Am 2. Januar, dem ersten Sonntag im
Jahr 2005, befasste sich die Ringkirchengemeinde in einem
Themengottesdienst mit der Seebebenkatastrophe in Südostasien. Bei
der Kollekte wurden für die Diakonie-Katastrophenhilfe 603 Euro
gesammelt:
Von offizieller Seite heißt es, dass die Zahl der Todesopfer
durch das Seebeben und die Flutwelle die 160 000 überschreiten
werde. So hohe Verluste in so kurzer Zeit hat unsere Erde seit dem Ende
des zweiten Weltkriegs nicht mehr gesehen. Neue Erdstöße,
beginnende Cholera-Erkrankungen und die Folgen des Regens behindern die
Hilfsmaßnahmen und Aufräumungsarbeiten. Aus Sri Lanka kommt
die Meldung, dass es im Flüchtlingscamp Kalamulle etwa 60
Kilometer südlich der Hauptstadt Colombo für jeden der 400
Bewohner nur etwa 370 Gramm Reis pro Tag - sonst nichts. Der Lagerchef
Maspanne Gunalancare Thero, ein buddhistischer Mönch, sagt: „Weil
es keine Gaskocher gibt, dauert es stundenlang, bis auf Holzfeuer
genügend Wasser erhitzt ist, um den Reis zu kochen. Es fehlen
Plastikflaschen, mit denen die Menschen das Wasser an den Tanks
abzapfen können. Für 400 Menschen gibt es zwei Toiletten. Wir
befürchten daher, dass Cholera ausbrechen könnte.“
Betroffen ist ein riesiges Gebiet, das sehr unterschiedliche
Länder umfasst wie den indischen Subkontinent, mit Indonesien das
bevölkerungsreichste islamische Land der Erde, bis hin zu von
Unruhen ohnedies erschütterte Staaten wie Sri Lanka und das
afrikanische Somalia.
Aus Sri Lanka kommt ein Bericht über die begonnenen
Hilfsmaßnahmen:
„Zwei Laster sind am Morgen von Colombo,
der Hauptstadt von Sri Lanka aufgebrochen. Im Gepäck haben sie
Decken, Trinkwasserkanister, Kochutensilien, Hygieneartikel. Die
Männer in den Wagen sind Singhalesen und Tamilen. Menschen, die
aus verfeindeten Volksgruppen stammen. Ihre Fahrt ist mehr als ein
Symbol. Die Bürgerkriegsparteien haben angesichts der bisher 22
500 Toten und der Zerstörung auf der Insel zum Waffenstillstand
aufgerufen. Sie fahren an der Küste entlang, dann auch durchs Land
in Richtung Trincomalee und suchen nach Überlebenden, die Schutz
unter Planen, zuweilen auch in Tempeln und Moscheen gesucht haben. Die
beiden brauchen Stunden, um vorwärtszukommen. Schon vor der Flut
war das Straßensystem so marode, daß jedes Auto oft mehr
als acht Stunden brauchte, um die 52 Kilometer zurückzulegen. Nun
verdoppelt sich die Zeit leicht. Denn die Straßen sind oft von
Gegenständen blockiert. Die Männer arbeiten für
die Katastrophenschutzabteilung CASA der evangelischen Kirche auf Sri
Lanka, die mit der Diakonie in Deutschland zusammenarbeitet. Ute Dilg
von der Diakonie-Katastrophenhilfe wartet auf einen Anruf des
Hilfstrupps. Seit sie am Morgen losgefahren sind, hat sie nichts mehr
von ihnen gehört. "Wir haben keine Mitarbeiter aus Deutschland
geschickt, weil die Menschen vor Ort sich sprachlich und mit der
Infrastruktur gut auskennen", sagt sie. "Wir würden zur Zeit eher
stören, als hilfreich sein. Deshalb haben wir 400.000 Euro
geschickt."
Warum muss eine solche Katastrophe
sein? Oder im Gottesdienst lautet die Frage: Warum lässt Du
Gott, so viel Leid und Verderben zu, der Du doch Deine Geschöpfe
liebst?
In biblischer Zeit sah man in einer Katastrophe die strafende Hand
Gottes: Weil das Volk ungehorsam ist, zieht Gott seine lebenserhaltende
Hand ab und - schlimmstenfalls – kommt es zur Sintflut.
