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Am Sonntag Exaudi, am 1. Juni 2003 feierte die Ringkirchengemeinde Konfirmation. Den 14 Konfirmandinnen und Konfirmanden wurde von Ralf-Andreas Gmelin die folgende Konfirmationspredigt zu Johannes 15, 26 - 16,4 gehalten:

Liebe Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden,

der Beginn des Gottesdienstes ist wie der Anlauf beim Weitsprung: Zuerst muss ich eine gute Startposition suchen. Dann geht es in kleinen rasch wechselnden Schritten vorwärts. Jeder Schritt verbindet mich mit der Erde. - Und dann kommt der Sprung. Wie gut ich loskomme, das hängt von meinem Anlauf ab. Wie weit ich komme, das hängt davon ab, ob ich die richtige Richtung habe, ob ich konsequent in die richtige Richtung gerannt bin und ob mich etwas in der Luft hält.

Wir haben gemeinsam einige Gottesdienste erlebt. Und manchmal ist schon der Anlauf verunglückt: Manche von Euch haben sich selig in der Startposition verquasselt. Manche sind losgelaufen und haben dann das Gefühl gehabt, dass sie im falschen Film sind: Sie sind wieder langsamer geworden und beim Absprungbrett stehen geblieben. Manche sind aber auch losgesprungen und haben die Erfahrung gemacht, wie schwer es ist, richtig aufzusteigen und sich getragen zu fühlen. Und da seid Ihr nicht die einzigen. Das was Euch da geschieht, das kennen auch die erwachsenen Gottesdienstbesucher. Und sie kennen auch den Gottesdienstbesuch, der irgendwie zwar hoch kommt, aber dann in einer Sandlawine runterkracht und man fühlt sich wie in Scherben zersprungen.

Wozu soll ich das? Das ist die Sonntagmorgen-Frage. Warum soll ich mir das antun? Ich kriege keinen Pokal, ich kann nicht Weltmeister werden, ich kann mir nicht mal was auf meinen schönen Sprung einbilden. Ihr habt es in Eurem Vorstellungsgottesdienst am letzten Sonntag selbst gesagt: 95 Prozent aller Evangelischen gehen nicht mal in Startposition. Und wie viele von denen, die in die Kirche kommen, wirklich spüren, dass sie getragen werden, das können nur wir alle sagen, die ab und zu den Versuch machen - und loslaufen. Leider ist der Anlauf bis zur Predigt wie ein Hürdenlauf.

Und die letzte Hürde ist immer der Bibeltext, der vor der Predigt kommt. Er ist viele Jahrhunderte alt und manchmal wirkt diese Hürde wie eine Mauer. Man kommt zwar drüber, aber große Sprünge macht man hinter her nicht mehr. Auch heute geht es nicht in elegantem Hopser über den Bibeltext hinweg. Er stammt aus dem Johannesevangelium und baut sich hoch und breit vor uns auf. Jesus spricht aus diesen Worten zu uns. Und es ist noch etwas direkter: Jesus spricht zu Euch. Er sagt es kurz vor einer großen Veränderung zu seinen Jüngern. Sie haben Erfahrungen mit ihm gemacht. Sie sind ein Stück mit ihm gegangen. Und jetzt müssen sie bald alleine sehen, wie sie klarkommen. Der Unterschied zwischen Euch und ihnen ist, dass sie schon mit Jesus Christus Freundschaft geschlossen haben. Sie sind sich schon ganz sicher. Ich denke, dass könnt Ihr noch nicht sagen: Ich weiß ganz fest, dass ich mein Leben an der Seite von Jesus Christus führen möchte!

