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Am Sonntag Estomihi, dem Fastnachtssonntag begrüßt Ralf-Andreas Gmelin die Gemeinde mit den folgenden Gedanken, denen dann die Predigt über einen Text aus dem Buch des Propheten Amos folgt:


Liebe Gottesdienstgemeinde,

Fastnachtssonntag. Viele Menschen sind zur Zeit auf den Straßen: In Deutschland kostümieren sich Leute, fest entschlossen ihrem Gott zu huldigen: Dem Gott des Sprücheklopfens, Alkohols, des einfältigen Scherzes und des lauten Gedröhns. Dabei tragen viele von ihnen militärische Uniformen, obwohl der Funktionärskarneval in Deutschland schon zusammenklappt, wenn nur ein winziges Wörtchen der Kritik an dem Müllberg geäußert wird, den er in jeder Hinsicht hinterlässt.

Und in vielen Ländern der muslimischen Kultur sind Menschen auf der Straße, um die Ehre ihres Propheten einzuforden. Sie tragen keine Uniformen, sie werden nicht von der Spaßgesellschaft getrieben, sondern von Enttäuschung und Hass. Sie haben keine Uniformen an, sind aber bereit, auf sich schießen zu lassen. Und dazwischen stehen die türkischen Kinofreunde auf der Straße und warten darauf, ihren Hass gegen den Westen auf der Kinoleinwand gespiegelt zu sehen. Wenn sie heute aus dem Fenster schauen, sparen sie sich das Eintrittsgeld für das „Tal der Wölfe“; sie werden zahllose Gründe mit bloßem Auge beobachten, warum der Westen nur wenig Achtung verdient.

Drei Szenarien vom heutigen Tag. Szenarien, die miteinander zu tun haben. Und die - wenigstens mich - bewegen.

Ganz so düster soll es aber nicht bleiben im Gottesdienst am Fastnachtssonntag in der Ringkirche. Gott ist kein trauriges Thema. Gott ist auch kein lustiges Thema. Aber der Ernst, mit dem wir von Gott sprechen, soll mit Freude gefüllt sein.

Vielleicht kennen Sie das Gefühl, irgendwo abzurutschen. Das blitzartige leere Angstgefühl in der Magengegend, wenn da kein Halten mehr ist, wenn der Abgrund langsam näher kommt, wenn unter uns alles nachgibt, wegbröselt und abrutscht. Atemloses Entsetzen. Und dann ein Stein der uns hält, eine Felsnase, auf der unser Fuß zum stehen kommt: Stillstand, Sicherheit, Aufatmen, klar denken. Das ist das Gefühl, das uns Gott geben will. Und das sagt der Name dieses Sonntags: „Sei mir ein starker Fels“ nach dem ersten lateinischen Wort dieses Psalms: Estomihi”.


Predigt:

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Liebe Gottesdienstgemeinde,

der alttestamentliche Prophet Amos hat eine Vision, die als Predigttext leicht nach hinten losgehen kann wie eine alte Muskete. Doch lassen wir den Propheten sprechen (Amos 5,21-24):

21 Der äußerliche Gottesdienst tut's nicht
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen.
22 Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen.
23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören!
24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Sie erinnern sich an die eingangs aufgeführten Prozessionen unserer Gegenwart? Aufgebrachte Muslime demonstrieren praktisch weltweit gegen die Entehrung ihres Propheten und gegen jede Kooperation mit Staaten des Westens. Türken jeden Alters prozedieren in die Kinos, um sich am Hass gegen den Westen zu weiden. Und wir Deutschen trampeln wie jedes Jahr mit klingendem Spiel und Marschmusik in bunten Militärjäckchen, die bei den Damen viel Bein zeigen durch die Straßen, wo links und rechts die Betrunkenen an die Bordsteine sinken.

Eine Prozession, eine aus einem inhaltlichen Grund veranstalteter Marsch durch eine Stadt, sie ist eine uralte religiöse Liturgie. Dabei ist gleichgültig, worum es genau geht. Für die Fastnachtsumzüge haben die Fronleichnamsprozessionen ein gutes Modell abgegeben, die in katholischen Gegenden das städtische Leben zum Stillstand bringen. Aber während das katholische Fronleichnamsfest des Leibes Christi gedenkt und damit dem einzelnen die Aussicht auf den Himmel bietet, wird das im Fastnachtszug ins Gegenteil verdreht: „Helau“, fahr zur Hölle, „Alaaf“, alle ab, runter in die die Hölle, sind die freundlichen Fastnachtswünsche.


„Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ - Woran hängen in wenigen Stunden die Menschen ihr Herz? An die Hölle, an einen Flaschenhals? Nirgendwo lässt sich ein besserer Grund denken, sich volllaufen zu lassen. An die Freude, an den Humor?

