Am zweiten Weihnachtstag (26.Dezember
2004, am Tag als der Tsunami große Gebiete Süd-Ostasiens
verheerte) predigt Ralf-Andreas Gmelin in einem gemeinsamen
Gottesdienst der Ringkirchengemeinde und der Stephanusgemeinde in der
Stephanuskirche über das Bild des Johannesevangeliums: Christus,
Licht der Welt:
Ein Geschichte aus dem Johannesevangelium begleitet uns an diesem
zweiten Weihnachtstag:
Joh 8, 12-16
12 Jesus das Licht der Welt
Da redete Jesus abermals zu ihnen und
sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht
wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
13 Da sprachen die Pharisäer zu
ihm: Du gibst Zeugnis von dir selbst; dein Zeugnis ist nicht wahr.
14 Jesus antwortete und sprach zu
ihnen: Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis wahr; denn
ich weiß, woher ich gekommen bin und wohin ich gehe; ihr aber
wißt nicht, woher ich komme oder wohin ich gehe.
15 Ihr richtet nach dem Fleisch, ich
richte niemand.
16 Wenn ich aber richte, so ist mein
Richten gerecht; denn ich bin's nicht allein, sondern ich und der
Vater, der mich gesandt hat.
Herr tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.
Liebe Brüder und Schwestern,
alle Jahre wieder das gleiche Ritual: Sie haben große
Vorbereitungen hinter sich. Dann kam der heilige Abend. Ich hoffe, er
hat Ihre Erwartungen nicht enttäuscht. Der erste Weihnachtstag
gehört bei vielen der Familie, die oft in alle Windrichtungen
zerstreut wohnt.
Und wenigstens wir hier in der Stephanuskirche sind am zweiten
Weihnachtstag zum Gottesdienst versammelt.
Vielleicht ist das für Sie ein vertrauter Gottesdienst-Tag und
dann gilt auch dafür: Alle Jahre wieder.
Christus ist das Licht der Welt, das ist die Botschaft an diesem
zweiten Weihnachtstag, den das Johannesevangelium verkündet.
Und Sie haben Recht: ganz neu ist Ihnen dieser Satz bestimmt nicht. Auf
vielen Paramenten wird er beschworen, und hängt in so mancher
evangelischen Kirche. Und nicht nur im neueren Gesangbuchlied 410 kommt
das Motiv vor: „Christus, das Licht der Welt“. Nicht nur an
Weihnachten, aber auch da: Alle Jahre wieder.
Das Bild der Wiederholung, das in diesem „Alle Jahre wieder“ steckt ist
der Kreis. Er dreht sich und kommt immer wieder in die gleiche Stellung
wie am Anfang. Und ein solcher Kreis liegt unserem Kalender zugrunde:
Keineswegs nur dem kirchlichen Kalender, sondern auch dem weltlichen.
Es tut uns gut, wenn wir uns vorstellen, dass an Neujahr wieder das
Jahr auf Null gestellt wird. Dass es bald wieder Frühjahr wird,
dass es bald wieder wärmer wird und heller und dass es dann auch
irgendwann wieder Weihnachten wird.
Die Wahrheit unseres Lebens ist eine andere: Unser Leben dreht sich
nicht im Kreis, sondern wir werden keinen Tag unseres Lebens noch ein
zweites Mal erleben. Jeder Augenblick ist unverwechselbar, uneinholbar
und nie wieder gut zu machen.
Während wir hier im Gottesdienst sitzen, können wir nicht
gleichzeitig draußen etwas anderes tun. Und wir haben noch
niemals am II. Weihnachtstag des Jahres 2004 im Gottesdienst gesessen
und werden es auch nie wieder tun können. Wer versucht, die Natur
unserer Lebenszeit zu begreifen, der wird darüber erschrecken: Die
Gegenwart, in der wir wirklich leben ist ungeheuer kurz, einen
Augenblick später ist das was, eben lebendige Gegenwart war
bereits tote Vergangenheit. Und was vor uns liegt, das gähnt uns
als dunkle Leere an. Die Wahrheit unseres Lebens ist, das wir in die
Zukunft nicht schauen können, ebenso wenig, wie wir einen
Augenblick unserer Vergangenheit wieder zum Leben erwecken können.
–
Wer die Zeit so nimmt, wie sie wirklich ist, der ist einsam in seiner
kurzen Gegenwart. Und so ist es kein Wunder dass wir uns in unserem
„Alle Jahre wieder“ ein rundes Ritual geschaffen haben, das uns in die
gemütliche Illusion hüllt, jedes Jahr würde sich
irgendwie wiederholen.
Wer aus dieser Gemütlichkeit ausbricht und wahrnimmt, wie
empfindlich und einsam unser leben in die Zukunft treibt, der empfindet
das Dunkel, in das wir gehüllt sind.
Und aus dieser Gefährdung, aus der Ungewissheit, die nicht ein
freundlicher Kalender abfängt, wird uns deutlich, was Jesus
Christus sagt: Ich bin das Licht der Welt.
Unsere Welt treibt auf ihrer gnadenlosen Zeitachse: Von der Geburt bis
zum Tod reicht unsere Frist. Und auch unser Planet ist irgendwann in
der Vergangenheit aus Sternenstaub geronnen, um irgendwann in der
Zukunft in einer Explosion zu verenden.
Christus, Licht der Welt, das heißt dann:
Jesus Christus ist das Hoffnungszeichen, das nicht alles irgendwann im
Staub versinkt.
Jesus Christus ist das Licht in das wir uns hinein bewegen können.
Nicht die schwarze Nacht des Universums ist die Wahrheit,
nicht das versengende Licht der Sonne,
sondern das Licht Jesu Christi ist die hell erleuchtende Liebe zum
Leben.
Zu einem göttlichen Leben, das keiner Frist unterworfen ist, einem
ewigen Leben, das nicht getrieben ist von Sorge, Angst, Grenzen und
Mutlosigkeit.
Ich bin das Licht der Welt. Wer mir
nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis,
sondern wird das Licht des Lebens
haben.
Die Fragen unserer Zeit sind schlimmer als die Fragen der
Pharisäer zur Zeit Jesu. Wir verstecken uns in dem Ritual
der Bewusstlosigkeit, dröhnen unsere Ohren in jedem Augenblick mit
Rhythmen und Klängen zu, die uns in eine sanfte Kreisbewegung
einlullen, wir schauen uns Fernsehfilme an, in denen alte Zeiten wieder
lebendig werden und betrügen uns um die Tatsache unseres Lebens.
Du hast eine kurze Frist. Nutze sie, damit in die Hoffnung wach wird,
dass es ein Licht gibt, das Dich nicht in die Finsternis wandeln
lässt, sondern Dich zum Licht des Lebens führt.
Es ist kein Zufall, dass seit ältester Zeit die Heilige Nacht den
Beginn des Christentums anzeigt.
„Alle Jahre wieder“ kann diese Heilige Nacht zu einer niedlichen
Lüge werden lassen. Wenn das Weihnachtsfest den ernst nimmt, der dort im
Futtertrog gezeigt wird, bedroht von Ochs und Esel, dem kann ein Licht
aufgehen.
Gott lass es hell werden um uns, denn dein Friede, welcher
höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in
Christo, Jesu, Amen.