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Im Gottesdienst am 15. Sonntag nach Trinitatis hielten Dr. Sunny Panitz und Ralf-Andreas Gmelin die folgende Dialogpredigt im Rahmen eines "Liturgischen Gottesdienstes". Dieser auf Wunsch vieler Gemeindeglieder gehaltene Gottesdienst sollte die unterschiedlichen liturgischen Elemente des evangelischen Gottesdienstes vorstellen und erläutern.

Prediger A gesprochen von Ralf-Andreas Gmelin - von der Kanzel. „Tradition" verbindet uns mit den Wurzeln des Christlichen Glaubens.

Prediger B gesprochen von Dr. Sunny Pnaitz - vom Pult. Der Gottesdienst muss sich den Menschen anpassen, um sie zu erreichen.

A: Der hier in Hessen lebende im nahen Taunusstein produzierende - vielleicht größte - Glaskünstler unserer Kultur, Johannes Schreiter, hat das Wort geprägt:
„Tradition: die Unruhe im Uhrwerk der Progression."

Liebe Gottesdienstgemeinde,

in unserem Dialog zwischen Kanzel und Pult, möchte ich die Tradition verteidigen. In einer Zeit, die alles auflöst, auf Bequemlichkeit und Stromlinie hin überprüft und verwirft, ist die Tradition das, was einen ruhigen Takt gibt. Der Fortschritt, die Progression, tickt nicht wie ein Uhrwerk, sondern gleicht eher einem Wasserfall, der alles immer rascher mit in die Tiefe reißt. Nur im Dialog mit den Erfahrungen der Jahrtausende wird der Fortschritt zu einem kontrollierten Vorgehen, das dem Ticken eines Uhrwerks gleicht.

In einem Satz: Sich hinter die Tradition zu stellen heißt nicht den Fortschritt abzulehnen, sondern ihn immer wieder von der Tradition in die Pflicht nehmen zu lassen. Darum gehört meine Position nicht ans Pult, sondern auf die Kanzel. Sie erfüllt in Stein gemauert die alte evangelische Forderung, dass eine Person möglichst von allen gesehen und gehört wird, wenn sie im Gottesdeinst predigt.

B.: Das klingt ganz schön. Aber zum protestantischen Erbe gehört nicht allein, dass der Prediger gut gesehen und gehört wird, sondern vor allem „inmitten des Volkes liest, auslegt, ermutigt und ermahnt." Und das ist der Grund, warum der Prediger nicht irgendwo weit weg von den Menschen hoch oben schweben soll, sondern mitten unter ihnen stehen soll. Hier am Pult.

Liebe Brüder und Schwestern,

die Überlegungen über die Tradition empfinde ich durchaus als überlegenswert. Der Vergleich von reißendem Wasserfall und Uhrwerk überzeugt mich nicht. Der Gottesdienst hat gar nicht die Wahl, sich zwischen Wasserfall und Uhrwerk zu entscheiden. Die Zeit ist längst in einem rapiden Umbruch und wenn die Kirche bei den Menschen etwas bewegen will, muss sie zu denen sprechen, die jetzt und hier leben. Eine maßvolle Tradionspflege ist angesichts unserer unruhigen Zeiten weltfremde Esoterik. Oder um Bild zu bleiben: Wer auf den Wasserfall zutreibt, sollte schwimmen und sich nicht in ein Uhrwerk hineinträumen.

A: Na, dann schwimmt mal schön. - Nein, im Ernst: Das Bild vom Uhrwerk, das schließlich von einem Künstler stammt, der als Rektor des Städelschen Kunstinstituts einer der fortschrittlichsten Leute der Avantgardekunst war, meint etwas anderes. Gerade für die Buchreligionen gilt besonders, was für den Rest der Menschheit auch gilt: Jede Vorwärtsbewegung setzt auch Trägheitselemente in Gang; die Unruhe in der Uhr schwingt zwar hin und her, zwischen gestern und morgen, aber sie treibt den Zeiger dennoch nur in einer Richtung. Für den Gottesdienst heißt das: Wir wollen nicht eine Form von Vorgestern kopieren, damit den Gottesdienst in ein Museum verwandeln. Aber wir wollen, dass sich jedes Handeln und Gestalten der Kirche immer an der Frage misst: Ist es im Sinne dessen, der uns von den Evangelien vor Augen gestellt wird. Traditionell ausgedrückt: Ist es der Heilige Geist, an dem wir unser Bemühen messen oder ist es irgendeine Modeerscheinung?

