Am
Ewigkeitssonnteag, dem 20. November 2005 ging die Predigt von
Ralf-Andreas Gmelin von Jesu Gleichnis vom „treuen Verwalter“ aus
(Lukas 12,42-48):
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn
Jesus Christus.
Gewinn und Verlust – diese trockenen
Begriffe aus der Welt der Wirtschaft stehen in einem Bezug zu Tod und
Ewigkeit. Das Lukasevangelium erzählt uns dieses Gleichnis Jesu,
das unser menschliches Verhältnis zu Gott mit dem Wirtschaftsleben
vergleicht (Lk 12,42-48):
Der Herr aber sprach:
Wer ist denn der treue und kluge
Verwalter,
den der Herr über seine Leute
setzt,
damit er ihnen zur rechten Zeit gibt,
was ihnen zusteht?
Selig ist der Knecht, den sein Herr,
wenn er kommt, das tun sieht.
Wahrlich, ich sage euch:
Er wird ihn über alle seine
Güter setzen.
Wenn aber jener Knecht in seinem
Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht,
und fängt an,
die Knechte und Mägde zu
schlagen,
auch zu essen und zu trinken
und sich vollzusaufen,
dann wird der Herr dieses Knechtes
kommen
an einem Tage, an dem er's nicht
erwartet,
und zu einer Stunde, die er nicht
kennt,
und wird ihn in Stücke hauen
lassen
und wird ihm sein Teil geben bei den
Ungläubigen.
Der Knecht aber,
der den Willen seines Herrn kennt,
hat aber nichts vorbereitet
noch nach seinem Willen getan,
der wird viel Schläge erleiden
müssen.
Wer ihn aber nicht kennt und getan
hat,
was Schläge verdient,
wird wenig Schläge erleiden.
Denn wem viel gegeben ist,
bei dem wird man viel suchen;
und wem viel anvertraut ist,
von dem wird man um so mehr fordern.
Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund DEINEN Ruhm
verkündige.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
harte Sitten, aber in abgestufter Gerechtigkeit: Wer funktioniert, wird
belohnt, wer etwas falsch macht, bekommt eine Strafe. Dabei bekommt
nicht jeder die gleiche Strafe: Je nach dem, wie groß die
Verantwortung ist, die uns zugetraut wird, nach ihr bemisst sich die
Strafe. Dennoch ist uns die Welt eines antiken Gutshofes, wo der
Eigentümer seinen Geschäftsführer mit Prügeln
belohnt kein sehr alltagsnahes Gleichnis.
Versuchen wir es in ein betriebswirtschaftliches Handbuch unserer Tage
zu übersetzen:
Ein guter Betrieb braucht einen
Betriebsleiter,
den sein Vorstand einsetzt,
damit er alle Geschäfte
pünktlich führt und
alle berechtigten Löhne
ausbezahlt.
Kommt der Vorstandsvorsitzende zum
Betriebsleiter und der tut, wozu er eingestellt ist, dann kann der sich
glücklich schätzen.
Das hat für ihn Folgen:
Er wird befördert und zum
Geschäftsführer des Gesamtkonzerns ernannt.
Wenn aber ein Betriebsleiter sagt:
Ich kann hier machen was ich will,
ich schikaniere die Leute nach Laune,
nehme mir aus der Kasse, was ich
brauche,
und gönne mir schon morgens
Whisky,
dann wird die Betriebsprüfung
plötzlich über ihn kommen an einem Tag,
wenn er am wenigsten mit ihr rechnet.
Und das Prüfungsergebnis wird
ihn seinen Kopf kosten und er wird entlassen.
Er bekommt dann das,
was er verdient hat.-
Ein Betriebsleiter,
der zwar weiß, was er zu tun
hat,
es aber nicht geregelt bekommt
und es nicht schafft,
der kriegt viel Ärger ab. –
Wer aber nicht weiß, was er zu
tun hat
und es darum nicht geregelt kriegt,
kriegt ein bisschen Ärger ab.
