Am Himmelfahrtstag predigt
Ralf-Andreas Gmelin ausgehend von dem „Hohenpriesterlichen Gebet“, das
von Jesus Christus im Johannesevangelium bezeugt ist (Joh. 17, 24-26).
Sophia ist der Name des Kindes, das an diesem Tag getauft wurde:
Liebe Sophia,
Du hast gegenüber den meisten anderen hier im Gottesdienst den
Vorteil, dass Du der Predigt nicht folgen musst. Für Dich liegen
Himmel und Erde noch ganz dicht bei einander. Und Worte – vor allem,
wenn sie von Deinen Eltern oder von Deiner Schwester kommen, sind
für Dich wie Wärme: Zeichen von Vertrautheit und Nähe.
Egal, was sie aussagen. Deine Laute können noch nicht lügen,
weil sie Ausdruck davon sind, wie Du Dich fühlst. Worte, mit denen
man Befindlichkeiten vortäuschen kann, stehen Dir noch nicht zur
Verfügung.
Was ist wohl für Dich „Himmelfahrt“?
Ich denke, wenn jemand kommt, Dich hoch nimmt, Dich drückt, Dir
Geborgenheit schenkt und damit zugleich Dein Lächeln auslöst,
das etwas Himmlisches hat. - Das klingt ein bisschen kitschig, - so,
als wäre es nicht viel: Dieser Himmel, der aus Geborgenheit
besteht. Aber ich denke, dass für uns andere, ältere und
abgeklärtere Menschen das Problem mit dem Himmel darin besteht,
dass wir uns in diese elementare Geborgenheit nicht mehr hineinfallen
lassen können.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
Geborgenheit ist unmittelbar empfundener Friede: Harmonie zwischen
denen, die sich nahe sind. Ein Gleichgewicht ohne bedroht zu sein. Und
da bekommt unser Bild vom Himmel scharf ausgezackte Risse: Auch wenn
wir mit uns selbst halbwegs im Reinen sind, kennen wir Großen nur
noch ein „bisschen“ Frieden, wenn wir Verluste einigermaßen
wegstecken können, wenn wir mit unserem Ehepartner über die
nächste Runde kommen, wenn wir wissen, wie wir unser Geld
verdienen können und unser Arbeitsplatz nicht akut vom Rotstift
bedroht wird. Wenn uns ein paar Freunde bleiben, wenn uns der
Optimismus nicht ausgeht, wenn die Gesundheit uns nicht im Stich
lässt. - Unser bisschen Friede ist kein großer umfassender
Friede, weil wir wissen, dass der Himmel dunkle Wolken trägt,
selbst dann, wenn wir sie manchmal nicht sehen: Wir wissen, dass 6,6
Milliarden Menschen zu viele sind und dass wir jedes Jahr 78 Millionen
Menschen mehr werden. Wir wissen von den etwa 20.000 Kernwaffen, die
die Oberfläche unserer Erde zerreißen können. Wir
hören von Umweltschäden, Klimawandel und Tornados, von Terror
und Raketenschilden.
Zum Glück müssen wir nicht ständig an diese
Scheußlichkeiten denken. Aber das ist der Fluch des
Informationszeitalters, dass wir nicht so tun können, als
wären uns diese Bedrohungen fremd. Da dürfen wir durchaus
neidisch auf Dich schauen, Sophia, dass Dir das alles noch völlig
egal sein kann. An Deinem Himmel hängen diese Wolken noch nicht.
Dein Himmel ist noch strahlend blau voller Hoffnung, Zukunft und
Erwartung und wenn Du ihn mal nicht sehen kannst, dann, weil Deine
Schwester Johanna sich gerade mal über Dich gelegt hat.
Der Himmel der Erwachsenenwelt ist ein Himmel enttäuschter
Hoffnungen. Der Fortschritt der vergangenen 200 Jahre hat uns so viel
Wunder beschert, so viel Arbeit abgenommen, so viel Bequemlichkeit in
unser Leben getragen, dass wir ihn nicht missen möchten. Aber mit
ihm sind auch die ungeheuren Fähigkeiten des Menschen gewachsen,
zu zerstören, millionenfach zu töten und sogar die
Bewohnbarkeit der Erde zu gefährden. Wie erbärmlich klingt es
unter Gottes Himmel zu hören, dass amerikanische
Zukunftsvisionäre sich irgendwo im Weltall ein lauschiges
Plätzchen bauen wollen, wo sie sich vor dem Wahnsinn der Welt in
Sicherheit bringen wollen. Für solche feigen Fluchtversuche werden
ungeheure Gelder ausgegeben. – Statt dieses Geld dafür zu
verwenden, diese gute alte Erde wieder sicherer zu machen.