Heute wird nach anderen Verantwortlichen gesucht: Die Regierung, das
Kapital, oder nachlässige Angestellte werden verantwortlich
gemacht. Eine Flutkatastrophe wird kaum noch mit göttlicher Strafe
in Zusammenhang gebracht, dafür wird heute gefragt, warum es kein
Frühwarnsystem gab. Das ist zwar nur ein schäbiger Ersatz
für die große Frage, warum es solch vernichtende
Naturschläge geben muss, aber wir können irgendwann
irgendjemanden belangen, weil er es versäumt hat, rechtzeitig
Sonden in die Meere zu bauen, auch wenn statistisch nur alle 700 Jahre
ein so grauenhaftes Beben den indischen Ozean erschüttert.
Die Deutung eines Unglücks als Strafe Gottes geriet in
Erklärungsnot, weil nicht nur die vermeintlich Bösen
betroffen waren, sondern auch die Tugendhaften. In Sodom und Gomorrha
erzählt die Bibel noch, dass es dort kaum Gerechte gegeben
hätte. Bei dem Erdbeben von Lissabon 1755 war das anders.
Traditionelle Erklärungen, die mit dem Handeln Gottes rechneten,
wirkten zu dieser Zeit nicht mehr glaubhaft. Der französische
Aufklärer Voltaire protestierte gegen das Erdbeben in einem
Gedicht und löste damit eine große philosophische Debatte
aus – allerdings löste er nicht das Problem, dass es weiterhin
schwere Katastrophen gab und geben wird.
Immer wieder wird die Frage nach dem Warum wach, wenn ein neues
Unglück eintritt, wie der Untergang der "Titanic" oder die Folgen
der Atombomben auf Hiroschima und Nagasaki. Die mitleidlosen Seuchen
durch SARS und andere Viren, Wirbelstürme, technologische
Katastrophen wie die von Tschernobyl unterscheiden nicht zwischen den
Opfern, die ihnen gebracht werden müssen. Wie jetzt die
vernichtende Flutwelle.
Die Aufklärung kann nur beschreiben, was passiert oder menschliche
Verantwortliche herauspicken, die stellvertretend für das
eigentliche Übel abgeurteilt werden. Die wirkliche Antwort
beleidigt unsere Vernunft und kann nur vom Glauben gegeben werden:
Der Hebräerbrief vergleicht unser Leben mit dem Leiden von Jesus
am Kreuz – vor der Stadt: 13,12-19
„Darum hat auch Jesus, damit er das
Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem
Tor. So laßt uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine
Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt,
sondern die zukünftige suchen wir.
So laßt uns nun durch ihn Gott
allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die
seinen Namen bekennen. …
Betet für uns. Unser Trost ist,
daß wir ein gutes Gewissen haben, und wir wollen in allen Dingen
ein ordentliches Leben führen.“
Weltweit bauen wir vernünftigen Menschen uns die Illusion, wir
könnten in einer bleibenden Stadt sicher wohnen, vor allen
Gefahren gefeit. Jede Katastrophe erinnert uns an unsere Grenzen, an
unsere Endlichkeit und an unsere Unfähigkeit, mit diesen Grenzen
zu leben. Und darum sind wir Menschen alle in eine solche verheerende
Katastrophe verwoben, weil unsere gemeinsame Illusion einen Riss
bekommt. Ungerecht ist, dass es zu 90 Prozent Menschen in den armen
Ländern sind, die solche Lasten tragen müssen. Und darum ist
es gut und gerecht, wenn wir ihnen dabei tragen helfen, die wir von
solcher schrecklicher Wahrheit verschont bleiben.
In den betroffenen Ländern schweigen derzeit die politischen,
religiösen und ethnischen Konflikte und das ist vielleicht das
Einzige, was in dem düsteren Zerstörungswerk der Flutwelle
wie ein Hoffnungsschimmer aussieht. Aber auch bei uns in Deutschland
hat Deutschlands größte Silvesterparty am Brandenburger Tor
400 000 Euro Spenden für die Flutopfer in Südasien
zusammengebracht.
Und mit dem Anliegen dieses Gottesdienstes in der Ringkirche, in dem
wir zusammen beten und spenden wollen, wissen wir uns vereinigt mit
unserem Bundespräsidenten Horst Köhler und dem Oberhaupt der
römisch katholischen Kirche, Johannes Paul II. Eine nicht
alltägliche Übereinstimmung.
Gott lass uns zusammenrücken unter der Bedrohung, damit wir
Menschen entdecken, wie schwach wir als DEINE Geschöpfe sind
angesichts der Gewalten, die schon vor uns zu unserer Erde gehört
haben, denn dein Friede, welcher höher ist denn alle
Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.