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Predigt am 7. Sonntag nach Trinitatis zu Lukas 9,10-17
Von Ralf-Andreas Gmelin:

Die Speisung der Fünftausend

Fritz Philippi, von 1910 bis zu seinem Tod am 20. Februar 1933 Pfarrer an der Ringkirche hinterließ das folgende Gedicht:

Er sah mich an
mit den Augen der Ewigkeitstiefe
als ein Wissender:
„Du wirst verhungern ohne mich.
Denn ich bin Brot."
Und als er mich ansah,
stand in meiner Seele
der Hunger auf und rief:
„Gib mir das Brot!" -
Ich aber ging hinweg zu den andern
und aß Erde... und nannte es Leben -
Aber die Seele ward nicht stille in mir,
soviel ich ihr befahl und das Beste der Erde
ihr brachte zu essen...
daß ich zuletzt sie ausreißen wollte.
Und konnte nicht.
Und sie flehrte bald wie ein Kind.
Bald stand sie auf wie ein Sturm
und rüttelte mich und schrie mich an
als Mörder!...
Und wollte Brot.
Da hab ichs länger nicht ertragen.
Nun kam ich wieder, Herr Jesu,
und weiß, daß du recht geredet:
ich muß verhungern ohne dich.
Denn du bist Brot.
Und er sah mich an
mit den Augen aus Ewigkeitstiefe.
Und brach das Brot.


Lk 9,10-17

10 Die Speisung der Fünftausend

Und die Apostel kamen zurück und erzählten Jesus, wie große Dinge sie getan hatten. Und er nahm sie zu sich, und er zog sich mit ihnen allein in die Stadt zurück, die heißt Betsaida.

11 Als die Menge das merkte, zog sie ihm nach. Und er ließ sie zu sich und sprach zu ihnen vom Reich Gottes und machte gesund, die der Heilung bedurften.

12 Aber der Tag fing an, sich zu neigen. Da traten die Zwölf zu ihm und sprachen: Laß das Volk gehen, damit sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Essen finden; denn wir sind hier in der Wüste.

13 Er aber sprach zu ihnen: Gebt ihr ihnen zu essen. Sie sprachen: Wir haben nicht mehr als fünf Brote und zwei Fische, es sei denn, daß wir hingehen sollen und für alle diese Leute Essen kaufen.

14 Denn es waren etwa fünftausend Mann. Er sprach aber zu seinen Jüngern: Laßt sie sich setzen in Gruppen zu je fünfzig.

15 Und sie taten das und ließen alle sich setzen.

16 Da nahm er die fünf Brote und zwei Fische und sah auf zum Himmel und dankte, brach sie und gab sie den Jüngern, damit sie dem Volk austeilten.

17 Und sie aßen und wurden alle satt; und es wurde aufgesammelt, was sie an Brocken übrigließen, zwölf Körbe voll.

Herr, tu meine Lippen auf, daß mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Erinnern Sie sich an die hungrige Seele, die im Gedicht von Fritz Philippi nach Brot geschrien hat?

Vielleicht waren die Seelen am Anfang des letzten Jahrhunderts anders. Viele Seelen heute sind mindestens so hungrig und essen Erde, aber sie leiden still, demütig, schweigend.

Wenn 5000 Seelen heute um das Brot Jesu säßen, wer weiß? vielleicht würden keine zwölf Körbe voll von Brocken mehr übrigbleiben.

 

Liebe Gottesdienstgemeinde,

ich möchte Sie auf einen anderen Berg entführen. Er liegt auf der grünen und geheimnisvollen Insel, die meist wegen furchtbarer Ereignisse in die Nachrichten kommt: In Irland.

Auf dieser großen Insel liegen die Berge von Wicklow. Grüne Hügel, die früher bewaldet waren.

Stellen Sie sich ein enges Tal vor. Hier gibt es noch Wald, ein schmaler Pfad schlängelt sich unten zwischen den Kuppen hindurch.

Hier lebt vor vielen Jahrhunderten Kevin. Im 6. Jahrhundert sitzt er dort auf einem Stein, hoch über zwei Seen und schaut hinunter auf das stille Tal. Von dem Mönch, der schweigend und gottergeben dort sitzt, geht damals eine ungeheure Ausstrahlung aus. Viele Menschen pilgern zu dem stillen Menschen. Sie holen sich Orientierung von diesem christlichen Lebensmeister, wie sich ihre Vorfahren Orientierung von den Druiden und Zauberern geholt hatten. Kevin gründet ein Kloster, das sich nach wenigen Jahren zum wichtigsten Pilgerort Irlands entwickelt. Die Ruinen dieses alten Platzes zeugen noch heute davon, dass sehr viele Menschen in diesem Kloster das Brot für ihre Seele gesucht haben: Klugheit, Weisheit und ein glückendes Leben.

Kevin heißt der Bäcker dieses Brotes, dessen Mehr direkt von Gott stammt. Er ist fort von den Dörfern und Städten, hoch über der märchenhaften Stille des Waldtales, von wo er auf seinem Meditationsstein das Silber des kleinen Sees heraufglitzern sieht.