B: Was mich stört, ist der unsausgesprochene Gedanke, dass die Predigt in der guten alten Zeit immer reines Wort Gottes war. Und dass wir uns brav nach rückwärts wenden müssten, um dem Heiligen Geist zu entsprechen. Nein: Immer hat die Predigt Stellung genommen zu ihrer jeweiligen Gegenwart. Per kaiserlichem Edikt von Karl dem Großen sollte die Predigt zu braven, frommen Christen erziehen und den Leuten draußen ein bisschen Bildung bringen.

Zweihundert Jahre später dienten die Predigten, um Leichtgläubige für die Kreuzzüge anzuwerben oder um den Hass auf die Andersgläubigen und Ketzer zu schüren. Und schließlich: Die meisten Messen wurden zunächst ohne jede Predigt gehalten. Es hat auch im Protestantismus lange gedauert, bis sich die Predigt als so wichtiger Teil des Gottesdienstes durchgesetzt hat. 1523 empfiehlt Luther, dass die Predigt vor dem Introitus stattfinden soll. Das heißt: Erst ein bisschen predigen und dann erst kommt der eigentliche Gottesdienst! Und was soll die Predigt da? Ganz klar: Sie belehrt die gläubige Versammlung, womit sie schuldig geworden ist und bereitet die Absolution vor. Sie ist hauptsächlich ein augebreitetes Sündenbekenntnis.

A: Dabei sind wir aber nicht stehen geblieben: Das Schuldbekenntnis haben wir ja immer noch am Anfang des Gottesdienstes und die Predigt ist die Antwort auf das Ja Gottes , der die Schuld vergibt: Ich nehme Dich an, obwohl Du nicht bist, wie ich Dich haben will. Und der Gottesdienst verbindet uns mit der Bibel, mit den Erfahrungen, die Menschen vor langer Zeit mit Gott machten. Und sie verbindet zugleich mit dem Ringen von Jahrtausenden, was im Leben wichtig ist. Gerade heute ist das wichtig, da es den Enkeln völlig egal ist, was ihren Großeltern einmal heilig war.

B: Vielleicht müssen wir nicht fragen, was den Großeltern heilig war, vielleicht müssen wir die Heiligkeit Gottes im Hier und Jetzt spürbar werden lassen. In einer Zeit, in der ein Teil derer, die sich konfirmieren lassen erst wieder nach Jahren in den Gottesdienst kommen, vielleicht zu ihrer Trauung, verstehen die Menschen die Sprache der Bibel nicht, sie sind mit Orgelmusik überfordert und können einer Predigt von 12 Minuten Länge nicht folgen. Ein Fernsehbeitrag darf auch nicht länger sein als eine Minute dreißig Sekunden. Das ist der Maßstab, denn diese Form ist den Menschen vertraut.

A: Aber vielleicht ist das Geheimnnis Gottes nicht in eins dreißig zu haben? Vielleicht verlangt es von mir, dass ich mich mühe. Dass ich es lerne, den Weg zu Gott zu suchen, dass ich mich auch einmal quäle, um den Wert von Gottes Wort zu suchen. Ein fortschrittliches Gottesdienstkonzept, das das Wort Gottes zum Werbespot zusammenknautscht, kann es nicht sein.

B: Ein Gottesdienstkonzept, das nicht die Sprache der Menschen trifft, das kann die Botschaft, der es dienen will, nicht weitergeben und macht die Kirche zum esoterischen Zirkel.

Ja, liebe Gottesdienstbesucher und -besucherinnen: Jetzt sind Sie gefragt: Wenn Sie heute die Entscheidung treffen müssten.

Möchten Sie das Konzept von der Kanzel? Tradition muss um Gottes Willen sein.

Oder möchten Sie das Konzept von dem Pult? Kirche von heute muss sich um der Menschen Willen anpassen.

Stimmen wir ab. Bite lassen Sie sich nicht von der Person beeinflussen. Dieser Dialog hätte auch umgekehrt gesprochen werden können.

Wer ist für die Kanzel?

Wer ist für das Pult?

Die Abstimmung ergab etwas über 30 Stimmen für die Kanzel-Konzeption und 26 Stimmen für die Pultkonzeption...