Wenn Sie Freude am Gesicht erkennen, dann beobachten Sie die Gesichter derer, die auf den Wagen und im Publikum die Straßenfastnacht ausmachen. Ich sehe da keine Freude, nur krampfartiges Geschrei. So als wüssten die, die auf den Motivwagen mitfahren, dass sie gefälligst die Pflicht und Schuldigkeit hätten anständige karnevalistische Freude vorzuführen: „Freude? Wird gemacht, Helau noch mal!“

Humor. Keine Angst, ich verlasse nach diesem Gottesdienst Wiesbaden und bin fest entschlossen, dieses Jahr keinen Leserbrief zur Straßenfastnacht zu schreiben. Aber Humor beginnt immer damit, dass die, die sich für humorvoll halten, über sich selbst lachen können. Und die Leserbriefschlacht, die da letztes Jahr tobte, zeigte, dass man ausschließlich von mir Humor fordert. Fassenachter brauchen keinen zu haben, weil sie ihn sozusagen amtlich verkörpern. Und wie die meisten Zeilen bewiesen: Sie haben auch keinerlei Humor. Aber nicht nur nicht, wenn es um Fastnachtsmuffel wie mich geht, sondern auch wenn sie gegenseitig ihre Machtspielchen spielen. Ich erinnere mich an das vergangenen Jahr und seine Diskussionen, ob das Wiesbadener Prinzenpaar im Mainzer Zug mitfahren könne, zumal da verwandtschaftliche Protektion des Prinzessinenvaters sich dafür stark machte. Ja, soviel zu dem Gott namens „Humor“. Der Zeitplan der Aktiven liest sich bei manchen Fassenachtern wie der Kalender eines Topmanagers. Die Leidensbereitschaft ist hoch, vielfach ist die ganze Familie einbezogen – im Gegensatz zum Gottesdienst. Da ist spürbar, da ist etwas ganz Wichtiges, was dieses Treiben und dieses Engagement hervorruft. Freude, Humor und auch der Alkohol sind es nicht: Für die Aktiven ist ihre ehrenamtliche Pflicht oft ein sehr nüchternes Vergnügen.

Welchem Gott huldigt die Fassenachtsprozession alle Jahre wieder?

Unserem christlichen Gott jedenfalls nicht. Denn die alte Fastenzeit im christlichen Kalender hat bei den Vereinen und Clubs keinen Rückhalt. Am Aschermittwoch geht es im christlichen Kalender los. Bei der Fassenacht ist am Aschermittwoch nur noch Kater angesagt.

Wenn Gott auf uns schaut, klingt sein Urteil so?
„Ich bin euren Umzüge gram und verachte sie und mag eure Menschenmassen nicht riechen.
Und wenn ihr auch Stunden eures Lebens und eure Gesundheit opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch das viele Geld nicht ansehen, das von euch verjuxt wird.
Tu weg von mir das Geplärr deiner Fanfarenzüge; denn ich mag dein Gegröl und Gestampfe nicht hören!
Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“

Am Ende bleibt der Satz wie er beim Propheten Amos steht. Die Sehnsucht nach Besserung ist die gleiche wie in biblischer Zeit.

Würde Amos so ähnlich sprechen? Ich weiß es nicht, aber ich fürchte, es würden ihm ganz die Worte fehlen. Schicken wir ihn zu den Prozessionen, die in der muslimischen Welt nicht aufhören wollen. Hassverzerrte Gesichter skandieren Hass und tun das im Namen ihres Gottes. In Pakistan wird jetzt – und das im Staat mit der ältesten muslimischen Regierung der Welt – der Staatspräsident Musharraf die Geister, nicht mehr los, die er wohl mit gerufen hat: Zeitungsberichten zufolge haben 5000 Personen ihren Willen bekundet, ihr Leben für den Dschihad gegen die US-freundliche Musharraf Regierung zu opfern. In anderen Städten gab es ähnliche Aufrufe der Imame. Nach der Sprengung des schiitischen Askari-Schreines, der uns im ehedem christlichen Westen überhaupt nichts angeht, ist der Irak am Rande des Abgundes. Muslime sprengen Heiligtümer von Muslimen in die Luft. Was sagt der Gott der Muslime zu diesen Verbrechen, die Hunderte das Leben kosten? Ist Gott ein Gott des Hasses? Gott will auch für Muslime ein Gott des Friedens sein. Warum darf im Namen Allahs gehasst werden, gemordet und gebrandschatzt?

Die geschändete Würde einer Religion ist sicherlich zu allen Zeiten etwas, auf das überraschende Reaktionen kommen. Aber können wir gläubige Muslime ernst nehmen, die wegen ein paar blöder Bildchen zu jeder Schandtat auf der Straße bereit sind, während sie kalt lächelnd in Ordnung finden, dass im Namen Allahs und im Namen Mohammeds ihre eigenen Glaubensbrüder morden und Heiligtümer sprengen? Sie morden nicht einmal nur Andersgläubige. Die meisten Opfer muslimischer Anschläge sind die eigenen Glaubensgeschwister. Bei jeder solchen Schandtat gehört die gesamte muslimische Umma zum Protest auf die Straße. Aber nein: Sie lässt sich auf die Straße locken, wenn irgendwo in einem Land, das die meisten noch nicht einmal von der Landkarte her kennen ein paar lächerliche Bildchen abgedruckt werden.

