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Am Ewigkeitssonntag 2003 geht die  Predigt von Ralf-Andreas Gmelin von dem Gleichnis Jesu aus, das das Himmelreich mit dem nächtlichen Ausflug von klugen und törichten Jungfrauen vergleicht:

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Das Matthäusevangelium erinnert uns an das Gleichnis Jesu von den klugen und törichten Jungfrauen:

„Dann wird das Himmelreich gleichen zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und gingen hinaus, dem Bräutigam entgegen. Aber fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen, aber sie nahmen kein Öl mit. Die klugen aber nahmen Öl mit in ihren Gefäßen, samt ihren Lampen. Als nun der Bräutigam lange ausblieb, wurden sie alle schläfrig und schliefen ein. Um Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht hinaus, ihm entgegen! Da standen diese Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen fertig. Die törichten aber sprachen zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen. Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es für uns und euch nicht genug sein; geht aber zum Kaufmann und kauft für euch selbst. Und als sie hingingen zu kaufen, kam der Bräutigam; und die bereit waren, gingen mit ihm hinein zur Hochzeit, und die Tür wurde erschlossen. Später kamen auch die andern Jungfrauen und sprachen: Herr, Herr, tu uns auf! Er antwortete aber und sprach: Wahrlich, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Darum wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.“

Herr, tu’ meine Lippen auf, dass mein Mund DEINEN Ruhm verkündige.

Haben Sie genügend Öl dabei?
Wird es reichen, auch wenn Ihr Weg länger dauert als erwartet?
Haben Sie einen Ersatzkanister dabei?

Liebe Gottesdienstgemeinde,
das Bild mit den tönernen Öllämpchen ist uns ziemlich wenig vertraut. Wenn es hinaus geht in die Nacht, haben wir keine blakende Ölfunzel dabei, sondern allenfalls eine Taschenlampe. Und die vorausblickenden Menschen haben eine Ersatzbatterie dabei, weil man mitten in der Nacht keine zu kaufen kriegt.

Aber es geht nicht um den Lichtkegel einer Taschenlampe inmitten schwarzer Nacht. Es geht um unser gesamtes Leben, das hier verglichen wird mit einer beunruhigenden Nachtwanderung. Und beide, die Ölfunzel und die Taschenlampe deuten an, dass wir unsere Wirklichkeit nur zu einem kleinen Teil wahrnehmen können. Nur das, was das eng umrissene bisschen Licht erhellt, das ist für uns wirklich. Der Rest des Universums verschwindet im Dunkel der Nacht.

Zehn Brautjungfern gehen los: Sie sollen am Ortseingang auf den Bräutigam warten und ihn dann in das Haus der Braut führen. Bei dieser Aufgabe macht es nichts, dass sie mit ihrem Öllämpchen so wenig sehen: Hauptsache, der Bräutigam entdeckt sie und kann zu ihnen kommen, auch wenn sie selber nicht viel wahrnehmen können. So werden wir Menschen geboren. Hinausgeschickt in eine dunkle, ungewisse Zukunft. Ausgestattet mit einem Lämpchen, das uns nur wenig Erkenntnis erlaubt. Eigentlich wissen wir, dass wir ein Ziel haben: Wir suchen die Begegnung mit einem, der nicht zu uns gehört, die da losmarschiert sind. Wir Menschen rechnen damit, dass unser Leben und unsere Welt eines Tages eine radikale Wende nimmt, eine Wende, bei der alles Wichtige unwichtig und etwas Überraschendes lebensentscheidend wird: So wie der richtige Bräutigam- wenn er dann kommt - das Leben von allen, die zusammen in einem Haus wohnen, vor eine entscheidende Wende stellt. - Und wenn dann nichts folgt?

Vielleicht kennen Sie das. Wenn ich denke, jetzt müsste etwas Entscheidendes in meinem Leben passieren – und dann merke ich nichts. Das kann beim Kirchgang passieren: Ich wünsche mir, dass Gott an diesem Sonntagmorgen mehr Klarheit, mehr Trost, mehr Liebe, mehr Überzeugtsein in mein Herz legt – und dann sitze ich hier in der Ringkirche, singe vielleicht leise mit, höre Worte, falte die Hände zum Gebet – und verlasse unverändert den Gottesdienst.  - Und es folgt nichts.

