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Am Sonntag Judika, den 2. April 2006, in einem Gottesdienst, zu dem alle neuen Gemeindeglieder der Ringkirchengemeinde zur Begrüßung eingeladen waren, geht die Predigt von Ralf-Andreas Gmelin von der alttestamentlichen Geschichte aus, in der Mose eine wirkmächtige Schlange aufrichtet (4. Mose 21,4-9):


Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Der Predigttext des heutigen Sonntags führt uns hinaus in die Wüste. Sie sehen unter mir (auf dem derzeitigen Altarbild) eine solche Wüste. Der Weg aus der Wüste soll in die Freiheit führen. Aber tagsüber ist das Leben bedroht von der Hitze der Sonne. Am Abend – die Wüste auf dem Altarbild zeigt eine Abendstimmung – beginnt die eiskalte Nacht. Die Israeliten wissen auch, dass manche Bewohner der Wüste gefährlich sind. Keine berückende Aussicht.

Gott führt sein Volk durch die Gefahren der Wüste in die Freiheit.
Das Volk steht vor der Wüste und scheut ihre Gefahren. Und wenn man mitten auf dem Weg ist, ist der Blick zurück mörderisch.
Das Volk ist von Mose aus dem Sklavenhaus Ägypten befreit worden. Es spürt hier, dass die Freiheit etwas Bedrohliches hat. Und so hat es begonnen mit seinem Murren. Wir lesen im 4. Buch Mose:

„Da brachen sie auf von dem Berge Hor
in Richtung auf das Schilfmeer,
um das Land der Edomiter zu umgehen.
Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege
und redete wider Gott und wider Mose:
Warum hast du uns aus Ägypten geführt,
daß wir sterben in der Wüste?
Denn es ist kein Brot noch Wasser hier,
und uns ekelt vor dieser mageren Speise.
Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, daß viele aus Israel starben.
Da kamen sie zu Mose und sprachen:
Wir haben gesündigt, daß wir wider den HERRN und wider dich geredet haben.
Bitte den HERRN,
daß er die Schlangen von uns nehme.
Und Mose bat für das Volk.
Da sprach der HERR zu Mose:
Mache dir eine eherne Schlange
und richte sie an einer Stange hoch auf.
Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.
Da machte Mose eine eherne Schlange
und richtete sie hoch auf.
Und wenn jemanden eine Schlange biß,
so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.“

HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Liebe Gottesdienstgemeinde,
die Geschichte von der ehernen Schlange gehört zu den dunklen und rätselvollen Geschichten der Bibel. Sie erinnern sich vielleicht an das andere metallene Tier aus der Zeit der Wüstenwanderung: Das Volk Israel macht sich ein goldenes Stierbild. Und Gott sendet gegen diese Ketzerei den Tod. Nun gießt Mose im Auftrag von Gott eine bronzene Schlange – und die tödlich Verwundeten überleben, wenn sie darauf schauen.

Wer sich mit dieser Geschichte in die Wüste begibt, der kann zunächst die Angst vor den Schlangen verstehen. Sie sind scheu, die Schlangen der Steinwüste. Im Gegensatz zu den Dünen der Sandwüste unten auf dem Altarbild, spielt die Wüstenwanderung meistenteils in der Stein- und Bergwüste des Sinai.

Wer da unterwegs ist und kräftig auftritt, hat vor den Schlangen nicht viel zu fürchten. Aber wer sich ausruht, wer auf einem Felsen Platz nimmt, weil er in der Tageshitze eine Pause braucht, der begegnet den kleinen unscheinbaren Tierchen. Ich erinnere mich im April 2003. Ich bin unterwegs im Pistaziental, Nahal Elot in der Gegend, wo die Israeliten bei der Wüstenwanderung zuhause waren. Ich suche ein ruhiges Plätzchen am Rande der Wüste Negeb, im Süden Israels. Es ist in der Mittagszeit. In der Hitze kriecht die Müdigkeit die Glieder hoch. Und aus dem Schatten von einem der wenigen Bäume bin ich gleich wieder geflohen: Dort hatten schon zahlreiche Schafe ihre Köddel verloren und überdies wohnte hier ein gewaltiger Stamm von Wüstenameisen.

