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Nach der Begrüßung, die mit der „Frommen Helene von Wilhelm Busch bekannt macht, predigt Ralf-Andreas Gmelin zu Matthäus 18, 15-20 zu dem was Menschen wollen, und zu dem, was Gott will:

„Helene!“ — sprach der Onkel Nolte —
„Was ich schon immer sagen wollte!
Ich warne dich als Mensch und Christ:
Oh, hüte dich vor allem Bösen:
Es macht Pläsier, wenn man es ist,
Es macht Verdruß, wenn man‘s gewesen!“
„Ja leider!“ — sprach die milde Tante —
„So ging es vielen, die ich kannte!
Drum soll ein Kind die weisen Lehren
Der alten Leute hochverehren!
Die haben alles hinter sich
Und sind, gottlob! recht tugendlich!
Nun gute Nacht! es ist schon späte!
Und, gutes Lenchen, bete! bete!“
Helene geht. — Und mit Vergnügen
Sieht sie des Onkels Nachthemd liegen.
Die Nadel her, so schnell es geht!
Und Hals und Ärmel zugenäht!!
Darauf begibt sie sich zur Ruh
Und deckt sich warm und fröhlich zu.
Bald kommt der Onkel auch herein
Und scheint bereits recht müd zu sein.
Und nun vertauscht er mit Bedacht
Das Hemd des Tags mit dem der Nacht.
Doch geht‘s nicht so, wie er wohl möcht,
Denn die Geschichte will nicht recht.
Er ärgert sich, doch hilft es nicht.
Ja siehste wohl! Da liegt das Licht!
Stets größer wird der Ärger nur,
Es fällt die Dose und die Uhr.
Rack! — stößt er an den Tisch der Nacht,
Was einen großen Lärm gemacht.
Hier kommt die Tante mit dem Licht. —
Der Onkel hat schon Luft gekriegt.
„O - sündenvolle Kreatur!
Dich mein ich dort – Ja, schnarche nur!“
Helene denkt: „Dies will ich nun
Auch ganz gewiß nicht wieder tun.“


Liebe Gottesdienstgemeinde,

vielleicht haben sie dieses Kabinettstückchen von Wilhelm Busch erkannt: Die „fromme Helene“. In der Tat wird sie diese eine Untat nicht wieder tun, aber dafür folgt sogleich die nächste. Jedenfalls „Untat“ im Sinne der bürgerlich braven Christenleute, die der Vormund dieses wachen Kindes geworden sind:
„Komm, Helenchen!“ sprach der brave
Vormund – „Komm, mein liebes Kind!“
Komm aufs Land, wo sanfte Schafe
Und die frommen Lämmer sind.
Da ist Onkel, da ist Tante,
da ist Tugend und Verstand,
da sind Deine Anverwandte!“
So kam Lenchen auf das Land.“ –

Ja - und am Ende holt sie der Teufel. Die Zeichnung, wie der Teufel mit einer spitzen Astgabel die gespenstische Seele von Helene in die Hölle zerrt, hat mich als Kind sehr fasziniert. Mit dieser nicht ganz ernst gemeinten Perspektive begrüße ich Sie zu diesem Gottesdienst am 22. Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest.

Dass Menschen Unterschiedliches wollen und dass ihr Wille etwas mit Gott zu tun hat, das ist der rote Faden, der sich durch diesen Gottesdienst zieht.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus. Ein Geschichte aus dem Matthäusevangelium Mt 18,15-20:

15 Zurechtweisung und Gebet in der Gemeinde
Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich,
so hast du deinen Bruder gewonnen.
Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde.
Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht,
so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner. -
Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.
Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.
Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.

Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Liebe Gottesdienstgemeinde,

die Welt der Wünsche ist eine andere Welt als die Welt der nackten Tatsachen. Der kosmopolitische Dichter Heinrich Heine war der Meinung, dass die Welt der Wünsche und Träume unsere deutsche Welt sei:
„Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Briten,
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten
Hier üben wir die Hegemonie,
Hier sind wir unzerstückelt;
Die andern Völker haben sich
Auf platter Erde entwickelt.“
Aber wie sich die Völker leider bis zum heutigen Tage um Land, Meer und heute auch Lufträume streiten, so ist der Streit um Träume, Hoffnungen und Wünsche ein mitunter erbitterter. Nicht nur unter Völkern, sondern auch unter einzelnen Menschen.

