Predigt > Predigtarchiv |
Am
Heiligen Abend um 18 Uhr feierte die Ringkirchengemeinde eine Vesper
und Ralf-Andreas Gmelin sprach zu Jesaja 9, 1-6:
Liebe Christnachtsgemeinde,
der Heilige Abend ist der Abend, an dem
wir wieder nüchtern werden müssen. Vier Wochen lang habe ich
überall gehört, dass der Advent ja doch eigentlich so ruhig
und beschaulich sein sollte. Das klingt wie ein kollektiver Rausch, der
unsere Adventshoffnungen da ergriffen hat. Vielleicht ist es eine
Erinnerung an unsere eigene Kleinkinderzeit, wenn unsere Eltern wenig
Zeit für uns hatten, weil sie hektisch mit anderem
beschäftigt waren und wir darum die Illusion hatten, dass der
Advent eine „ruhige Zeit“ sei.
Wenn Sie Bücher aufschlagen über die Zeit, die jetzt hinter
uns liegt, dann hört sich das an, wie Märchen aus uralten
Zeiten: „Räuchermännchen qualmen gemütlich vor sich hin
und verbreiten einen Duft von Tannennadeln oder Honig. Nüsse,
Bratäpfel und Marzipankartoffeln schmecken nie so gut wie in der
Vorweihnachtszeit. Und wir haben auch viel Zeit zum Musizieren und
Singen. …“ Das steht in einem Buch aus dem Jahr 1991. Noch ärger
klingt das in einem Werk, das zum großen Literaturbereich
gehört, der sich „Lebenshilfe“ nennt: „Nun ist das im
Jahresfestkreis immer so, dass große Feste eine Vorbereitungszeit
haben, dass Innehalten, Umschalten und Einschwingen Raum bekommen.
Damit wir innerlich nachkommen. Darin entdecke ich große
Lebensweisheit und etwas Lebenswichtiges: Langsam werden, sich
einstellen, ruhig werden, offen werden und sich öffnen für
das Neue. Das kommt, in unserer Welt weithin zu kurz.“ – Soi weit das
Zitat aus dem Jahr 1997.
Und ich ergänze: Das kommt in
der Adventszeit so gut wie nie vor. Vielleicht stimmt’s gar
nicht, dass Sie so wie ich eine umtriebige Adventszeit hatten.
Vielleicht mussten Sie gar nicht so viel organisieren, Gedanken
beisammen halten, Besorgungen machen. Vielleicht waren Sie gar nicht
durch den Klimawechsel gehandicapt, dass Sie zu all den vielen Aktionen
auch noch eine Erkältung austragen mussten. Vielleicht konnten Sie
ja langsam werden, ruhig werden und sich vier Wochen lang öffnen.
Und vielleicht hatten Sie auch da und dort ein Stündchen Zeit, dem
Räuchermänchen zuzusehen, wie es Honigduft vor sich hin
pafft. Ich fänd’s gut, wenn Sie eine solche Adventszeit gehabt
hätten. Meine Adventszeit sah anders aus. Und auch die meisten
Menschen, bei denen ich das überblicke, machten nicht den
Eindruck, dass Sie in den letzten vier Wochen in die meditative
Langsamkeit versinken konnten.
Für das Räuchermännchen musste noch Munition besorgt
werden, das gemütliche Plätzchenbacken ist eher mit einem
straff geführten Bäckereibetrieb vergleichbar und die
verbliebene Zeit wurde bei uns im Pfarrhaus nicht musiziert, sondern
geschmückt, besorgt und gearbeitet.
Aber alle Jahre wieder hören wir uns das Märchen vom ruhigen
Advent an. So ein „Alle Jahre wieder“ von etwas, das noch nie da war.
Und dann kommen wir aus dem vollen Galopp in den Gottesdienst am
Heiligen Abend.
Jetzt sind Sie da. Jetzt bin ich da. Und wir sind nicht vier Wochen
verlangsamt und hatten auch keine Chance uns wie eine Blüte zu
öffnen um nun seelenruhig den Himmelstau des Weihnachtsfestes zu
empfangen. Schade, aber machen wir das Beste draus, wir sind in guter
Gesellschaft.
Ich möchte Ihnen Mut machen, das Adventsmärchen jetzt ganz
schell zu vergessen: Es macht uns bestenfalls ein schlechtes Gewissen.
Aber oft genug macht es uns auch aggressiv: Wenn dann der Heilige Abend
beginnt, dann habe ich habe wieder nur Hektik erlebt. Dann muss ich mir
jetzt auch noch so ein Gesäusel von ruhigen Adventstagen
anhören. Und dann muss ich mich auf Kommando freuen.
