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Anlässlich der Verabschiedung des Kantors Ralf Sach hielt Pfarrer Ralf-Andreas Gmelin die folgende Predigt am 11. September 2005:


Lieber Ralf,
liebe Gottesdienstgemeinde,

manchmal träume ich davon, das Redemanuskript einfach wegzuwerfen, wenn ich auf der Kanzel stehe. Wenn ich dort stehe, lasse ich’s dann aber bleiben. Heute bin ich dankbar für das Papier, das die Gedanken ordnet, die mir seit Anfang Juli durch den Kopf ziehen. Darum, weil mich die Nachrichten von Deinem Weggang sehr bewegt haben, lieber Ralf.

Bewegt wurde ich im Grunde nicht wegen Deines Weggangs. Es ist völlig normal, dass ein Mitarbeiter in Deinem Alter eine neue Herausforderung sucht. Und Indizien, dass der Tag kommen wird, gab es schon zuvor einige.

Bewegt hat mich, was diese Nachricht bei mir ausgelöst hat; auch wenn ich nicht zu den Menschen zähle, die in der Regel ihren Gefühlsregungen unbedingt öffentlich Ausdruck geben müssen. Ein Gemisch aus verschiedenen Überlegungen hat mich durchzogen. Die dienstlichen sahen alle so ähnlich aus wie „Schade, ich wollte mit ihm ja noch dieses und jenes – und jetzt ist es vorbei“. Ein Teil der Trauer ist auch ein verpasster Egoismus. – Aber zu Dir: Du stehst nun hinter einer Wegkreuzung, bei der Du abgebogen bist. Für Dich ist es nicht schwer, die Herausforderung der Zukunft mit Freude anzugehen.

In dieser Predigt möchte ich mit Dir und uns anderen zunächst auf den biblischen Berg Nebo steigen:
Auf diesen Berg Nebo sind wir als Ringkirchengemeinde mit Dir gestiegen. Und da Du bibelfester bist als viele von uns Pfarrern, weißt Du, was mit diesem Bild gemeint ist.

Wir blicken wie das Volk der Israeliten zurück auf den Weg, den wir hierhin auf den Berg Nebo hinter uns gebracht haben:
In Deiner Vergangenheit gibt es zwei Elemente, die Du beim Heraufklettern auf den Nebo mit dem Gottesvolk, das sich in der Ringkirche versammelt, fruchtbar gemacht hast: Deine Frömmigkeit und Deine Freiheitsliebe.

Du warst mit Deiner Arbeit auf unserem Weg ein lebendiges Zeichen dafür, dass dort viel Freiheit herrscht, wo viel Glaube wohnt. In unserer Kirche versuchen manche ein Maximum an Freiheit bei einem Minimum an Glaubensgewissheit zu verwirklichen. Darum steht es in unserer evangelischen Kirche nicht immer zum Besten. Dein Gleichgewicht von beidem hat mit Deiner frommen Vergangenheit zu tun, die viel Gutes hinterlassen hat, aber vielleicht auch den Eindruck, dass es da und dort an Freiheit gefehlt hat. - Mir hat Deine Kombination von Frömmigkeit und Freiheit gut getan. Und ich werde auch vermissen, worin sie sich – unter anderem – ganz praktisch ausgedrückt hat: Der Schluss-Segen im Chor, den ich noch nie bei einem Chorleiter empfangen habe.

Was geschieht auf dem Berg Nebo?
Das wandernde Gottesvolk kommt nach einer Wüstenwanderung von 40 Jahren auf den Berg Nebo. Im Unterschied zu den Kindern Israel hatten wir nur fünf Jahre, die wir mit Dir unterwegs gewesen sind – und ich hoffe, Du hast Dich – wie wir auch - nicht ständig gefühlt, als wärest Du in der Wüste, die sich über unserem Altar erhebt. (Altarbild von G. Kazda)

Der Berg Nebo liegt heute im Westen von Jordanien und bietet noch immer ein grandioses Panorama auf das gesamte Heilige Land. Der Blick von dort auf das judäische Gebirge gehört zu den stärksten Eindrücken von meinen Israel-Reisen. In meiner Bibelkunde waren die drei letzten Kapitel der Mosebücher mit den Eselsbrücken bezeichnet:

“Moses singt, segnet und stirbt.“

Moses singt kurz bevor er auf den Nebo kommt. Sehr passend für einen Kirchenmusiker. Dies Lied beginnt auch sehr passend: „Meine Lehre triefe wie der Regen, und meine Rede fließe wie Tau, wie der Regen auf das Gras und wie die Tropfen auf das Kraut. Denn ich will den Namen des Herrn preisen.“ (5. Mose 32, 2,3) Das umreißt die gemeinsame hymnische Arbeit, die in der Gemeinschaft mit Dir und vielen hier in Wiesbaden getan wurde, mit der Stimme, mit der Flöte, mit den Tasten, die einen Ton bedeuten und anderen Instrumenten.  Viele Brüder und Schwestern ist wie mir bei der Nachricht von Deinem Weggang deutlich geworden, dass es kein rein dienstliches Verhältnis war, was mit Deiner Veränderung zuende geht. Gerade die Zauber der Musik führen das zusammen, was nicht nur „die Mode“ streng geteilt hat, das dienstliche und persönliche Leben.

Moses segnet, das ist, was wir heute tun, wenn wir Danke sagen für die gemeinsame Zeit. Ein Segen schließt einen Lebensabschnitt, eine Zeitepoche und gibt zugleich einen behüteten Ausblick auf den nächsten Abschnitt.