Was sagt Amos, wie Gott auf sie schaut?
„Ich bin euren Aufständen gram und verachte sie und mag die Hetztiraden Eurer Imame nicht hören. Und wenn ihr auch eure Sicherheit und eure Gesundheit opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch die Toten und Verletzten nicht ansehen, die ihr übrig lasst.
Tu weg von mir die Hasspredigt deiner geistlichen Führer; denn ich mag deine Lügen und ihr Geifern nicht hören!
Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“

Es gibt noch mehr religiösen Fanatismus, zu dem wir Amos mit seiner Predigt von Gottes Entsetzen schicken können: Was sagt er zu diesem westlichen Neuheidentum, das es in Ordnung findet, wenn sich die Welt um kleine bunte Artikel dreht, wenn Sex und Fun, wenn volle Tische und Fitnesscenter der Lebensinhalt von Menschen sein sollen?

Die Anschuldigung, die Religionen seien an allen Konflikten schuld – scheitert an der Tatsache, dass es eine westliche Großmacht ist, die mit allen Mitteln militärisch losschlägt, um den gewaltigen Magen seiner Industrie zu füllen. Nur damit noch mehr kleine bunte Waren hergestellt werden, die noch schneller auf den Müll müssen, damit die Konjunktur gesund bleibt?

Was sagt Amos zu den Kinobesuchern, die das „Tal der Wölfe“ anschauen und sich vor Begeisterung bei jeder Brutalität auf der Leinwand kaum auf dem Sessel halten können? Dem Gott in der Predigt des Amos wird das nicht gefallen, was in Kinos mit dem türkischen Film ringsum abgeht. Aber er wird sich erinnern, dass in einem Land, in dem das Kino und seine Darsteller als etwas Heiliges verehrt werden, in den USA, schon seit Jahrzehnten derartige hasserfüllte Produktionen laufen – mit eben den gleichen Reaktionen des Publikums – nur umgekehrt. Wenn Amerikaner bei brutalen Szenen in den Terminator –Filmen des Arnold Schwarzenegger jubeln – egal, wer da wen verletzt oder tötet – warum dürfen die Türken das nicht auch? Wenn bei James-Bond Produktionen die Deutschen oder die Russen als Untermenschen dargestellt werden, was spricht dagegen, dass hier einmal Amerikaner so dargestellt werden? Einer der meist verkauften Romane der Welt, „Illuminati“ des amerikanischen Schriftstellers Dan Brown beginnt im europäischen Kernforschungszentrum in der Schweiz. Und es zeigt sich: Wenn Europäer etwas in die Hand nehmen, muss ja eine Katastrophe dabei heraus kommen. Der Roman endet mit einem lächerlichen Schluss am Petersdom in der ewigen Stadt Rom. Und unter dem Strich ist die Moral aus dieser Geschichte: Ob Europäer eine Kernforschungsanlage bauen oder eine Kirche unterhalten, es wird immer eine Katastrophe sein. Zum Glück gibt es den netten umgänglichen und auf allen Feldern unschlagbaren Amerikaner, der sie alle rettet.

Nein, Gott freut sich nicht über johlende Türken, wen einem Amerikaner im Film der Leib aufgeschlitzt wird. Aber er ist über Amerikaner und Europäer ebenso entsetzt, die sich daran gewöhnt haben, dass der westliche Herrenmensch auf den Bildschirmen dieser Welt alle anderen Menschen niedermetzeln darf.

Am Ende: Was sagt Gott in der Predigt des Amos zu uns hier, die wir am Sonntag Estomihi einen Gottesdienst in der Ringkirche halten? Wird er zufrieden sein damit, was hier mit uns geschieht? Oder wird er einen nur äußerlichen Gottesdienst spüren, wo einer vorne steht, der das macht, weil er dafür bezahlt wird. Pflichtschuldig, wie nachher die Narren schreien werden?

Ich glaube Gott ist dennoch froh über alle, die hier im Gottesdienst auf der Suche sind, denn er ist unseren Feiertagen gram und verachtet sie, weil wir sie nicht heiligen. Und Gott mag unsere Versammlungen nicht riechen, wenn sie auch am Sonntag tausend andere Ziele haben, aber so selten ihn, unseren Gott. Und wenn wir unseren Sonntagmorgen und einen Betrag in die Kollektenkasse opfern, so hat Gott nur dann Gefallen daran, wenn wir ihm damit aus tiefstem Herzen Danke sagen. Gott hört auch das Geplärr unserer Lieder; er mag es dann hören, wenn wir unsere Stimme einreihen in das Lob Gottes, wie es Jahrtausende lang auf Erden erklungen ist – unabhängig von der Klangschönheit.
„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“

Das nehmen wir mit hinaus in die Welt: Lasst uns um das Recht kämpfen, dass es nicht stockt, sondern in alle Richtungen fließt. Lasst uns für Gerechtigkeit einstehen, dass diese Quelle eines menschlichen Lebens niemals trocken wird. Gott schenke Du uns dies Engagement für Recht und Gerechtigkeit, aber auch den Einsatz für den Frieden mit Muslimen, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.