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Am 10. Sonntag nach Trinitatis geht die Predigt von Pfarrer Ralf-Andreas Gmelin aus von Johannes 4,19 ff, einer Offenbarungsgeschichte Jesu:

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Jesus ist im Gespräch mit einer Frau, die sicherlich nicht zu den Vorbildern gehört, was Lebenswandel und Moral anbetrifft. Aber Jesus spürt in ihrer Tiefe eine große spirituelle Sensibilität auf.

Lasst uns hören auf die Heilige Schrift, wie wir sie aufgezeichnet finden im Johannesevanglium im 4. Kapitel:

Die Frau spricht zu ihm:
Herr, ich sehe, daß du ein Prophet bist.
Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt,
in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
Jesus spricht zu ihr:
Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit,
daß ihr weder auf diesem Berge
noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
Ihr wißt nicht, was ihr anbetet;
wir wissen aber, was wir anbeten;
denn das Heil kommt von den Juden.
Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt,
in der die wahren Anbeter
den Vater anbeten werden im Geist
und in der Wahrheit;
denn auch der Vater will solche Anbeter haben.
Gott ist Geist, und die ihn anbeten,
die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.
Spricht die Frau zu ihm:
Ich weiß, daß der Messias kommt,
der da Christus heißt.
Wenn dieser kommt,
wird er uns alles verkündigen.
Jesus spricht zu ihr: Ich bin's, der mit dir redet.

Joh 4,19-26

HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund DEINEN Ruhm verkündige.


Liebe Gottesdienstgemeinde,

am dornigen Weißdorngesträuch hängen merkwürdige Fetzen. Ringsum sind seit Jahrtausenden unförmige Steine in einen Kreis gelegt. Das Zentrum des Steinkreises markiert ein steinzeitliches Heiligtum, von dem niemand weiß, was es bedeutet. Vielleicht kennen Sie solche Steinkreise in Irland oder in der Bretagne, wo viele heutige Bewohner so tun, als seien die Steine keltischen Ursprungs. Mancher erfindet einen neuen Zauber um die Schwingungen solcher Megalithgetüme. Und auch ich habe mich in die Mitte solcher Steine gelegt, um die geheimnisvollen Schwingungen zu empfangen. Bei mir schwang nichts. Ich lag in einer freundlichen Wiese, um mich herum ein paar alte Steine, es summten ein paar freundliche Bienen und ein paar unfreundliche Bremsen um mich herum. Und bei den Steinen bewundere ich gern, wie man sie in der Steinzeit zum Teil von weit her transportiert hat, aber für mich war’s das. Anders ging es mir auch nicht im berühmten Stonehenge in der englischen Grafschaft Witshire. Eindrucksvolle, 50 Tonnen schwere, Steine in klarer Morgenluft. Sie stehen da seit 5000 Jahren. Faszinierend – aber nicht mehr.

Szenenwechsel:

Der Besuch in Israel wird gern als „Pilgerreise ins Heilige Land“ bezeichnet. Wer nach Jerusalem kommt, bekommt sogar eine Pilgerurkunde ausgehändigt. Und dann kommen die heiligen Orte: Zuerst der Tempel, von dem heute nur noch Grundmauern stehen, auf dessen ehemaligem Tempelgebiet seit dem 7. Jahrhundert das Felsenheiligtum, Qubbet-es-Sahra steht, ein musilimisches Heiligtum und die Al Aksa-Moschee. Im Jahr 70 hatten die römischen Legionen den letzten jüdischen Tempel zerstört, den Herodes der Große kurz vor Jesu Geburt errichtet hatte. Diese blutige Eroberung gab dem heutigen 10. Sonntag nach Trinitatis seine Prägung als „Gedenktag der Zerstörung Jerusalems“. Der Platz vor der Westmauer ist heutigen Juden eigentlich kein Heiligtum, aber dennoch als Ort der Trauer und der frommen Sehnsucht heilig: Die Klagemauer, neben der eine Synagoge als Tunnel in den Tempelberg getrieben wurde.

Wer Jerusalem besucht, stößt auf die via dolorosa, auf der Jesus sein Kreuz tragen musste, er wird zum Raum geführt, in dem Jesus mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl gefeiert hat und zur Grabeskirche mit ihren vielen Eigentümern und ihrem liturgischen Klanggemisch. Ich liebe Jerusalem und reise immer wieder gern nach Israel. Mir wird auch immer wieder etwas deutlich, wenn ich dort unten bin, gerade auch im Hinblick auf die Heilige Schrift. Aber diese heiligen Orte in Jerusalem schweigen bei mir, sie haben auf mich eine eigentümliche Wirkung: Ich wehre mich gegen sie, wie gegen Falschgeld.  Zur Zeit Jesu lag Jerusalem einige Meter tiefer, am Teich Bethesda lässt sich das eindrucksvoll sehen. Man klettert etwa zehn Meter nach unten bevor man das Wasser erreicht, wo Jesus einen Gelähmten geheilt hat. Der Abendmahlssaal stammt eindeutig erst aus dem Mittelalter und über die Grabeskirche ließen sich viele Worte machen. Die Zuschreibungen der Orte stammen in vielen Fällen von der Mutter des römischen Kaisers Konstantin, dem in seiner ehemaligen Residenzstadt Trier derzeit eine große Ausstellung gewidmet ist. Seine Mutter Helena, die als Stallmagd aus Bithynien in Kleinasien zur Kaiserinmutter wurde, bereiste Jerusalem und folgte bei den Zuschreibungen ihrer frommen Intuition. Sie war im 4. Jahrhundert durchaus noch zeitlich nah am Geschehen der Jesuszeit, aber in der Zwischenzeit war in Jerusalem kein Stein auf dem anderen geblieben. Und so hat die Zerstörung des Jahre 70 auch damit zu tun, dass die Schauplätze des Lebens Jesu keine wirklich heiligen Orte sein können.