<>Wenn Sie sich an die fromme Helene erinnern: Sie kommt – offenbar als Stadtkind zu braven rechtschaffenen – und stinklangweiligen – Verwandten aufs Land. Und in ihren boshaften Streichen spiegelt sich ihre Sehnsucht nach dem prallen Leben. Und es geht nicht nur Helene allein so: Wenn wir uns nach dem prallen Leben sehnen, schaffen wir oft knallenden Unfrieden. Schon in Kapitel sechs fliegt Helene darum aus dem anständigen Bürgerhaus auf dem Dorfe heraus.

Wilhelm Busch ist selbst ein glaubwürdiger Zeuge der Ambivalenz, die er in der „frommen Helene“ beschreibt. Er selbst ist Künstler und Freigeist und doch fest verwurzelt in einem lutherisch gestimmten niedersächsischen Dorf. Nach dem Studium in München zieht er eine längere Zeit nach Frankfurt am Main, wo sein Bruder lebt. Otto Busch war ein großer Anhänger des pessimistischen Philosophen Arthur Schopenhauer, der in Frankfurt Philosophie lehrte. Wilhelm Busch wird  dessen Schüler. In dieser Frankfurter Zeit entsteht auch die „Fromme Helene“.  Danach – nach dem mondänen Leben in Frankfurt, wo er in Bankierskreisen verkehrt, zieht er direkt nach Wiedensahl, in ein kleines Dorf im Raum Hannover. Von dort zieht er jedes Jahr für einige Zeit nach München – der Wechsel zwischen Stadt und Land ist der Wechsel zwischen zwei Sehnsüchten: Nach dem prallen Leben der Großstadt und nach der Integrität und Sicherheit auf dem Dorf. Wiedensahl ist der Heimatort, aus dem Busch stammt. Er lebt dort nicht irgendwo, sondern - im Pfarrhaus, wo er einige Zimmerchen bezogen hat. Zu einem Münchener Aufenthalt schreibt Busch 1876: „Die vielen Leute, das Fest, der Lärm, das Bier, der Rauch – mir wird ganz unklug davon. Und dann nie vor nachts zwei Uhr ins Bett.“ Und wenn er wieder im Wiedensahler Pfarrhaus ist, meint er: „Ja, da staunt der Dachs, wenn er aus dem Loch rausgeht. Das Feuer bullert im Ofen und für die nächsten sechs Wochen will ich nicht über die Grenze.“

Sein Leben wird über 20 Jahre lang im Wiedensahler Pfarrhaus und nach dem Tode des Schwagers im Pfarrwitwenhaus der Gemeinde stattfinden. Von dort unternimmt er immer wieder Ausflüge in die Großstadt um dann mehr und mehr in sein Wiedensahler Versteck zu schlüpfen, wie er einmal ausgedrückt hat.

Diese zwei Wunschebenen seines Lebens hat Wilhelm Busch zwar nicht in die Wiege gelegt bekommen, er stammt aus einem frommen Haushalt eines gewissenhaften Dorfhändlers, aber sie beginnen früh, als er im Pfarrhaus seines Onkels aufwächst und dort im Hause des Dorfwirts freireligiöse Schriften studiert. Und die zwei Seelen, die in seiner Brust wohnen, beschreibt Busch im Zusammenhang mit dem Selbstmord eines Dorfschullehrers, obwohl er bei diesem niemals Unterricht genommen hatte: Er „wurde auf dem Kirchhof dicht unter meinem Kammerfenster begraben. Und von nun an zwang er mich allnächtlich, ganz unter der Decke zu liegen. Bei Tage ein Freigeist, bei Nacht ein Geisterseher.“

Das macht Wilhelm Busch so ein bisschen zum Propheten der Moderne und ich denke, dass viele von uns tief in sich seine beiden Wunschebenen nachvollziehen können: Er gehört mit seinem Verstand zur modernen kritischen Welt einer beginnenden Zukunft, es zieht ihn immer wieder für ein par Wochen oder Monate in die Großstadt, aber mit dem Herzen hängt er am dörflichen Leben inmitten der Natur und damit auch der Vergangenheit, aus der er stammt - auch wenn er mit den Menschen dort nicht viel anzufangen weiß.

