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Im Taufgottesdienst am 1. Sonntag nach Epiphanias hält Pfarrer Ralf-Andreas Gmelin die folgende erzählende Predigt zu 1. Petr. 1,16-23:

 
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Lasst uns hören auf die Worte der Heiligen Schrift, wie wir sie aufgezeichnet finden im 2. Petrusbrief (1,16-23):

„Denn wir sind nicht
ausgeklügelten Fabeln gefolgt,
als wir euch kundgetan haben
die Kraft und das Kommen
unseres Herrn Jesus Christus;
sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen.
Denn er empfing von Gott, dem Vater,
Ehre und Preis durch eine Stimme,
die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit:  Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Und diese Stimme
haben wir gehört vom Himmel kommen,
als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge.
Um so fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran,
daß ihr darauf achtet als auf ein Licht,
das da scheint an einem dunklen Ort,
bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.
Und das sollt ihr vor allem wissen,
daß keine Weissagung in der Schrift eine Sache eigener Auslegung ist.
Denn es ist noch nie eine Weissagung aus menschlichem Willen hervorgebracht worden, sondern getrieben von dem heiligen Geist haben Menschen im Namen Gottes geredet.

 
HERR, Dein Wort sei meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.
 

Liebe Gottesdienstgemeinde,

„augeklügelte Fabeln“. Das steht hier für Erfindungen des menschlichen Geistes, um andere Menschen zu täuschen.

Fabeln sind aber seit der Zeit der Alten auch Geschichten, die uns Menschen auf den richtigen Weg führen sollen, weil sie in der Tierwelt spielen. Es bäumt sich bei uns nicht gleich etwas auf, wenn uns Maus, Fuchs und Rabe die Meinung sagen: Im Leben der Fabeltiere spiegelt sich unsere Menschenwelt.

Martin Luther, der selbst einige Fabeln erdachte, hat einmal gesagt:

„Alle Welt hasset die Wahrheit, -
wenn sie einen trifft.
Darum haben hohe weise Leute
die Fabeln erdichtet.
Und weil man die Wahrheit nicht hören will durch Menschenmund,
hört man sie dann doch
durch Tier- und Bestienmund.

 
Hören wir eine solche Fabel:

In nicht so alten Zeiten, als noch der Löwe weise über Wald und Feld regierte, traf es sich, dass der Fuchs gelangweilt über das Waldlaub schnürte. Kaum dass er leise eine Wurzel überstiegen hatte, sah er ein Mäuslein, das er im kühnen Sprung mit seinen Pfoten packte, bevor es noch in das rettende Loch entwischen konnte. Das Mäuslein erinnerte sich einer alten Geschichte und begann um sein Leben zu reden:

„Herr Fuchs, lasst mich nur gehen, es kann doch für einen edlen Fuchs nun wirklich keine Ehre sein, ein harmloses Mäuslein zu fangen. Jeder weiß, dass du mächtiger bist als so eine Waldmaus und damit kannst du es niemandem als Zeichen großer Kühnheit verkaufen, dass du mich gefangen hast. Ich verspreche dir, dass ich dir einmal nützlich sein werde, wenn du schon nicht mehr an mich denkst.“

Der Fuchs kannte die alte Geschichte wohl und entgegnete dem Mäuslein: „Fein geredet, liebes Mäuslein, ich merke schon, du bist in alten Geschichten wohl erfahren. Doch musst du mir schon genauer voraussagen, wie du mir mit deinen schwachen Pfötchen je behilflich sein willst. Denn ich fange keine Mäuse, um damit zu prahlen, sondern um meinem Bauch ein Pfündlein zuzusetzen. Und wenn ich auf dich – als kleinen Happen zwischendurch – verzichten soll, dann musst du mir schon bessre Gründe liefern als dich auf meine Eitelkeit zu verlassen.

Das Mäuslein in seiner Not wusste, dass sein Leben von seiner Antwort abhing und erinnerte - um Zeit zu gewinnen - den Fuchs an die Geschichte von dem gefangenen Löwen und der Maus. Die Maus in der Fabel hatte sich erfolgreich aus den Tatzen des Löwen herausgeredet und dann:

„Es kam schon bald die groß’ Gefahr, indem der Löwe gefangen war.
In einem Netz, das war sehr stark, er hätt gegeben tausend Mark,
dem, der ihn daraus hätt’ befreit. Doch niemand war dazu bereit.
Als er so gefangen lag, da kam die Maus am nächsten Tag.
 Sie sagt: Gott grüß’ dich, hoher Herr, sag mir nur schnell, was ist dein Begehr?
Da klagt der Löwe sein Leid dieser Maus, die sagt: Da hol ich schnell dich wieder‚raus.
Ich helf dir, dass du bleibst am Leben, denn du hast mir das meine gegeben.
Die Maus begann am Netze zu nagen, Und was gibt es da lange zu sagen:
Mit ihrer kleinen Zähne Bissen Hat sie das Netz ganz flott zerrissen.
Schon hat der Löwe Reißaus genommen. Die Maus hat’ einen Freund bekommen.
Der Löwe dankte ihr von Herzen, denn sie erspart’ ihm Tod oder Schmerzen.
Sie sprach: Das hab ich gern getan. Und eines kannst du sehen daran:
Kraft ohne Milde tut nicht gut. Erbarmen gehört immer zu Kraft und Mut.

 
Lieber Herr Fuchs, so schließt die Maus
Hier ist diese Geschichte aus:
Du siehst, dass auch eine winzige Maus einem Löwen – oder einem Fuchs - das Leben retten kann, wenn das starke Tier tugendhaft und barmherzig ist.