Ein besonderes Gefühl der Nähe zu Jesu Zeit und Leben hatte ich fernab von Jerusalem, am See Genezareth. Mir war egal, ob Jesus je an gerade diesem Fleckchen des Ufers stand. Aber in der Abenddämmerung lag dies von Bergen umstandene Gewässer vor mir und ich wusste: So ähnlich hat Jesus den See auch gesehen. So haben sich die Wellen gekräuselt, so hat sich der Wind auf der Wasseroberfläche mitgeteilt. Jesus hatte sicher ganz andere Gefühle dabei, er kannte sicherlich nicht die Spiegelung des menschlichen Gemüts in der Landschaft, wie wir seit der Landschaftsmalerei des 18. Jahrhunderts. -

Bei einer anderen Reise lernte ich den Wüstenwind kennen, der in Israel den Beginn des Sommers markiert: Eine heißer trockener Wind aus dem Inneren der arabischen Halbinsel, der innerhalb weniger Stunden jede Blume verdorren lässt. Und das sind für mich ganz kurze, heilige Augenblicke, wenn ein Ereignis mich spüren lässt, was die Bibel meint. Ich gehe durch die Wüste, spüre diesen Wind; seine Hitze belebt mich und ich kann das Psalmwort am eigenen Leib empfinden:

„Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras,
er blüht wie eine Blume auf dem Felde;
wenn der Wind darüber geht,
so ist sie nimmer da,
und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.“
So kommt der Sommer nach Israel, dass er alle Pflanzen vertrocknen lässt. Er ist das, was bei uns der Winter ist, die tote Jahreszeit.

Heilige Orte: Auf manchen sind schöne Gebäude errichtet, - manche Kirche markiert einen Ort, der Menschen als heilig galt. Heilige Orte, das Orte, die aufgeladen sind mit Erinnerungen. Erinnerungen an Haß, Bosheit und andererseits Trauer und Leid, sie sind mit den Konzentrationslagern verbunden, in denen Juden ermordet wurden. Eine merkwürdige Fortsetzung der Vernichtung, die im Jahr 70 stattfand.

Heilige Orte sind die Konzentrationslager nicht, aber die Erinnerung ist heilig. Niemand darf sie manipulieren, verändern oder zerstören.

In diesen Tagen vor 62 Jahren wurden in Hiroshima und Nagasaki von amerikanischen Bombern Atombomben abgeworfen. Heilige Orte sind die beiden Städte nicht. Aber die Erinnerung an das Leid von etwa einer halben Million Menschen, die durch zwei Bombenabwürfe getötet oder verletzt wurden, sie ist heilig und sollte uns Menschen zu Konsequenzen rufen.


Liebe Gottesdienstgemeinde,

erinnern Sie sich an das Gespräch von Jesus mit der Frau? Jesus hat ihr ein deutliches Wort gesagt, das die Heiligkeit des Tempels zurücknimmt: Er sagte:

„Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit,
dass ihr weder auf diesem Berge
noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
Ihr wisst nicht, was ihr anbetet;
wir wissen aber, was wir anbeten;
denn das Heil kommt von den Juden.
Aber es kommt die Zeit und ist schon jetzt,
in der die wahren Anbeter
den Vater anbeten werden im Geist
und in der Wahrheit;
denn auch der Vater will solche Anbeter haben.
Gott ist Geist, und die ihn anbeten,
die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“

Der heilige Ort, an den Jesus hier denkt, wird klar benannt: In dem Geist und in der Wahrheit sollen Menschen stehen, die zu Gott beten. Und nicht an einem einzigartigen Ort.

Diese Haltung gegenüber heiligen Orten ist ein Grundbestand des Protestantismus. Auch unsere Kirchen sind keine heiligen Orte. Aber: Ist uns nichts heilig?

Der Geist und die Wahrheit, sie sollen uns heilig sein. Das fordert Jesus von jedem von uns. Und da kommt auch unsere Kirche wieder ins Spiel. In dem atemlosen Leben, das wir sonst führen, hat der Geist kaum eine Chance. Wann setzen Sie sich für eine Viertelstunde hin und lassen den Geist Gottes wirken?

Auch die Wahrheit hat es schwer in unseren Tagen. Wann habe ich die Zeit, wann nehme ich mir die zeit, einen Sachverhalt so lange abzuwägen, bis für mich die Wahrheit feststeht?

Hier kommen unsere Kirchbauten ins Spiel: Wenn Sie sich in der Woche in die Kirchenbank setzen; wenn Sie alles vergessen, was Sie sonst beschäftigt, wenn Sie dem Heiligen Geist eine Chance lassen, dann wächst Ihnen zu, was Jesus sagt: Dass Sie Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten können.

Darum dürfen wir nach wie vor allen heiligen Orten misstrauen, die uns in ihren Bann schlagen wollen, die uns faszinieren, fesseln wollen mit einer Ideologie, mit Märchen oder Legenden und wir dürfen doch dankbar sein für jeden heiligen Moment in unserem Leben, an dem wir das Wirken Gottes spüren. Das kann mitten in der Wüste sein, aber auch auf der Kirchenbank in der Ringkirche. Egal, wo es geschieht: Wir dürfen Gott dankbar sein für jeden heiligen Augenblick.

Gott schenke Du uns die Berührung durch DEINEN Geist und lass uns im Geist und in der Wahrheit beten,
denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.