Warum führe ich Ihnen hier Wilhelm Busch vor in diesem Gottesdienst über die Wünsche des Menschen: Unsere Wünsche sind Ausdruck unseres Willens und der Wille ist für Wilhelm Busch – wie für seinen philosophschen Lehrer Arthur Schopenhauer das Wesentliche des Menschen. Von dem Willen sagt Busch: Der Wille ist böse von Jugend auf. Die kleinen rosigen Menschenkinderkreigen, noch bevor der Storch sie bringt, gleich ihren Wischer weg von den schwarzen Teufelchen, mit denen sie spielen auf der blumigen Wiese…“

Hier ist Busch ganz auf der Seite einer kritischen Moderne, wie sie sich auch in der Philosophie Schopenhauers spiegelt. Dessen Hauptwerk heißt programmatisch: „Die Welt als Wille und Vorstellung“. In seinem eigenen Leben sind es aber nicht die kritischen philosophischen Werke, die ihn lebenslang begleiten, sondern sein Gesangbuch und sein Neues Testament. Busch wunderte sich nicht, dass sein Buch „Eduards Traum“, in dem er seine eigene Gedankenwelt niedergeschrieben hat, kaum gelesen wurde. Es setzt gründliche Kenntnis des Neuen Testaments voraus.

Erinnern Sie sich an den Predigttext? Da stehen sich zwei Leute gegenüber: Der eine sieht im anderen den Ketzer – oder den Bösen. Und er versucht es ihm zu sagen, dann holt er sich noch ein paar Mitstreiter aus der Gemeinde und wenn das alles nichts nützt, dann muss der verkehrte Christ behandelt werden wie ein Heide; er ist aus der Gemeinschaft der Christen ausgestoßen:
Hört er auch auf die Gemeinde nicht,
so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner. -
Und dann kommt die Legitimation für diesen Rauswurf, denn Gott wirft denn so Behandelten auch aus dem Himmel:
Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein.

Das gehört zu den wichtigsten Texten der katholischen Kirche. Darauf beruft sie sich, wenn sie ihren Gläubigen eine Vielzahl von Regeln und Weisungen auferlegt. Hier schlägt uns Evangelischen, die wir die Aufklärung nicht unter den Teppich kehren – das Gewissen an: Wissen wir als Geistliche, wissen wir als Gemeinde, wissen wir als Kirche immer, dass wir im Recht sind, wenn da einer ist, der anders denkt und handelt?

Wilhelm Busch hat uns in seinem Gesamtwerk eine ganze Menge von verlogenen, arroganten Pfaffen und Heiligen vorgeführt, von denen uns auch Heinrich Heine warnt:
„Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.“
Nicht in der philosophischen und aufklärerischen Kritik sieht Busch – und hier ist er ziemlich nahe an Heinrich Heine – die Gefahr für das Christentum. Nein, die mangelnde Glaubwürdigkeit der Christen macht das Christentum unattraktiv und verlogen.
 
Wenn Christen sich einig sind – und wenn sie begreifen, dass auch sie selbst Grenzen haben, der Grenzen der Einsicht, der Erkenntnis und der Urteilskraft, dann sind sie im Einklang mit dem Himmel. Und dann gilt auch das Wort des Philipperbriefes:
„Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel.
Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“

Wenn Christen glaubwürdig miteinander innerhalb der Grenzen ihres beschränkten Horizontes Urteilen, dann entspricht ihr Wille dem göttlichen Willen. Christen sollten sich von anderen Menschen darin unterscheiden, dass sie wissen, dass sie nicht allwissend sind. Und wenn solche Christen im Ernst ihres Glaubens zu zweit oder zu dritt beisammen sind, dann können sie sich der Gegenwart Gottes sicher sein.

„Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“ heißt es im Volksmund. Die Aufgabe von Christen ist es, Gottes Himmelreich zu suchen.

Gott lass uns in DEINEM Namen zusammen sein und sei DU mitten unter uns, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.