Seinen Jüngern verspricht Jesus - und ich denke, das sagt er auch zu Euch:
„Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen. Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt. Sie werden euch aus der Versammlung der Vernünftigen (Synagoge) ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, daß, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen. Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, daß ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.“
 

Liebe Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden,
das ist so: Wenn Ihr Freundschaft schließt, dann wisst Ihr nicht von Anfang an, was damit alles verbunden ist. Manchmal sucht man die Freundschaft zum größten Schreihals, manchmal zur muskelstärksten Nervensäge, manchmal zu Leuten, die irgendetwas gut können und manchmal auch sucht man die Freundschaft zu einem Menschen nur darum, weil er einem sympathisch ist. Was mit dieser Freundschaft dann verbunden ist, das steht bei keinem fest. Ein Schreihals kann sich bei näherem Hinhören als ein piepsendes Mäuschen erweisen. Der vorlaute Muskelprotz ist in einem kritischen Moment plötzlich ein harmloser Feigling, der nichts will, als seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Einer, der mich interessiert, weil er etwas kann, rückt mir vielleicht plötzlich näher, als ich das eigentlich gewollt hatte - und ich kann mit ihm nichts anfangen. Und die Sympathischen? Auch mit denen kann’s schief gehen. Aber ich glaube diese Freundschaften sind am krisenfestesten. Vielleicht weil wir in denen uns selber wieder erkennen.

Aber nach ein paar Wochen und Monaten ist völlig egal, wie es zu einer Freundschaft gekommen ist. Dann zählt allein, wie viel Lasten diese Freundschaft trägt. Wenn Ihr unter Euren Mitkonfis jemanden Freund nennt; diese Freundschaft geht ab Dienstag auf die Teststrecke: Trefft Ihr Euch auch ohne die feste Verabredung jeden Dienstag um 15.30 Uhr? Oder war’s das? Wenn die Freundschaft diese erste Runde gehalten hat, dann kann es kommen, dass sie von Euch noch viel mehr Energie verlangt. So viel, dass Ihr Euch die Frage stellen müsst: Will ich noch? Oder ist mir das lästig?

Was Jesus von seinen Freunden fordert, ist mehr als eine Zumutung: Er sagt ihnen, dass sie für diese Freundschaft den Hass der Welt auf sich ziehen werden. Wenn Du auf meiner Seite stehst, dann lachen Dich die anderen aus. Sie plustern sich auf und prusten, wenn sie sehen, dass Du auf meiner Seite stehst. Sie schmeißen Euch aus ihren Klüngeln. Sie machen dreckige Bemerklungen, wen Ihr auf dem Schulhof an ihnen vorbei geht. Sie würden Euch am liebsten den Hals umdrehen und auch noch meinen, dass sie damit der Welt einen Gefallen tun. Jesus sagt, dass Ihr es erkennt, wenn es passiert. Und: Ist es nicht schon passiert? Gibt es unter Euch keinen, der Jesus schon vor der Konfirmation verraten hat? Wenn Ihr gefragt worden seid: Warum machst Du denn diesen langweiligen Konfirmandenunterricht mit? Was habt Ihr da geantwortet? Weil ich zu Jesus Christus gehöre? - So eine Antwort hat bestimmt unangenehme Folgen. Oder habt Ihr ganz vernünftig geantwortet?

Vernünftig im Sinne einer Gesellschaft, in der alles käuflich ist: Waren, Liebe, Sexualität, Bilder, Unterhaltung, Macht oder Zeit. Es gibt manche Konfirmandin und manchen Konfirmanden, die antworten auf so eine Frage: Weil ich dafür am Tag der Konfirmation bezahlt werde. Weil es da Geschenke gibt. Geburtstag hoch zwei. Weihnachten im Frühling! Da wär’ ich doch blöd, wenn ich die anderthalb Stunden in der Woche nicht absitzen würde.

Liebe Konfirmandinnen, liebe Konfirmanden,
wer das sagt, ist vernünftig. Geld regiert die Welt. Wer sich bezahlen lässt, findet Anerkennung. Aber im Sinne unserer Kirche ist es nicht. Im Sinne von Jesus Christus ist es nicht. Mit Eurer Taufe hat das nichts zu tun. Christen sind unvernünftig bis ins Mark.