Wer eine große Verantwortung
trägt,
von dem erwartet man auch hohe
Qualität,
wem eine große Aufgabe
übertragen wird,
der muss um so mehr bringen.
Das biblische Leistungsprinzip:
Nicht sehr weit weg von den Prinzipien, die in unserem Berufsalltag
gelten. Und wenn wir das Gleichnis auf die Welt des Glaubens
zurückspiegeln, dann ist das Leistungsprinzip für uns
durchaus erschreckend: Wenn ich plötzlich vor meinem Schöpfer
stehe, wenn mich von jetzt auf gleich der Tod ereilt, dann habe ich nur
eine Chance, wenn ich in jedem Augenblick bewusst getan habe, was Gott
von mir will. Und je mehr ich zu glauben vermag, desto mehr erwartet
Gott von mir.
Ist unser Verhältnis zu Gott ein Geschäft, in dem ich Glauben
und Gehorsam investiere? - Und dann bekomme ich als Dividende Gottes
Wohlwollen, wenn ich sterbe? Ist das Lebensende Auftakt der
Schlussabrechnung? Eine gnadenlose Bilanz von guten, weniger guten und
bösen Gedanken, Worten und Werken? Und was heißt das
für mich? Für mich, der ich nicht in jedem Augenblick an Gott
gedacht habe und an seine Wünsche an mich.
Liebe Gottesdienstgemeinde,
wie man dieses Jesuswort dreht und wendet: Es behält auch etwas
Bedrohliches. Es reimt sich nicht auf den Schmusegott, der uns
eigentlich viel lieber wäre:
piep, piep, piep,
Gott hat alle Menschen lieb.
Keine Frage: Gott zieht hier Bilanz!
Aber das heißt, wenn ich mich nicht einschüchtern lasse:
Mein Leben wird gewogen, betrachtet, wert gehalten. Mein Leben, jeder
Augenblick meines Lebens ist es wert, von Gott begutachtet zu werden.
Jeder nachlässig vor dem Fernseher verdöste Abend, jede
vertriebene Zeit, jeder Versuch einer guten Tat und jede kleine
Gemeinheit: Sie sind es alle wert, in meine Lebensbilanz aufgenommen zu
werden.
Und das ist etwas außerordentlich Kostbares in einer Zeit, in der
immer mehr Menschen immer älter werden und immer weniger wissen,
was sie mit ihrer Lebenszeit anfangen sollen.
Ein Zweites: Wie wird Gott uns beurteilen, wenn er unsere Lebenszeit
betrachtet?
Die Kriterien sind eben nicht, dass er wie eine Registrierkasse die
guten und die bösen Taten gegeneinander aufrechnet.
Gott wird uns vielmehr nach unserem geistlichen Reichtum beurteilen:
Wenn einer wenig vom Glauben weiß und wenig vermag, dann muss der
nur mit wenig Ärger rechnen.
Aber wer weiß, was Gott von uns Christen will und tut es doch
nicht, der hat schlechte Karten. Dante Alighieri hat darum in seiner
„Göttlichen Komödie“ einen eigenen Höllenkreis für
die Pfarrer eingerichtet. Sie wissen, was Gott will und tun es trotzdem
nicht. Für unseren Berufsstand keine gute Aussicht.
Hier kehrt in das bedrohliche Gericht die Gnade ein: Wer nicht viele
Glaubensgaben bekommen hat, der wird auch nur wenig hart beurteilt.
Einer, der auf Erden immer weiß, wo es lang geht, der muss mit
einem drastischen Urteil Gottes rechnen. So funktioniert Gottes
Gerechtigkeit. Es werden nicht alle über einen Kamm geschoren.