Die märchenhaften Adventsrezepte, wie Sie einen „anständigen“
Advent erleben, führen oft genau zum gegenteiligen Ergebnis: Der
Heilige Abend wandert nicht zur tief bewegten Anbetung vor das Kind in
der Krippe zu Bethlehem, sondern zum Familienkrach. Für die, die
allein leben und vielleicht sogar die Zeit gehabt hätten, etwas
Ruhe zu finden, sieht es meist ähnlich aus. Ich habe lange allein
gelebt und kann mich an keinen Advent erinnern, der besonders ruhig
gewesen wäre. Der Familienkrach war dann oft ersetzt durch
traurige Erinnerungen.
Wer sich die Mühe macht und alte Adventsbräuche studiert, der
bekommt ein tröstliches Bild: Das war immer schon so. Der Advent
steckte voller Lärm und Hektik, auch wenn man von Montags bis
Samstags gefastet hat. Der Spätherbst war immer auch die
Vorbereitungszeit auf den Winter und da war auf dem Hof und am Haus
immer viel zu tun. Da müssen wir uns gar nicht schämen mit
unserer Hektik!
Aber zugegeben. Ganz leicht haben wir’s nicht, wenn wir jetzt „zur
Krippe herkommen“. Und gemeinsam singen:
„Er kommt aus seines Vaters Schoß
und wird ein Kindlein klein,
er liegt dort elend, nackt und bloß
in einem Krippelein,
in einem Krippelein.“
Da muss die Ursache liegen, dass wir irgendwo tief in uns die Sehnsucht
nach einer ruhigen Vorbereitungszeit tragen: Das geht bis in die
Sprache hinein. In meiner Jugendzeit wünschte man sich ganz
selbstverständlich „Fröhliche Weihnachten“. In den letzten
Jahren höre ich immer mehr den Wunsch, ich möchte
„besinnliche Weihnachten“ feiern.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal, was „besinnlich“ bedeutet.
Wenn es von unseren „Sinnen“ herkommt, dann hieße es ein
Weihnachten, wo es viel zu sehen, zu hören und zu schmecken gibt.
Gemeint ist indes wohl eher das Gegenteil: Ein Weihnachten, wo wir alle
auf ein blakendes Räuchermännchen blicken und meditativ ein
einsames Plätzchen knacken.
Heute ist die „Fröhlichkeit“ viel wichtiger. Aus zwei Gründen:
Zuerst fällt es uns so schwer, wirklich fröhlich miteinander
zu sein, gerade wenn wir uns vorgenommen haben, heute Abend mal auf den
Fernseher zu verzichten. Dass dieser Abend dann trotzdem fröhlich
wird, das wünsche ich Ihnen.
Das zweite geht uns als Kirche an, es geht uns aber auch als getaufte
Christen an:
Wir sind kaum fröhlich über diesen Gott, der da zu uns kommt.
Wir feiern nicht ausgelassen, dass Gott uns eine ungeheure Liebe
beweist. Wenn alles gut geht, sind wir fröhlich über unsere
Familie, über die Geschenke, über das gute Essen.
Aber kommen wir bei unserer Feier zu der Fröhlichkeit
darüber, dass sich im Stall von Bethlehem diese ganze marode
kaputte Welt auf den Kopf stellt?
In der finsteren Nacht wird es
taghell.
Die, die sonst nichts zu lachen haben,
sollen in lauten Jubel ausbrechen.
Die Stiefel, die zum Zertreten und
kriegerischem Marschieren taugen, werden von Flammen verzehrt.
Ein Kind wird geboren und es wird
herrschen, und es wird Friede, Recht und Gerechtigkeit geben.
Hören Sie die Beschreibung dieser verrückten Welt der
Weihnacht aus dem Buch des Propheten Jesaja (Jesaja 9,1-6):
„Das Volk, das im Finstern wandelt,
sieht ein großes Licht, und
über denen,
die da wohnen im finstern Lande,
scheint es hell.
Du weckst lauten Jubel,
du machst groß die Freude.
Vor dir wird man sich freuen,
wie man sich freut in der Ernte,
wie man fröhlich ist, wenn man
Beute austeilt.
Denn du hast ihr drückendes
Joch,
die Jochstange auf ihrer Schulter und
den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians.
Denn jeder Stiefel, der mit
Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird
verbrannt und vom Feuer verzehrt.
Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ruht auf seiner
Schulter;
und er heißt Wunder-Rat,
Gott-Held, Ewig-Vater,
Friede-Fürst;
auf dass seine Herrschaft groß
werde
und des Friedens kein Ende
auf dem Thron Davids und in seinem
Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und
Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit.
Solches wird tun der Eifer des HERRN
Zebaoth.“
Darüber in Jubel ausbrechen, das ist die Aufgabe dieser Nacht.
Der Rausch der Freude über Gott, das bedeutet: Fröhliche
Weihnachten!“
Gott, Du hast uns dies Kind geschenkt in Bethlehem, steck uns an mit
der Sehnsucht nach DEINEM Frieden,
denn dieser Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, er
bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.
Wir stellen uns in dem Lied von Johann
Sebastian Bach und Paul Gerhardt an die Krippe, und singen gemeinsam:
Ich steh an deiner Krippen hier