Dass dann bei mir irgendwann die Batterie leer ist, das das Öl verbrannt und der Ofen aus ist, darum geht es in der Geschichte bei fünfen der zehn Jungfrauen. Das, was die klugen Jungfrauen als Ersatzkanister herumtragen, das ist die Geduld, die Christen mit Gott haben. Wir Christen brauchen Geduld, weil er uns keine sensationellen Wunder schickt, weil er uns nicht mit einem Fingerknipsen zu völlig neuen Menschen verwandelt, weil die Nacht unserer Existenz so lange dauert, wie ER will.

Wir brauchen Geduld, weil diese Erde nicht heil wird, weil Menschen ausgerechnet im Namen ihres Gottes Bomben legen und zu Massenmördern werden. Wir brauchen Geduld, weil Gott unsere Gebete nicht erhört, als würden wir einen Zauberspruch aufsagen; er möchte, dass wir immer und immer wieder mit ihm reden, dass wir geduldig jeden Tag zu ihm beten, dass wir uns immer wieder mit unseren Hoffnungen und Wünschen an IHN wenden.

Und damit bekommt die Nacht, in die wir hinausgehen auch eine Farbe, einen Charakter, einen Duft. Es ist nicht die Nacht gemeint, in der ich wach liege voller Sorge; es ist nicht die Nacht, in der mich die traurige Erinnerung an glücklichere Tage überfällt, die Nacht die mir nur bittere Tränen und keinen süßen Schlaf gönnt.

Die Nacht, in die die geduldigen klugen Jungfrauen hinausgehen ist eine hoffnungsfrohe Nacht. Eine Nacht, in der mich frohe Erwartungen wach halten, eher eine Liebesnacht, eine Nacht, in der ich einen Menschen gesund pflege, eine Nacht, in der ich mich um ein Kind kümmere als eine Verzweiflungsnacht.

Und es ist sicherlich kein Zufall, dass die Jungfrauen in einer Gruppe unterwegs sind. So wie wir nicht allein leben, sondern in Gemeinschaft. Vielleicht ist das, was unsere Kirche umreißt die Gemeinschaft derer, unter denen immer einige wach sind, um voller Hoffnung auf den zu warten, der alles wandeln wird – um dann die anderen zu wecken.

Zu den schönen Erinnerungen an meine letzte Israelreise gehört der nächtliche Besuch der Klagemauer am Fundament des Tempelberges. Sie ist wie eine Festung umgeben von Mauern, Schutzdraht, Polizeiwachen und Kontrollen. Und dennoch: An diesem ungemütlichen Ort an dieser Mauer ist immer jemand am Beten. Auch wenn man kurz vor Mitternacht dorthin kommt, niemals ist die Klagemauer allein. Ein schönes Symbol für das gleiche Anliegen, das Jesus Christus uns mit dem Bild von den klugen und törichten Jungfrauen malt.

Die Kirche aller, die von Gott berufen sind, ist die Gemeinschaft derer, die wach sind, oder sich darauf verlassen können, dass jemand von uns wach ist. Egal, ob Christen evangelisch, katholisch oder orthodox sind: die, die hoffnungsvoll Wachen sind wichtig in unserer Welt. Es ist gut, wenn hier im Rheingauviertel Christen im Vertrauen darauf wach sind, dass ihr Gebet hineinstrahlt in die Nacht. Es ist gut, wenn in den Tälern und auf den Höhen dieser Stadt Hände gefaltet sind und für Gott wie ein Landungsfeuer sind, wenn er auf diese Stadt schaut. Es ist gut, wenn viele Hände gefaltet sind, wenn sich eines Tages die Erde verwandelt, wenn das gilt, was er Prophet sagt:

„Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.“ (Jesaja 11, 6-9)