Die käufliche Vernunft ist auch nicht im Sinne unserer Urahnen. Einer meiner Vorfahren, Wilhelm Gmelin, war während des Dreißigjährigen Krieges Pfarrer in einem schwäbischen Städtchen, Böblingen. Obwohl 1634 der Dreißigjährige Krieg schon sechzehn Jahre alt ist, hatte Böblingen bis dahin wenig darunter zu leiden gehabt. Als die katholischen Feinde, Kroaten, im Auftrag des Kaisers, kommen, finden sie im Pfarrhaus viele Frauen und Kinder, die bei Wilhelm Gmelin in der Stube und im Hausflur auf die Knie gegangen sind und beten. Was das Pfarrhaus an kleinen und größeren Schätzen birgt, wird von der Pfarrfamilie den Soldaten sofort ausgeliefert. Wilhelm sagt dazu, dass er sich um das „nichtige flüchtige Zeug nicht viel oder wohl gar nichts“ gekümmert habe. Dennoch nehmen sie ihn als Geisel und wollen Lösegeld für ihn. Sie haben ihn an ein Pferd gebunden und schleppen ihn durch die Gegend von Böblingen, Sindelfingen und Untertürkheim.

Vielleicht war er unvernünftig. Vielleicht hätte er sich das ersparen können. Ein bisschen lügen, ein bisschen sich krumm  machen und schon wäre vielleicht alles gut gewesen. Aber Wilhelm schreibt: „Es hat mir aber Gott solche Gnad und solch einen freudigen Mut gegeben, dass ich noch habe singen können, was die Kroaten verdrossen hat; sie sagten: Der Pfaff mag noch singen! Da ich nun also im Geist lustig bin und singe, schickt mir Gott einen Pfälzer zu, den sie gefangen haben, der mit mir singt: „In Dich hab ich gehofft, Herr… - Was mein Gott will, das g’scheh allzeit… - Der Herr ist mein getreuer Hirt.“ Vielleicht stand Wilhelm das Wort Jesu im Johannesevangelium vor Augen, an Jesu Wort, dass die Welt Euch hassen wird, wenn ihr treu zu Jesus Christus steht.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
ich wünsche Euch, dass Ihr niemals in die Lage kommt, dass Euch Soldaten oder andere mit vorgehaltener Waffe vor die Frage stellen, was Ihr glaubt. Aber dass Ihr Euch wehrt, wenn man Euch sagt, dass alles käuflich ist, das wäre eine gute Folgerung aus Eurer heutigen Konfirmation. Sagt Nein, wenn Ihr für Geld Eure Familie in gemeinen Sendungen verraten sollt. Schaltet alle Sendungen ab, in denen Verwandte sich durch den Dreck ziehen. Sagt Nein, wenn Ihr Euch öffentlich herabwürdigen sollt. Ihr gebt für ein paar Mark verwahrlosten Zuschauern das Recht, sich über Euch erhaben zu fühlen. Sagt Nein, wenn man Euch mit Berühmtheit ködert, wenn Ihr Eure Seele, Euren Körper oder Euer Bild verkauft. Das, was Ihr verliert ist wertvoller als die dreißig Silberlinge, mit denen sie Euch entlohnen.

Jesus Christus will Euer Freund sein. Er will Euch einen Geist schicken, der Euch stärkt, wenn Ihr Euch ärgert, dass Ihr Euch nicht verkauft habt. Wir leben in einer bestechlichen Zeit und wir Erwachsenen sind für Euch nicht immer das beste Vorbild. Aber es wird jeden Tag wichtiger, sich nicht von denen fressen zu lassen, die behaupten, ihr Reichtum mache sie zu guten Menschen. Auch wenn die letzte Großmacht dieser Erde manchmal bei ihren Kreuzzügen Jesus Christus und ihre Dollars verwechselt:

Haltet Euch an Jesus Christus und nicht an den Dollars fest, das ist der Wunsch Eurer Gemeinde, das ist der Wunsch unserer lieben evangelischen Kirche an Euch, heute am Tag Eurer Konfirmation. Gott schenke Du uns allen herzliche Liebe zu Dir, weil DU in Jesus Christus zu uns kommst, denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.