Am Vorletzten Sonntag des
Kirchenjahres, am 18. November 2007, hält Pfarrer Ralf-Andreas
Gmelin in einem Taufgottesdienst eine Predigt, die die Josefsgeschichte
zum Inhalt hat, die mit dem Kapitel schließt: 1. Mose 50,15-26:
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem
HERRn Jesus Christus.
Im ersten Buch Mose findet sich eine berühmte Geschichte, die aber
nur selten auf die Kanzel findet. Es ist das Ende der Josefsgeschichte.
Die Josefsgeschichte gehört zu den ergreifendsten Stücken der
Weltliteratur – schon in der biblischen Fassung, aber dann auch
noch in der gewaltigen Version von Thomas Mann. Wir hören
das Schlusskapitel aus der Bibel. Jakob, der Vater Josefs und seiner
Brüder ist gestorben. Die Brüder befürchten, dass Josefs
Freundlichkeit aufhören wird, wenn jetzt der Vater nicht mehr da
ist. Wir lesen im ersten Buch der Bibel:
Josefs Edelmut und sein Tod
Die Brüder Josefs aber fürchteten sich,
als ihr Vater gestorben war, und sprachen:
Josef könnte uns gram sein
und uns alle Bosheit vergelten,
die wir an ihm getan haben.
Darum ließen sie ihm sagen:
Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach:
So sollt ihr zu Josef sagen:
Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde,
daß sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese
Missetat uns,
den Dienern des Gottes deines Vaters!
Aber Josef weinte, als sie solches zu ihm sagten.
Und seine Brüder gingen hin
und fielen vor ihm nieder und sprachen:
Siehe, wir sind deine Knechte.
Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an
Gottes Statt?
Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen,
aber Gott gedachte es gut zu machen,
um zu tun, was jetzt am Tage ist,
nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk.
So fürchtet euch nun nicht;
ich will euch und eure Kinder versorgen.
Und er tröstete sie
und redete freundlich mit ihnen.
So wohnte Josef in Ägypten mit seines Vaters Hause und lebte
hundertundzehn Jahre …
Und Josef sprach zu seinen Brüdern:
Ich sterbe;
aber Gott wird euch gnädig heimsuchen
und aus diesem Lande führen in das Land,
das er Abraham, Isaak und Jakob zu geben geschworen hat. …
Und Josef starb, als er hundertundzehn Jahre alt war. Und sie salbten
ihn und legten ihn in einen Sarg in Ägypten.“
HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige!
Liebe Gottesdienstgemeinde,
Josef ist das, was wir ein Stehaufmännchen nennen würden.
Immerzu provoziert er das Unglück, immer wieder trifft es ihn mit
voller Wucht. Immer wieder ersteht er glänzender als vorher neu
und anerkannt:
Der Nomadenjunge mit seinen furchtbar vielen Geschwistern stolpert
über die Affenliebe seines Vaters. Seine Brüder sind zurecht
eifersüchtig.
Zu Unrecht wollen sie ihn umbringen.
Aus dem mörderischen Brunnen kommt Josef heraus, er wird als
Sklave verkauft, landet auf dem Sklavenmarkt in Ägypten und wird
Hauswirtschaftsleiter des angesehenen Potifar.
Wenn das keine Karriere ist!
Aber dann stellt ihm die Frau des Potifar nach. Sie will ihn
verführen, er bleibt seinem Herrn treu, aber wird dann von der
gehässigen Frau verleumdet. Zweiter Absturz: Ab ins Gefängnis.
Im Gefängnis deutet Josef zwei Mitgefangenen ihre Träume und
wird so königlicher Traumdeuter des Pharao und danach:
Verwaltungschef der gesamten ägyptischen Staatsregierung. Vom
Bauernbub zum obersten Beamten einer Weltmacht. Der Stoff aus dem die
Träume sind.
Aber so knapp erzählt, ist das eigentlich keine Geschichte, die
unbedingt in die Bibel gehört. Das wäre eher ein Kaliber wie
von Rosamunde Pilcher, auch wenn’s im falschen Erdteil spielt. Das, was
Josef mit Gott verbindet, ist die Vorgeschichte seiner Familie und die
unerklärliche Kraft des Josef, Dinge zu sehen, die andere nicht
sehen. Er träumt die ferne Zukunft, in der sich seine ganze
Familie samt seinem Vater in tiefer Ehrfurcht vor ihm verneigen wird.
Ihm liegen die Traumsymbole offen und er liest in ihnen wie in einem
Buch. Da wird die Geschichte nicht müde, uns klar zu machen: Das
sind Gaben von Gott. Da unterscheidet sich diese Geschichte von den
Szenarien der Rosamunde Pilcher, oder eigentlich noch deutlicher von
denen ihrer deutschen Vorläuferin, der
Unterhaltungsschriftstellerin Hedwig Courths-Mahler, die auch schon das
Muster hatte: Die Liebe hebt alle Standesunterschiede auf. Und konkret:
Das was einer ist, was er an Charaktereigenschaften hat, was ihn
liebenswert macht, das bewegt in der Romanhandlung die Menschen und
lässt sie Grenzen überwinden. Courths-Mahler hat in ihrer
Lebensgeschichte etwas Ähnliches selbst erlebt: Sie war ein armes
Waisenmädchen, das sich allein durch ihre Schriftstellerei nach
oben geboxt hat.
Josef kommt nicht durch seinen Charakter nach oben – auch nicht durch
seine Tüchtigkeit.
Im Gegenteil: Wer seinen Brüdern größenwahnsinnige
Träume erzählt, kann kaum darauf hoffen, dass sie ihn lieben
werden.
Die Triebkraft der Josefsgeschichte ist Gott. Und der alte Josef
drückt es seinen Brüdern gegenüber ganz deutlich aus,
dass auch ihre Bosheit ein Werkzeug Gottes gewesen ist:
„Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen,
aber Gott gedachte es gut zu machen.“
Das, was unser menschlicher Eigenwille sich ausdenkt, das ist oft ein
Teil von jener Kraft, die stets das Böse will – und es auch
schafft.
Aber manchmal erweckt Gott aus dem Bösen das Gute. Die
Josefsgeschichte stellt den Zusammenhang her, indem an das Versprechen
erinnert wird, das schon der Erzvater Abraham bekommen hatte: Ich will
Dich zu einem großen Volk machen. Hätten die Brüder
nicht ihren Josef gehasst und verkauft, wäre ihre ganze Familie
verhungert.
Leider können wir uns nicht darauf verlassen, dass Gott alle
unsere Bosheit in Gutes ummünzt. Wir müssen uns dennoch
anstrengen, das Gute zu wollen – selbst wenn es uns nicht immer
gelingt. Die Josefsgeschichte will unseren Glauben stärken, dass
Gott auch die dunklen und schweren Augenblicke des Lebens nutzen kann,
um dadurch das Gute für mich oder für meine Nächsten zu
erwecken. Wir wünschen uns und wir wünschen uns für
unseren Täufling Emma, dass Gott uns in den schweren Krisen
Vertrauen gibt, dass uns diese Last nicht umsonst und sinnlos
aufgebürdet wird, sondern das sie ein Teil des Plans ist, mit dem
Gott das Gute in unserer Welt wirkt.
Dass DU, Gott, uns auf allen solchen Wegen geleitest, darauf vertrauen
wir,
denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft,
bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.