Predigt > Predigtarchiv


Der 1. Johannesbrief (3, 1-6) lieferte Gedanken zu der Predigt, die Ralf-Andreas Gmelin am 1. Weihnachtstag gehalten hat:

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Das Staunen darüber, dass wir Menschen Gottes Kinder sind, das beherrscht die Stelle aus dem 1. Johannesbrief: 3, 1-6

Seht,
welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen,
dass wir Gottes Kinder heißen sollen –
und wir sind es auch!
Darum kennt uns die Welt nicht;
denn sie kennt ihn nicht.
Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder;
es ist aber noch nicht offenbar geworden,
was wir sein werden.
Wir wissen aber:
wenn es offenbar wird,
werden wir ihm gleich sein;
denn wir werden ihn sehen, wie er ist.
Und ein jeder, der solche Hoffnung auf ihn hat, der reinigt sich, wie auch jener rein ist.
Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht,
und die Sünde ist das Unrecht.
Und ihr wisst, dass er erschienen ist,
damit er die Sünden wegnehme,
und in ihm ist keine Sünde.
Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht;
wer sündigt,
der hat ihn nicht gesehen und nicht erkannt.

Herr, tu’ meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Liebe Weihnachtsgemeinde,
der Stern von Bethlehem ist kaum untergegangen am Himmel der Heiligen Nacht, da wimmelt es auch schon von Sünden - in diesem Predigttext...
Aber zum Glück geht es ja nicht nur um die Sünden, sondern auch um die Liebe des Vaters.

Beides hat mit einander eng zu tun und bestimmt das Thema dieser Predigt: Der Abstand zwischen Mensch und Gott. Und es ist ja auch das entscheidende Weihnachtsthema: Gott hebt den Abstand auf, der zwischen Gott und Mensch herrscht, und kommt: Völlig distanzlos wird er als ein erbärmliches Menschenkind am Ende der Welt geboren.

Und die Welt erkennt diese Nähe nicht. Sie sucht ihre Idole in den Vorhöfen der Macht. Menschen distanzieren sich von Gott: Jeden Tag, alle Jahre wieder, nicht einmal an Weihnachten unterbrochen. Und das müssen wir zugeben: Die bloße Taufe ändert da nichts. Wer mit dem Wasser Gottes abgewaschen wird, bekommt zwar von Gott die Hand gereicht. Aber wenn er sie nicht nimmt, ist er Gott nicht näher als ein Ungetaufter.

Ausdruck unserer menschlichen Distanzierung, Ausdruck, dass wir Menschen unseren Gott und Schöpfer auf Abstand halten, ist die Sünde. Darum ist sie auch ein echter Dauerbrenner in der christlichen Verkündigung. Und schon Altvater Luther wusste: „Niemand kann in der Welt sündlos leben.“ Und das, was daraus folgt, wird Luther so wichtig, dass es zum Inhalt unserer evangelischen Kirche geworden ist: Wenn wir alle Sünder sind, brauchen wir einen Gott, der uns dennoch mit sich versöhnt.

Nicht wir können uns versöhnen, sondern allein Gott versöhnt. Wir können uns prima distanzieren von Gott – und das bedeutet: sündigen. Gottes Versöhnung kann von uns nur geglaubt werden. Das ist selbstverständlich: Wenn ich nicht glaube, dass mich jemand versöhnt, dann gilt die Versöhnung für mich nicht. Darum wird bei Luther – und bei uns Evangelischen – der Glaube zum Lebenselixier unseres Christseins.

Die Sünde hat den Vorteil, dass sie unsichtbar ist. Sie ist eine Macht, die auf mich wirkt. Eine Macht mit Folgen: Wenn mich die Sünde packt, werde ich schuldig. Mit anderen Worten: Wo ich mich von Gott distanziere, handle ich böse. Böse in dem Sinne, dass ich damit den Weg verlasse, den Gott für unser Leben markiert hat. Die Sünde, über die der Apostel Paulus intensiv nachgedacht hat, ist wie eine Droge, von der ich nur schwer loskomme. Sie will, dass ich ihr mit Haut und Haaren folge. Und sie will, dass am Ende nicht die Distanz zu Gott steht, sondern die unüberbrückbare Trennung. Vielleicht will ich selbst bloß nicht tun, was Gott von mir will. Die Sünde wird mich aber in ihrem Bann dazu bringen, dass sich zwischen mir und Gott eine Schlucht auftut, über die keine Brücke mehr passt. Und diese Gegend jenseits von Gott nennt Paulus den Tod.