Für eine durchwachte Nacht brauchen wir keine Gemeinschaft: Schlaflose Nächte schaffen wir spielend allein! Aber weil wir uns so gerne einlullen lassen, darum brauchen wir die wache Gemeinschaft aller Christen: Weil wir uns von Fernseher und Radio so gern die Zeit vertreiben lassen, in der wir nicht selber leben, sondern den Bildschirm leben lassen, weil wir uns so gern vorgaukeln, dass wir mit unserer Leistung, unserer Arbeit und Kraft unser Leben fest im Griff hätten. Wir brauchen eine Gemeinschaft derer, die für einander wach sind, weil wir schlaflose Nächte kennen, in denen uns die Sorgen und die Trauer wach halten und nicht die Hoffnung.

Es ist gut, wenn inmitten der steinernen Meere unserer Stadt die Kreuze und Hähne auf den Kirchtürmen signalisieren, dass dies Orte sind, wo das Gebet von vielen Generationen Spuren hinterlassen hat. Kirchen sind Orte, in denen wir uns stärken, die Abwesenheit Gottes auszuhalten, ohne die lebensgestaltende Hoffnung aufzugeben, dass er kommen wird. Glauben heißt Wachen und Warten. Und Kirchen sind Orte, wo die Gemeinschaft der Glaubenden wartet und wacht. Jeden Sonntag, immer, wenn sie für das Gebet offen stehen. Wer in unserer Ringkirche betet, singt und hofft, der baut an dem geistlichen Bauwerk, das wichtiger ist als das gewaltige Bauwerk aus Steinen, das uns in den kommenden Jahren viel Kopfzerbrechen machen wird, weil wir seine Wiederherstellung und Reinigung vorantreiben wollen. Das geistliche Bauwerk, das unser Beten und Feiern baut, ist das Zeichen, das Gott mitteilt, dass wir auf ihn warten. Dass wir auf seine Wiederkehr hoffen, dass wir keine Angst haben, sondern mit Freude und Erwartung SEINER Zukunft entgegensehen.

Wenn wir versuchen, auf unser Land aus der Perspektive Gottes zu schauen, dann sehen wir unter uns ein nächtliches Deutschland, wo überall kleine Lichtpünktchen auf gefaltete Hände – und auch auf liebevolles Handeln - hinweisen, und wo ein dichtes Netz von Leuchtfeuern steht, das auf die Kirchen in diesem Land hinweist. Diese fromme Landkarte wird sich schon bald ändern. Diese Woche ließ die katholische Kirche mitteilen, dass sie wegen der sinkenden Kirchensteuereinnahmen, wegen des Rückgangs der Bevölkerung, des Priestermangels, der zunehmenden Säkularisierung, der sinkenden Zahl der Gottesdienstbesucher und wegen des Umzugs der Menschen aus den Innenstädten in die Randgebiete 100 der etwa 20 000 katholischen Kirchen in Deutschland verkaufen möchte. "Eine Kirche ist nicht ein Gebäude wie jedes andere, sondern ein steinernes Glaubenszeugnis", sagt der Kölner Kardinal Meisner.

Im Bild von den zehn Jungfrauen können wir sagen: Kirchen sind Laternen Gottes, die uns daran erinnern wach und erwartungsvoll zu bleiben. Die Lichterkarte des Glaubens beginnt dunkler zu werden. Umso wichtiger ist jeder einzelne Christ und jede einzelne Christin mit ihren Gebeten, ihren hoffnungsvollen Wachen und ihren Erwartungen.

Gott schenke Du uns immer wieder wache Augenblicke, in denen wir DICH mit Freude erwarten, denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.

Die Ringkirchenkantorei singt nun einen Satz von Felix Mendelssohn-Bartholdy. Der Text stammt aus dem Matthäusevangelium (Mt 24,11-13), in dem Jesus auf dem Ölberg zu seinen Jüngern über das Ende der Zeit spricht:  „Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. Und weil die Ungerechtigkeit überhandnehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden.“  Wir hören die Ringkirchenkantorei mit „Wer bis ans Ende beharrt, der wird selig.“