Liebe Sophia,
genieße die Monate, in denen Du die bedrohlichen Wolken noch
nicht kennst. Wir würden Dir gern versprechen, dass wir für
Deine Generation eine Erde bauen können, in der mehr Gerechtigkeit
lebt, eine Erde ohne Armut und Aids. Aber wir würden lügen:
Wir müssen mit diesen Wolken leben und Du wirst auch mit diesen
Wolken leben müssen.
Die Risse, die unser Himmelblau zerteilen, sie lassen sich nicht
vernähen oder verschweißen. Die Wolken lassen sich nicht
wegblasen. Aber dass die Wolken nicht das Recht haben, Dein Herz zu
regieren, dafür bist Du heute ausgestattet worden. Du bist fest
mit Gott verbunden worden mit Wasser und Segen, damit weder Angst noch
Furcht in Deinem Herzen regieren soll, sondern Zuversicht und Freude.
Wo es gute Gründe gibt zu Verzweifeln, da sollst Du noch ein
Apfelbäumchen oder vielleicht auch nur ein Radieschen pflanzen.
Voller Zuversicht, weil Du Dich auf Gott verlassen kannst.
Jesus hat im Johannesevangelium ein beeindruckendes Gebet gesprochen,
mit dem er an uns gedacht hat, die wir auf seinen Tod und auf seine
Auferstehung getauft sind. Jesus sagt uns:
„Vater, ich will, dass, wo ich bin,
auch die bei mir seien, die du mir
gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen,
die du mir gegeben hast;
denn du hast mich geliebt,
ehe der Grund der Welt gelegt war.
Gerechter Vater, die Welt kennt dich
nicht;
ich aber kenne dich, und diese haben
erkannt, daß du mich gesandt hast.“ (Johannes 17, 24-26)
Jesus will, dass wir im Himmel der Hoffnung und der Friedenserwartung
leben. Dort wo er ist, ist der Himmel Gottes. Und dort sollen wir
leben. Jetzt, gleich. Damit wir sehen, wie herrlich Gott aussieht neben
der erbärmlichen Angst, die uns auf Erden auffressen kann. Gottes
Liebe ist eine Liebe jenseits von Zeit und Raum und wir dürfen
darauf hoffen, dass sie auch unsere Erde überlebt. - Darum lohnt
es dennoch, für unsere Erde zu kämpfen und sie nicht denen zu
überlassen, die ein rauchendes Schlachtfeld aus ihr machen wollen,
egal, ob sie es tun, weil sie Dollars für wichtiger halten als das
Leben oder ob sie meinen, ihr Gott erwarte von ihnen, dass sie seine
Geschöpfe massakrieren.
Liebe Sophia,
ich wünsche Dir eine Hoffnung, die eins ist mit der Liebe, mit der
Dich Gott liebt. Denn Dein Taufspruch aus dem 1. Johannesbrief macht
uns klar, dass wir nicht angstvoll auf die Zukunft der Welt starren
sollen, sondern dass wir uns fallen lassen dürfen in die Liebe
Gottes:
„Gott ist die Liebe;
und wer in der Liebe bleibt,
der bleibt in Gott und Gott in ihm.“
(1. Johannesbrief 4,16)
Liebe Sophia,
Du kannst Dich noch fallen lassen und der Himmel Deiner Hoffnungen ist
noch wolkenlos. Ich wünsche Dir, dass Gottes Liebe Dir etwas davon
erhält. Ich wünsche uns allen, dass wir diese Liebe, in die
wir durch unsere Taufe eingesenkt wurden, in uns spüren und ich
wünsche meiner lieben Sophia, dass ihre Mutter Agnete und ich ihr
vermitteln können, welchen kostbaren Schatz sie mit ihrer Taufe
heute geschenkt bekommen hat. - Und ich wünsche mir, dass die vier
Paten, Heike, Christine, Kurt und Oliver uns dabei helfen. –
Der Himmel der Hoffnung strahle hell über Deiner Angst denn der
Friede Gottes, welcher höher ist denn alle unsere Vernunft, er
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu, Amen.