Mit welchen Gefühlen höre ich auf dieses Gleichnis, was
löst es heute, am Ewigkeitssonntag 2005 in mir aus? Was bedeutet
das für einen Menschen, den ich verloren habe? Was bedeutet das
für mich? Klappe ich die Bibel einfach zu? Was soll mir ein
Jesuswort in meinem persönlichen Kummer? Wird mir unwohl, weil
Glaube und Gehorsam gegen Gott in meinem Leben eine so untergeordnete
Rolle spielt? Habe ich Vertrauen in eine göttliche Kraft, die am
Ende meines Lebens die Macht hat, jeden Augenblick meiner Erdentage aus
der Anonymität des bloß Vergangenen zu reißen?
Und wie beurteile ich meinen eigenen Glauben? Ist er stark und Gott
kann von mir auch etwas erwarten? Oder ist er ein sprießendes
Pflänzchen, das noch viel wachsen muss, bis Gott ein gewichtiges
Urteil an diesen Baumstamm binden kann?
Oder radikaler: Wird meine Angst vor dem, was nach dem Tod ist, nicht
größer durch solche Bilder?
Wir haben ein großes Unbehagen, weil uns der Tod aus unserer
Sicherheit holt, die wir empfinden, weil wir diese Welt seit vielen
Jahrzehnten kennen: Menschen haben diese Welt geplant, wir leben in
menschengemachten Städten, umgeben uns mit menschlichen Urteilen
aus Radio, Fernsehen und Zeitungen, haben eine gesellschaftliche
Stellung, die uns andere Menschen zusprechen – und dann gibt es nichts
Unerträglicheres als den Gedanken an den Tod.
Der Tod ist in unserem modernen Denken allein der Verlust aller
Maßstäbe, die mein bisheriges Leben im Innersten
zusammengehalten haben. Und darum ist das Lied von Johannes Franck
für unsere Ohren eine Provokation:
Komm, o Tod, du Schlafes Bruder,
komm, und führe mich nur fort.
Löse meines Schiffleins Ruder,
bringe mich an sichern Port.
Es mag, wer da will, dich scheuen;
Du kannst mich vielmehr erfreuen.
Denn durch dich komm ich hinein
Zu dem schönsten Jesulein.
Wie der Schlaf uns eine Pause gönnt in der Hetze des Alltags, so
wird der Tod als sanfter Entführer in den sicheren Hafen Gottes
begrüßt, ja ersehnt. Hier ist er ein Gewinn!
Und wir sehnen uns nicht nach dem Tod:
Für uns ist der Tod nicht der Heimathafen in den ich einlaufen
möchte, sondern der Hafen, wo wir in eine vielleicht
stürmische unbekannte See auslaufen, die uns Angst macht.
Auch unsere Erinnerungen stützen unsere Angst: Wenn ich über
einen lieben Menschen nachdenke, den ich verloren habe, dann wird mir
deutlich, was ich an ihm verloren habe: Erinnerung bedeutet dann
Verlust. Wenn ich Gottes Augen auf jedem meiner Augenblicke spüren
kann, wenn ich jeden Moment, den ich mit einem lieben Menschen erlebt
habe aus Gottes Hand nehmen kann, dann bewirkt der Glaube auch heute
noch Wunder: Aus der Erinnerung wird nicht die Trauer um einen Verlust,
sondern Dankbarkeit für ein empfangenes Geschenk.
Ein berühmtes Buch des 18. Jahrhunderts über den „Vikar von
Wakefield“ von Oliver Goldsmith schließt mit dem Satz: „Nur ein Wunsch bleibt mir noch, dass
meine Dankbarkeit im Glück noch größer sein möge
als meine frühere Ergebung in mein Unglück.“ Das ist die
Richtung, in der unser Glaube wachsen kann. Und dann kann Gott uns auch
mehr anvertrauen, weil wir von Dankbarkeit und erfüllten
Augenblicken leben können.
Lass DU uns im Glauben wachsen und schenke uns dankbare Erinnerungen an
alle Augenblicke, die DU uns geschenkt hast, denn dein Friede,
welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und
Sinne in Christo, Jesu, Amen.