen Verhältnissen bekommen eine verheerende Schulausbildung und nur eine vergleichsweise kleine Bildungschicht wird recht ordentlich gefördert, gelangt im Vergleich aber auch nicht annähernd in die Spitzengruppe.

Die politischen Konsequenzen können uns in diesem Gottesdienst egal sein. Aber Spitzenreiter Finnland verdankt seinen Platz unter anderem der lutherischen Staatskirche, die Analphabeten noch bis vor Kurzem die Trauung versagt hat. Das deutsche Schulsystem verdankt sich in seinen Grundpfeilern dem Einsatz des Lutherfreundes Philipp Melanchthon und ein jahrhundertelang gültiges Lernziel war: Schüler sollen in der Lage sein, die Bibel verstehen zu können.

Kinder, die nur einfachste Texte verstehen können, sind nicht in der Lage, eine biblische Geschichte zu verstehen. Ein auch vom christlichen Standpunkt her schlimmer Zustand.

Auffällig ruhig bleibt es bei den öffentlichen Schuldzuweisungen um den Einfluss der Elternhäuser: Das Siegerland Finnland kennt einen weitaus engeren Zusammenhalt der Familien. Und ich vermute: Die Teletubbies tragen für das Ergebnis eine größere Schuld als die Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer. Sie haben immer mehr die Aufgabe einen Anteil von verhaltensauffälligen Fernsehkindern zu therapieren - ohne dass sie ihren Klassen Lesen und Schreiben beibringen können.

Die Bildungsaufgabe könnte heißen:

Lesen Sie. Und verstehen Sie auch die Details.

Diese Aufgabe müssen wir auch als Kirche mittragen und sie sollte wieder als Erziehungsziel in die Familien Einzug halten.

Aber die Frage war ja: Lohnt es sich überhaupt, dicke Bücher zu lesen? In einem dicken Buch findet sich der Lehrsatz des Hippokrates: vita brevis, ars longa..., „das Leben ist kurz die Kunst ist lang". Können wir nicht das Lesen dicker Bücher denen überlassen, die dafür bezahlt werden?

Leben Sie: Und fragen Sie auch warum!

Die Zeiten sind vorbei, in denen man Goethes Faust, Schillers Räuber und Lessings Nathan kennen musste. Aber die Zeiten verlangen von uns immer klarere Urteile. Gerade die Internet-Generation bekommt ein Sammelsurium von Sinn und Unsinn auf den Bildschrim. Wie sollen junge Menschen da ihr Urteil bilden, wenn sie nicht durch Lesen und Verstehen ein profundes Grundwissen besitzen.

Und wie schwer ist es, in jedem Einzelfall zu einer persönlichen Einschätzung zu kommen. In der letzten Woche geisterte die Meldung herum, dass ein amerikanischer Pastor Harry-Potter-Bücher auf einem Scheiterhaufen angezündet hat. Eine Meldung, die für Journalisten in die Kategorie „Buntes" gehört. Aber hat das nicht auch in Deutschland Menschen aufhorchen lassen? Gerade die, die sich nicht die Mühe machen, dickleibige Kinderbücher zu lesen. Oder unter denen, die solche Bücher gar nicht lesen können, weil sie nicht über eine ausreichende Bildung verfügen?

Schon nach Erscheinen der ersten Potter-Bände begann ein Kreuzzug gegen Joanne Rowlings Zauberlehrling in den Vereinigten Staaten. Evangelikale Eltern versuchen zu verhindern, dass Potter-Bücher in amerikanische Schulbibliotheken eingestellt werden. Religiöser Fundamentalismus ist erstmals beschrieben worden, um das Verhalten von engstirnigen amerikanischen Christen zu beschreiben. Fundamentalismus stammt nicht von den Muslimen, sondern von einer angstbesessenen Form der Fortschrittsangst, die zum Glaubensalltag Amerikas gehört. Solche fundamentalistischen Christen wollen zum Beispiel verhindern, dass Kinder von Büchern begeistert werden, in denen es tatsächlich um Hexen und Zauberer geht. Bücher, die aber sonst eine ganz altmodische christliche Moral transportieren, die von einem Kind Anstand, Treue, Mut und Ehrlichkeit fordert. Wer Potter-Bücher verbrennt, der führt absurde Hexenprozesse auf und verhindert vielleicht, dass Kinder auf diesem Wege lernen, dass Lesen Orientierung und Ermutigung bringen kann.

Leben Sie. Und lesen Sie, um Ihr Urteil zu bilden.

Liebe Gottesdienstgemeinde,

vielleicht ist Ihnen in den vergangenen Minuten der Verdacht hochgestiegen, dass ich Ihnen hier etwas von Harry Potter erzähle - und ich sollte Ihnen doch etwas über den Predigttext sagen. Über das, was Paulus an die Christen der griechischen Hafenstadt Korinth geschrieben hat. Vielleicht haben Sie den Verdacht: Vermutlich ist ihm zu dem Bibeltext nichts eingefallen, dass er uns hier etwas über Zeitungsweisheiten erzählt. Ich möchte mich indes verteidigen, weil ich glaube, dass die Mahnungen von Paulus für uns bedrängend aktuell sind:

Wir leben heute vielfach an unserer Verantwortung für unseren Glauben vorbei.

Wir leben unseren Kindern ein Leben vor, das keine Fragen stellt und ihnen vorgaukelt, man könnte alles Tiefsinnigere irgendwelchen Spezialisten überlassen.

Viele Kinder in diesem Land können nur noch Werbebotschaften und Reklamespots verstehen. Für sie gilt dann:

Leben Sie. Wir verpassen Ihnen den Rest.

Ein selbst verantwortetes Leben, das sich auch in religiöser Hinsicht orientieren kann, verlangt - mindestens im Rahmen des christlichen Glaubens, dass Menschen zu Lesen und zu Verstehen lernen. Und in erster Linie müssen sie dies als Kinder lernen in der innerlichen familiären Atmosphäre ihres Elternhauses.

Sonst bleibt ihnen das Evangelium verdeckt. Und es steht dann mehr auf dem Spiel, als nur ihre Berufschancen.

Paulus ermahnt uns:

„Ist nun aber unser Evangelium verdeckt, so ist's denen verdeckt, die verloren werden, den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes. Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus, daß er der Herr ist, wir aber eure Knechte um Jesu willen. Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, daß durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi."

Leben Sie. Ob Sie lesen oder hören: Lassen Sie sich vom Geist erleuchten.

Den hellen Schein kann der Heilige Geist auch durch das gesprochene Wort hervorrufen. Aber die Prediger dieser Welt müssen immer überprüft werden. Hinter einigen steht der satanische Trieb, Bücher, Hexen oder Mitmenschen zu verbrennen. Gegen die Ohmacht des Nichtwissens hilft die Fähigkeit, selbst lesen und sich ein Urteil bilden zu können.

Gott, lass Deinen hellen Schein in unseren Herzen leuchten und lass uns darum ringen, dass Kinder DEIN Wort hören und verstehen durch Hören und Lesen, denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.