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Am 4. Advent 2001 hielt Ralf-Andreas Gmelin eine Predigt zu Jesaja 52,7-12

Die frohe Botschaft

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen,

Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!

Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.

Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.

Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, daß aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

Weicht, weicht, zieht aus von dort und

rührt nichts Unreines an! Geht weg aus ihrer Mitte, reinigt euch, die ihr des HERRN Geräte tragt!

Denn ihr sollt nicht in Eile ausziehen und in Hast entfliehen; denn der HERR wird vor euch herziehen und der Gott Israels euren Zug beschließen.

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Herr, tu meine Lippen auf, daß mein Mund Deinen Ruhm verkündige.


Liebe Gottesdienstgemeinde

"Wie lieblich sind auf den Kanzeln die Lautsprecher der Freudenboten, die da "Frieden" verkündigen.

Die Gutes predigen und Heil verkündigen.

Die den Leuten sagen:

Das Gute siegt über das Böse.

Solche Botschaften schallen laut heraus

und solche Boten bekommen einen guten Ruf.

Die ganze Welt wird darauf schauen,

wenn der Friede Gottes mächtig wird."


Herrscht Friede?

Gewiss nicht dort, wo bis ebenn noch Bomben fielen. In Afgahanistan, wo es Jahre brauchen wird, bis der Friede wie ein zartes Pflänzchen gewachsen ist, um die Menschen vor der Gewalt zu schützen. Herrscht Friede, wo potentielle Mörder Unschuldige in Verkehrsmaschinen mit Attentaten bedrohen?

Herrscht hier Friede in Europa? Wo in wenigen Tagen der Euro zum verbindeden Symbol wird? Friede, wo sich in Radio und Fernsehen bereitwillig Familien zur Schau stellen. Wo Kinder ihre Eltern in der Öffentlichkeit in den Schmutz zerren, Eltern ihre Kinder, Eheleute sich gegenseitig mit Dreck bewerfen und wo für eine Million jede Hemmung fällt.


Deutschland: Ein einig Volk von käuflichen, ehrlosen Denuntianten?

Wann kommt es darauf an? Wann gilt es? Bis wohin darf die Toleranz gehen? Und wo hört der Spaß auf?


Wer heute einen Nachmittag lang Unterhaltungssendungen im Fernsehen schaut, den beschleicht das Gefühl, dass alles egal, alles erlaubt, jede Gemeinheit witzig und jede Lumperrei lustig ist. Und wenn Menschen darüber kaputt gehen - was solls?

Was würde Jesus zu den Talkrunden von Fernsehmenschen sagen. Menschen, die dem Fernsehen ihr Leben opfern. Für einen Hauch Prominenz, der nur Stunden vorhält, geht jeder bürgerliche Anstand unter. Es fängt mit einer einfachen Entscheidungsfrage an: Ja oder nein. Willst du oder willst du nicht? Ein unauffälliger Wendepunkt. Wenn du dann ja gesagt hast, ist es für alles zu spät.


Unser Leben kennt manchen Wendepunkt.

Nicht jeden Tag, nicht in jeder Stunde, aber sie kommt diese Situation.

Entscheidungen zu Freunden, zu großen Investitionen, zu beruflichen Weichenstellungen.

Hoffentlich stellen wir an den Wendepunkten unseres Lebens Fragen.

Jeder von uns muss in bestimmten Situationen Farbe bekennen.


Jemand hängt einem Menschen ein böses Maul an, der mir nahe steht. Klemme ich den Schwanz ein und bin still? Stimme ich vielleicht sogar in den Tratsch ein? - Oder verteidige ich treu das Opfer der Geschichte?

Auch wenn ich dann vielleicht bald selber in den Klatschgeschichten vorkomme.


Eine kleine Alltagsfrage, die aber im Augenblick - wenn sie sich stellt - riesengroß ist, lebensfüllend.


Darum befassen wir uns gern mit lebensentscheidenden Geschichten, in Büchern oder Filmen, wo es um Wendepunkte geht.


Franz Werfel, der große jüdische Dichter, der gleichzeitig begeisterter Deutscher und Freund des Christentums war, er erzählt eine Geschichte, bei der man erst nicht genau weiß, wo es lang geht.

Er erzählt von Peter Schoch. Zeit der Handlung ist die schlimme großdeutsche Vergangenheit:

Peter Schoch ist ein kleiner mieser Versager, der sich schon vor dem Anschluß Österreichs den Nazis verdingt hat, weil's nicht mal zu einem Schulabschluß gereicht hat.

Auf einmal ist er wer, am Tag nach dem Anschluss Österreichs ans Reich. Jetzt ist er nicht mehr der kleine miese Versager, auf den die ganze Familie herunterschaut, jetzt ist er die nationalsozialistische Speerspitze.

Alle Juden werden gleich am ersten Tag zusam- mengetrieben. Und die braunen Herrenmenschen wollen sie über die ungarische Grenze wegjagen. Unter ihnen auch der Rabbiner des Dorfes: Aladar Fürst.