Also klettere ich den Felsabhang hoch und setze mich in eine Felsnische auf einen warmen Stein. Dort treffe ich sie, die kleine grüne Wüstenschlange und finde sie eigentlich ganz possierlich. Schlank, grün -und schnell. Ich habe Glück. Das feurige Schlänglein flitzt von mir weg und hinterlässt nur eine blasse Erinnerung. Später verraten mir Wüstenkenner, dass ich es mit einer wirklich „feurigen“ Schlange zu tun gehabt hatte, einem außerordentlich giftigen Exemplar ihrer Gattung. Serafim heißen die Schlangen auf Hebräisch; das gleiche Wort, das in der biblischen Tradition die Engel bezeichnet, die mit ihren drei Flügelpaaren den Thron Gottes umschwirren. Serafim, die auf ihrem Bauch die Steinwüste durcheilen haben mit den himmlischen Wesen wohl ihre außerordentliche Geschwindigkeit gemeinsam.
 
Sie haben recht, wenn Sie nun meinen, diese Predigt sei etwas abgehoben: Weit weg in der Wüste, hoch oben beim Thron Gottes.

Der Ausgangspunkt war die rätselhafte Geschichte um die erhöhte bronzene Schlange. Mose erhöht ein bronzenes Kultzeichen. Und wer auf dieses Zeichen blickt, wird vor der Schlangengift gerettet. Irgendwie klingt sie ketzerisch, wenn wir an die Geschichte vom Goldenen Kalb denken.

Aber verlassen wir mit dieser Geschichte die Wüste! Ihnen ist vielleicht noch nie eine kleine grüne Schlange in der Bergwüste begegnet. Aber genau so blitzartig wie sie uns dort treffen kann und vielleicht zubeißt, genau so kann irgendein Ereignis unser Leben treffen: Eine Nachricht, ein Zeugnis, eine ärztliche Diagnose, ein Unglück oder ein Todesfall. Egal, was uns trifft, ein Augenblick reicht, um unser ganzes bisheriges Leben zu verändern.

Und was haben wir dann vor Augen?
Nur unsere eigene Verzweiflung?
Das Spiegelbild unserer Hilflosigkeit?
Leute, die uns wunderbare Ratschläge geben, die das letzte sind, was wir dann brauchen können?

Wenn die Schlange zugebissen hat, wenn ein Ereignis unser Leben aus der Bahn geworfen hat, dann passen die Alltagsrezepte nicht mehr.

Und da stehen wir vor der bronzenen Schlange. Hoch oben auf einem hölzernen Gerüst, erhöht. Sie selbst ist nichts wert, ein Metallfetisch, Ausdruck unserer menschlichen Unbeholfenheit. Aber diese Schlange ist im Auftrag Gottes erhöht worden. Sie beginnt zu sprechen: Auch wenn Du nicht weiter weißt, ich, DEIN Gott, bin bei dir!

Es hilft dir nicht, an der Wunde zu saugen, das Bein abzubinden oder laut zu fluchen: Wenn die Rezepte des Alltags nicht weiter helfen, bleibe allein ICH übrig, spricht dein Gott!

Und darum gehört diese merkwürdige dunkle und rätselhafte Geschichte aus der Bergwüste in die Reihe der Predigttexte: Sie erinnert uns an das Zeichen, das für uns aufgestellt ist. Ein Zeichen, das früher in jeder Schule und in jedem Gerichtssaal zu sehen war, ein Zeichen, das in den Wohnstuben und Schlafzimmern die Wand schmückte: Das Kreuz.

Auch das Kreuz ist nur ein Stück Holz, wenn es ohne Glauben irgendwo herum hängt. Aber wenn die Rezepte des Alltags nichts mehr ausrichten, wenn die guten Ratschläge daneben sind, wenn ich mit meinem ganzen Leben in Frage gestellt bin, dann beginnt das Kreuz zu sprechen: Der, der am Kreuz gestorben ist, sagt mir: Ich habe für DICH gelitten, damit du jetzt, in diesem Augenblick spürst, dass ich dich liebe.

Es geht auch ohne das Stück Holz: Ich kann das Kreuz auch im Herzen tragen. Aber in jedem Falle tut es gut, wenn ich in der Not, am Ende meiner Kraft nicht in den Spiegel schauen muss, der nur meine Verzweiflung zeigt. Gut tut es, wenn ich Gottes Zeichen sehe, das mir zeigt: Du bist nicht allein. Und jetzt schon gar nicht.

Ich wünsche uns allen, dass wir in schweren Zeiten ein spürbares Zeichen von Gott erkennen. Gott sei DU bei uns, wenn unsere Klugheit am Ende ist, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.