Es kommen Menschen, die neugierig sind auf den einsamen Mann. Sie werden nicht fortgejagt. Sie werden angenommen. Und viele bleiben. Das Seelenbrot, das Kevin backt ist, teilt er mit ihnen. Und es trägt auf seine Weise Frucht, die hinaus getragen wird aus dem kleinen Gebirgstal in Irland.

Auch wenn das Zeitalter vorbei ist, in dem aus der Stille der Wälder und Inseln plötzlich eine ungeheure gesitliche Speise hervorbricht, man steht noch heute beeindruckt vor den Spuren, die dieses Zeitalter hinterlassen hat. Und vielleicht ist es der Hunger nach dem Brot des Lebens, der auch jedes Jahr ungezählte Touristen zu solchen Orten führt auch mich vor einigen Jahren.

Daß die alten Klosteranlagen, denen ganz Europa so ungeheuer viel verdankt nur noch tote Ruinen sind, ist einem Machtkampf zu verdanken. Der protestantische Engländer Oliver Cromwell zerstörte 1649 bis 1652 alle katholischen Einrichtungen und ließ alle Priester ermorden, deren er habhaft werden konnte.

Doch lassen wir diese dunkle Geschichte, die kurz nach der Zeit stattfand, als der dreißigjährige Krieg hier bei uns in Deutschland den größten Teil der Bevölkerung vernichtet hatte.

Wenn der christliche Glaube so hungrig ist, dass seine Früchte nur noch Machtkalkül und Gewalt heißen, wenn christlicher Glaube vergeblich schreit nach einem Brot, das nicht von dieser Welt ist, dann verkümmert er zu einem Stempel auf dem Taufschein.

Erinnern wir uns an Jesus und seine Jünger: Jesus lädt die Hungrigen ein. Dann spricht er zu ihnen vom Reich Gottes. Er macht sie gesund, wenn das Leben sie verbogen hatte.

Aber das kommt der Abend und die Schafe trennen sich von dem Bock. Auf der einen Seite wir Hasenfüße, vertreten durch die zwölf Jünger. Mit beiden Händen, zehn Fingern und einem hungrigen magen haben wir uns ausgerechnet, was uns noch bleibt, wenn wir die Vorräte verteilen. Die Frucht des Seelenhungers ist die Angst: Die Angst zu teilen und die Angst zu verschenken. Und die Frucht der Angst ist die Trennung. Leute, geht heim, hier gibts nix für Euch. Denn wir fühlen uns ohne Vorräte wie in der Wüste.

Und darauf die Gelassenheit dessen, der unsere Angst nicht kennt. Wohl dem, der wie Jesus diese Angst niemals erfahren hat.: Gebt ihr ihnen zu essen.

Und das heißt hier auch: Ihr wißt gar nicht, was ihr alles habt. Ihr könnt den Menschen etwas geben, auch wenn ihr meint, ihr kämt zu kurz.

Bei dem Seelenbrot ist das einsichtig: Ein rechtes Wort zur rechten Zeit und die Jünger werden zu Wundertätern, obwohl sie eben noch angstbesetzte Ordnungspolitiker waren. Jetzt trauen sie sich, sich den Fünftausend zuzuwenden, obwohl sie sie eben noch anraunzen wollten: Ab nach hause mit Euch!

Vielleicht hat die Ungerechtigkeit mit der das Erdenbrot auf unserem Globus verteilt ist auch viel mit dem Mangel an Seelenbrot zu tun. Vielleicht steht da öfter Mutlosigkeit und Ohnmachtsgefühl unter den Mächtigen und Einflussreichen Pate, als es von außen scheint.

 

Liebe Gottesdienstgemeinde,

in die Stille grüner Täler hat der Hunger die Menschen geführt und sie haben dort Brot für ihre Seele bekommen. Der Glaube als Frucht dieses Brotes hat lange Zeit vielfältig Frucht getragen hat. In ihrer Armut hatten sie den Mut zu teilen, ihre Orte wurden zu Tankstellen für leergebrannte Seelen, zu Bäckereien göttlicher Brote.

Unsere Aufgabe heute ist, unseren Hunger erst einmal wahrzunehmen und nach dem geeigneten Brot zu suchen, dessen Duft nachzugehen und es zu mir zu nehmen. Dass Jesus Christus das Brot für unseren glauben ist und es für uns bereithält, das ist ein Bild dafür, dass unser Hunger gestillt werden kann.

Ich wünsche ich Ihnen die gute Erfahrung, dass Sie nicht nur Ihren Hunger entdecken, sondern auch das Brot, das Jesus Christus unter uns verteilt.

Wir bitten DICH, Jesus Christus sei DU unser Brot und führe uns den Weg zu Gelassenheit und Furchtlosigkeit, denn Gottes Friede, der höher ist denn alle Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo

Jesu, Amen.