Solche Übergänge gibt es im persönlichen Leben und da gehört ein Umzug und das Antreten einer neuen Stelle dazu. Ob man einen solchen Übergang als Krise erlebt oder nicht. Aber es gibt sie auch in unserer Kirchengeschichte und im Bereich der Kirchenmusik: Wir leben in einem Übergang von der Volkskirche, die sich z.B. darauf verlassen konnte, dass ein Großteil des kirchlichen Liedgutes allen evangelischen Christen vertraut ist. Und immer wenn ein Brautpaar zur Trauung ansteht, zeigt sich, dass diese Zeit vorüber ist: Kaum einmal, dass ein Paar mit den Liedern unserer großen evangelischen Tradition vertraut ist. Da wirst Du jetzt in Württemberg einen Schritt zurück in etwas kirchennähere Zeiten machen. Aber das wird nichts daran ändern, dass ein Weg mit unbekanntem Ziel verfolgt werden muss, den Du ja auch schon eingeschlagen hast: Die Kirchenmusik von morgen darf sich nicht mit ihrer großen Vergangenheit vom Rest der Welt arrogant wegsperren, sondern sie muss sich auseinander setzen mit der Musik, die Menschen täglich hören. Und da gibt es keinen Grund, über Pop-Musik die Nase zu rümpfen.

Moses stirbt: Zum Glück stirbt heute kein Mensch, sondern ein Verhältnis, eine Beziehung, ein Miteinander. Ein Abschied ist wie ein kleiner Tod, wie man in Frankreich sagt.

In dieser Beziehung gibt es diese dienstliche Komponente, eine ideelle Komponente und eine persönliche Komponente.

<>Die dienstliche Komponente erinnert an eine andere Geschichte aus der Bibel. Abraham und Lot: Ihre Hirten sorgen dafür, dass sie getrennter Wege gehen. Sie wissen sich miteinander einig, aber es ist gut, dass sie ihr Ziel auf unterschiedlichen Wegen ansteuern. Ob Christen in Wiesbaden oder in Kirchheim das Lob Gottes singen, ist im Grunde egal. Es ist der gleiche Gott und der gleiche Wunsch von Christen, dass wir mit unserer Stimme in die ewige Harmonie des Göttlichen einstimmen. Und das umreißt dann auch die ideelle Komponente: Du hast Dich immer dafür eingesetzt, dass religiöse Motive überall musikalischen Ausdruck finden. Nicht nur in den Liedern nach Gedichten von Paul Gerhard, sondern auch und gerade in heutiger Pop-Musik, in der es wimmelt von Fragen, die der Glaube beantwortet.

Für die persönliche Komponente erinnere ich mich an eine Comic-Geschichte des amerikanischen Zeichners Charles P. Schultz. Die Peanuts Charly Brown und Schröder beobachten, wie der Beagle Snoopy versucht hat, sich nicht mit dem Schneemann anzufreunden. Er weiß ja schon, wie das Ganze ausgehen wird: Kaum ist die Freundschaft da, zwischen Snoopy und dem Schneemann, denn wird der Schnee schmelzen und der Abschied wird beginnen. Snoopy kann aber dem Schicksal der Freundschaft zu dem Schneemann nicht entrinnen. Und dann kommt das Tauwetter. Beim Abschied vom Schneemann sehen die beiden Kinder ihn tief traurig. Charly Brown meint: „Armer Snoopy, es bricht ihm das Herz.“ – Schröder antwortet lakonisch: „Aber die Mohrrübe hat er trotzdem gefressen.“

Du hast beim Persönlichen zugesehen, dass es Dir nicht wie Snoopy geht. Und das war auch in Ordnung, denn deine Lebensplanung kanntest Du selbst am besten und damit auch, wie weit Dein zeitlicher Horizont hier in Wiesbaden gedacht war. Und so gilt auch hier der Grundsatz von Wilhelm Busch aus Fipps dem Affen:
„Meistens hat, wenn zwei sich scheiden,
einer etwas mehr zu leiden.“
Lieber Ralf, ich war ja in Versuchung, Dir eine Mohrrübe zu überreichen, wo doch die Ringkirchengemeinde in Deinem Leben eine Art schmelzender Schneemann ist – auch wenn er dir nicht gerade das Herz bricht.

Aber dies wäre ein Symbol für deine Vergangenheit gewesen. Stattdessen bekommst Du von dem Kirchenvorstand der Ringkirche ein praktisches Symbol für Deine Zukunft: Eine Hängematte aus Guatemala, die Dich immer daran erinnert, dass die Pause in der Musik wie in der Glaubenspraxis notwendiger Augenblick der Spannung und Erneuerung ist. Mit einem letzten Zitat, einem von Friedrich Nietzsche komme ich zum Schluss:
Man muss aufhören, sich essen zu lassen,
wenn man am besten schmeckt.
(Friedrich Nietzsche Zarathustra, Vom freien Tode)
Vielleicht hast Du Deinen Zeitpunkt in dieser Hinsicht sehr klug gewählt!

Dir und Deiner Familie wünschen wir Gottes Geleit auf Eurem Weg in den Süden; uns wünschen wir, dass wir mit Euch verbunden sind mit dem, was ein  Psalmwort aus Psalm 28 meint: (Vers 7)
„Der HERR ist meine Stärke und mein Schild; auf ihn hofft mein Herz, und mir ist geholfen. Nun ist mein Herz fröhlich, und ich will ihm danken mit meinem Lied.“