Und weil Menschen den Tod nicht mögen, beginnt hier die Geschichte der Angst. Die Angst vor dem Tod macht uns zu zappelnden Wesen. Von Franz Werfel stammt die beeindruckende Szene aus „Jacobowski und der Oberst“, in der der polnische Flüchtling Jacobowski, der in einer französischen Hafenstadt festsitzt und als verfolgter Jude nach einer Razzia durch die deutschen Soldaten bekennt: „Ich gebe nicht auf… Ich will nur alles tragen, ohne zu zappeln …“

Das müsste für uns das Ziel sein, uns von der Angst nicht einschüchtern lassen. Aber Menschen bauen sich gegen ihre Angst Fetische. Sie machen in ihrer Angst die Werke ihrer Hände zu Götzen. Sie tanzen ums Goldene Kalb. Spannend war in der Weihnachtsausgabe der nicht eben traditionell frommen Wochenzeitung „Die Zeit“ ein mehrseitiger weithin unkritischer Artikel zu lesen, der sich ausgerechnet um das Schweißtuch der Veronika dreht. An solchen altkirchlichen Reliquien des christlichen Glaubens lässt sich deutlich ablesen, wie früh bereits die Flucht der Christen aus dem Glauben in die Götzenverehrung begonnen hat. Es mutet seltsam an, dass eine große liberale Zeitung nahe legt, mit der Echtheit des Schweißtuches würde es eine Art Gottesbeweis geben. Ein Götze verhilft nie zum Glauben, egal, ob er in Manopello oder im Petersdom umtanzt wird.  

Aber wir Menschen scheinen ohne solche Götzen nur schwer auszukommen, wir dreh’n uns ums Geld, werden zu Satelliten der Macht und ermöglichen darum auch die großen Despoten der Geschichte. Auch der gegenwärtige Prozess gegen den ehemaligen irakischen Präsidenten Saddam zeigt, dass auch dieser Despot seine Autorität allein daraus gewinnen konnte, dass er mit seinem Hass gegen die einen den anderen Sicherheit geben konnte, mit dem Sterben noch ein Weilchen Zeit zu haben.

Versöhnung, dieses etwas betuliche Wort, wird in diesem Zusammenhang sehr klar und konturenscharf: Wen Gott versöhnt, den befreit er von der Macht der Sünde, von der Angst und auch vom Hass.

Wer von Gott befreit wird, der gewinnt Macht über die Götzen. Er lacht sie aus, weil er sie so sieht, wie sie tatsächlich sind: Glitzernd, aber impotent! Kunsthistorisch fruchtbar wie das Schweißtuch der Veronika, aber ohne die Vollmacht, Menschen auf den Weg Gottes zu bringen, ohne die Kraft, den Glauben zu stärken.

Mohammed hat uns Christen vorgeworfen, wir würden statt Gott ein totes Stück Holz anbeten. Und wenn wir die grauenerregende Reliquienverehrung betrachten, müssen wir ihm Recht geben. Da ist die Christenheit auf dem Holzweg, auch wenn die „Zeit“ den Wegweiser spielt.

Uns evangelischen Christen wird vorgeworfen, wir seien die Christen des Karfreitags. Immer gehe es bei uns um das Kreuz. Aber nicht um das Stück Holz, sondern das Symbol für  Jesus Christus, der in den Tod geht. Dieses leere Kreuz nimmt uns mit der Auferstehung die Angst vor dem Tod. Aber wir Evangelische sind ebenso Christen des Weihnachtsfests. Indem Gott zum Menschen wird, indem er unter Schmerzen geboren wird, und als Mensch heranwächst und zu einem normalen Handwerker wird – indem Gott in der Heiligen Nacht zum Menschen wird, nimmt er uns die Angst davor, dass es ihm egal ist, was aus uns wird.

In der Liebe Gottes,  die aus dem Chor der Engel vom Himmel herab ertönt, in dem Stroh der Krippe, das sich Gott bettet, in der ganzen absurden Umkehrung aller irdischen Werte steckt es schon drin: Dass diese götzenverliebte, machtbesessene und neidische Welt lächerlich ist.

Wen Gott versöhnt, den lässt er über diese Welt der menschgemachten Götzen lachen. Wenn wir da mitlachen können, ist es für uns ein fröhliches Weihnachtfest.

Gott, nimm uns die Angst, versöhne uns mit DEINEM Wunsch, dass wir leben sollen, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.