Peter Schoch versetzt ihm einen Faustschlag, dass er in die Knie geht. Er wendet sich an seine Komplizen, die in ihren braunen Hemden herumstehen:

"Niemand soll sagen, daß wir euch schlecht behandeln. Ich gebe dir die Ehre, Saujud, das Hoheitszeichen der germanischen Rasse mit deinem dreckigen Maul zu küssen."

Aladar Fürst, noch immer auf seinen Knien, nimmt ruhig ein Hakenkreuz, das ihm Schoch entgegen hält. Es ist das Grabkreuz eines unbekannten Toten mit flüchtig angenagelten Querbrettchen. Ein Kreuz zum Hakenkreuz verwandelt und es riecht nach nasser Frühlingserde.

Aladar Fürst handelt mit halbgeschlossenen Augen, mit nachdenklichen Bewegungen. Er stellt das geschändete Kreuz wieder her. Er knickt eins nach dem andern die nur lose angenagelten Seitenbrettchen ab, die aus dem Kreuz ein Hakenkreuz machen.

Da das Kreuz schon sehr von Wind und Wetter zermürbt ist, bricht beim Abknicken das eine Ende des verfaulten Querholzes ab.

Das rückverwandelte Kreuz geht kaputt. Es ist nicht mehr dasselbe wie früher. Totenstille herrscht. Niemand hindert den Verlorenen an der langsamen Vernichtung des triumphierenden Symbols. Ein schwebendes Lächeln liegt auf dem Gesicht des Rabbiners. Er gibt das Kreuz einem christlichen Priester. So, als gehörte es diesem und nicht ihm.


Wenige Sekunden später endet das Leben von Aladar Fürst unter Gewehrfeuer und Stiefeltritten.


Wir spüren, dass er das einzig Richtige tut. Obwohl es grauenhaft ausgeht. Der Tod des Rabbiners sorgt in der Geschichte dafür, dass alle Juden, die von den Ungarn an der Grenze abgewiesen werden sollen, in das Land gelassen werden.

Die Geschichte von Franz Werfel heißt: Die wahre Geschichte vom wiederhergestellten Kreuz und stammt aus dem Jahr 1942.


Als Leser wissen wir, wo wir stehen.

Und wer hält dem geschändeten Rabbiner nicht die Daumen gegen den vulgären Idioten, der seine Macht allein auf Stiefel und Gewehre gründet?


Nur: Was hätte uns das Kreuz bedeutet, wenn man es uns als Hakenkreuz unter den höhischen Blicken dieser dummen Masse gereicht hätte?

Oder um es in ein Bild unserer Tage zu setzen: Wenn morgen das Fernsehen kommt und Dir die Million zahlt, wenn Du das christliche Kreuz verhunzt: Würdest Du den Produktionsassistenten dahin jagen, wo er hin gehört: Zum Teufel?


Wären wir sicher in dem, was wir tun würden?

Würden wir die Million nehmen und der Rest wäre dann ja egal?

Würden wir - im anderen Fall - unsere Haut retten? Wäre uns unser Anstand egal?


Zum Glück müssen wir jetzt nicht laut und eindeutig antworten.

Solche Entscheidungen lassen sich auch nicht auf der gemütlichen Kirchenbank treffen, sondern nur angesichts einer Entscheidungssituation an einem Wendepunkt des Lebens.


Aber jeder von uns wird in den nächsten Tagen, Wochen oder Monaten einmal wieder vor der Situation stehen, dass wir unserem Gegenüber nach dem Mund reden sollen. Und dann brauchen wir Mut. Der Mut kommt nicht angeflogen und wer keine Angst hat, ist noch lange nicht mutig.


Mutig ist erst, wer seine Angst überwindet.

Ohne das Risiko des Mutes bekommen wir die Wahrheit nicht geschenkt.


Wie mutig muß ein Konfirmand sein, wenn er bekennt: Ich lasse mich nicht wegen der Geschenke konfirmieren, sondern weil ich daran glaube, daß eine Welt ohne Jesus Christus lieblos ist.

Wie mutig muß ein jeder von uns sein, wenn er sich nicht auf die Lieblingsphrasen des deutschen Massenmenschen einläßt: Kirchensteuer, Zölibat und Papst, sondern auf die sinnstiftende Macht der Machtlosigkeit Jesu Christi hinweist.


Nein, Helden, die totgeschossen werden - wie in der Geschichte von Franz Werfel - müssen wir nicht sein.

Aber Mut brauchen wir.


Mut auch und gerade für ein christliches Weihnachtsfest, das es seine inhaltliche Mitte weider findet. Wir wünschen vielen Christen den Mut zu der offenen Aussage: "Eigentlich möchte ich wenigstens an Weihnachten in die Kirche."

Gott, werde DU in diesen Weihnachtstagen in uns geboren: Ziehe DU vor uns her hin zum Frieden, zum Frieden unserer Seele und zum Frieden unserer Welt. Lass die Friedliebenden an Weihnachten Gemeinschaft finden. Und mache die Totschläger dieser Welt einsam: Zeige ihnen, dass sie gottlos sind und am Abgrund stehen.

Herr, bleib nicht stumm, wenn wir beten: Laß uns Deine stärkende Macht erfahren, die uns von unseren Ängsten befreit, denn dein Friede, der höher ist denn alle Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo Jesu, Amen.