 „Mein liebes Mäuslein“, entgegnet der Fuchs:
„Dein Pech ist, dass deine alte Geschichte vergisst, dass uns Füchsen nicht mehr mit einem Netz nachgestellt wird. Gegen eine eiserne Schnappfalle kannst du ebenso wenig ausrichten wie gegen eine Ladung Schrot. Hingegen tut mir ein kleines Frühstück gut. Sag, warum soll ich dich nicht fressen? Ich hab schon lang nichts mehr gegessen?“

Dem Mäuslein wird der Mund trocken. Fieberhaft denkt es darüber nach, wie es dem Fuchs eines Tages das Leben retten könnte, auch wenn es kein Netz aus gutem alten Seil mehr gibt.

Da hören die beiden ein deutliches „Krahh“ über sich und schauen nach oben: Ein Rabe sitzt auf einem Ast, der war die ganze Zeit Zeuge des Gesprächs.

„Mein lieber Fuchs! Ein Mann Ihres Kalibers sollte doch wissen, dass man keiner Prophezeiung glauben kann, wenn sie jemand selbst erfindet. Und schon gar nicht, wenn man jemanden zwingt, eine Vorhersage zu erdichten. Woher soll das Mäuslein wissen, wie es Sie einmal retten wird?

Ein schlauer Fuchs weiß doch wohl, dass nur solche Vorhersagen eintreffen, für die sich der Empfänger geöffnet hat. Nur der kann in die Zukunft schauen, durch den das Bild künftiger Zeiten hindurchfließt, ohne dass er absichtsvoll eine faustdicke Fabel erfinden muss.“ –

„Ach Sie sind’s, mein lieber Rabe“, entgegnete der Fuchs, „schade, dass Ihrem Schnabel vorlaute Worte entschlüpfen. Ich schätze es viel mehr, wenn Sie mir fette Käse ins Maul fallen lassen.“-

„Lassen wir doch die alten Geschichten, Fuchs!“ spricht darauf der Rabe, „ich will Ihnen ja keine Vorschriften machen, zumal wir Raben ja auch ein Mäuslein zum Nachtisch nicht verschmähen. Aber wahr muss wahr bleiben: Wenn Sie sich schon auf ein Gespräch mit einer Maus einlassen, dann dürfen Sie sie nicht zur Lüge zwingen. Sie hat gesagt, dass sie Ihnen nützlich sein will. Und darum sollten Sie sie laufen lassen.“ -

„Sie meinen, mein lieber Rabe, ich soll sie ihnen gleich in den Schnabel stopfen? Ich kann mir schon denken, woher Ihre barmherzige Stimmung auf einmal kommt.“ –

„Ach, Freund Fuchs, warum so sarkastisch. Habe ich doch heute Vormittag schon ein ganzes Gelege köstlicher Eier gefressen. Nein: Ich mag nun keine Maus. Aber wer die Wahrheit an sich heranlässt und wer sie durch sich hindurchfließen lässt, der kann anderen zum Segen werden. Ich dachte, dass ich Euch beiden heute zum Segen werden kann.“ -

„Nein, was für ein rabenschwarzer Segen, den das Mäuslein und ich heute abkriegen!“

„In der Tat: Denn ich sage Ihnen, was mein Rabenauge in der Ferne gesehen hat. Das Mäuslein hat Ihnen das Leben gerettet. Darum hat es die Freiheit verdient.“

„Mir das Leben gerettet? Langsam fürchte ich um Ihren Verstand, guter Rabe.“

„Und doch: Wenn das Mäuslein Sie nicht an dieser Wurzel aufgehalten hätte, wenn Sie mit Ihrem Mäusebraten im Bauch gleich weitergeschnürt wären, dann säßen Sie jetzt in Ihrem Bau – und wären tot. Nur weil Sie mit dem Mäuslein und nun auch mit mir hier Zeit verbracht haben, ist der Dachshund vergeblich in Ihren Bau eingedrungen und das Schrotgewehr des Jägers hat keinen Schuss getan.“

„Stimmt das, was Sie sagen, Rabe?“

„Ich sage nichts von mir aus, sondern nur, was mir die Wirklichkeit zu berichten aufgetragen hat. Meine Augen und Ohren sind stets offen für alles, was sich im weiten Umkreis tut. Darum ist mein Wort wahr. Zumal ich keinen eigenen Wunsch damit verbinde.“

„Nun denn, du Maus, zieh hin und geh deiner Wege. Ein Fuchs fürchtet nicht als gefräßig oder als egoistisch dazustehen. Aber er möchte sich nicht undankbar zeigen, wenn er gerade sein Fell gerettet sieht.“

Und so trennten sich die drei ungleichen Tiere und sooft das Mäuslein die Narben der Fuchskrallen spürte, erinnerte es sich daran, dass ein rettendes Wort nicht eine listvolle Erfindung sein sollte, sondern nur der Ausdruck der Wahrheit, die uns durchzieht, wenn wir uns für sie öffnen.

Wer verkrampft ist,
wer von seinem Ziel gefangen genommen ist,
der ist nicht mehr offen für den heilenden Segen.
Das, was wir uns selbst ausdenken,
um die Welt damit zu verändern,
bleibt nicht ohne Spuren,
aber es erlöst uns nicht aus der Bedrängnis.

Gott, lass uns offen sein für das Wirken Deines Geistes, damit wir Deine erlösende Kraft spüren.  Das bitten wir DICH heute auch besonders für unsere Täuflinge Marlene und Emily. Sende uns allen DEINEN Geist, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen