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Am Sonntag Miserikordias Domini, 4. Mai 2003 hielt Ralf-Andreas Gmelin eine Predigt zum Motiv des Guten Hirten, wie es das Johannesevangelium im 10. Kapitel vorstellt.

Das Johannesevangelium lässt uns die Worte hören, mit denen sich Jesus Christus als unser guter Hirte vorstellt: (Joh 10,11-30)

Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist,  dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verläßt die Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie -, denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird eine Herde und ein Hirte werden. Darum liebt mich mein Vater, weil ich mein Leben lasse, daß ich's wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. Dies Gebot habe ich empfangen von meinem Vater. … Aber ihr glaubt nicht, denn ihr seid nicht von meinen Schafen. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.

Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Aus welchem Stall kommen Sie? Jesus spricht es an, dass seine Herde aus verschiedenen Ställen kommt:
Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muß ich herführen.
Wir könnten darüber spekulieren, ob wir das anwenden dürfen auf die verschiedenen christlichen Konfessionen. Oder sogar auf die Weltreligionen? Gehören zur Herde Gottes auch Muslime und Buddhisten? Ich möchte mich auf das naheliegende beschränken: Auf uns Christen hier in Deutschland. Auf die so unterschiedlichen Ställe, aus denen wir uns zur Herde Jesu Christi zugesellen.

Gerade in dieser Woche wurde eine Untersuchung veröffentlicht, wie religiös die Deutschen seien. 39 Prozent aller deutschen bezeichnen sich als religiös. Bin ich eigentlich religiös? Sind Sie religiös? Sie sind immerhin heute morgen in die Ringkirche gekommen. Also Ja : Sie sind religiös.

22 Prozent aller Deutschen glauben, auf Religion verzichten zu können. Das glaube ich auch. Man kann auf Religion verzichten. Aber ich glaube auch, dass dadurch unser Leben ärmer wird. Oder im Bild der Schafherde: Irgendwo mit den anderen 80 Millionen Deutschen mitschwimmen, dazu braucht es keine Religion. Religion heißt wissen wollen, wer der richtige Hirte ist. Heißt hinschauen, wo die falschen Propheten stehen und heißt die Geister scheiden. Keine Religion haben heißt, sich keine Gedanken machen, woher mein Leben kommt, wohin es driftet, sondern sich damit bescheiden, sich die Frist zwischen Geburt und Tod ein bisschen nett zu machen. Das geht. Aber ist das gut?

Der Zeitungsbericht gab sich überrascht, dass nur drei Viertel aller Katholiken die Gottesfrage mit ja beantwortet. Gibt es Gott? Ein Konfirmand des letzten Jahrgangs hat mit tiefem Bedauern mein Schicksal als Pfarrer so bezeichnet: Da müssen Sie ja an Gott glauben! Und er hat nicht unrecht. Wenn ich ein schlichtes Nein auf die Frage nach Gott sprechen müsste, dann würde ich mich hier oben auf der Kanzel sehr unwohl fühlen. Ich kann mir Schöneres vorstellen, als mit wohlgesetzter Heuchelei die Leute an der Nase herum zu führen. Aber Glauben heißt nicht, dass es keinen Zweifel gibt. Und Glaube und Zweifel zusammen bedeuten, dass ich um Gott ringe. Es herrscht nicht immer das innigste Verhältnis zwischen mir und Gott. - Aber dazu muss es ihn für mich geben. Also doch: Ja, ich glaube, dass es Gott gibt.

Wir stellen fest: Im Stall der Christen gibt es unterschiedliche Boxen: Die Boxen derer, die Gott für eine Tatsache halten und die, die ihn vielleicht für eine nützliche Annahme halten. Schlimm  steht es in der evangelischen Kirche um Ostern - wenn die Umfrage stimmt: Nur 27 Prozent gehen von einer Auferstehung der Toten  aus. Das heißt, die gewaltige Hoffnung, die das Christentum innerhalb weniger Jahrhunderte weltweit ausgebreitet hat, diese gewaltige Hoffnung ist statistisch in der evangelischen Christenheit in Deutschland winzig klein. Vor meinem Auge steht ein kleiner Stall, so ein richtiger ärmlicher Stall von Bethlehem. Kurz nach Ostern kein besonders ermutigender Gedanke, dass zwei Drittel von uns  - statistisch - die Auferstehung höchstens für ein altes Märchen halten. Das wäre vielleicht weniger schlimm, wenn das Christentum nicht geradezu mit der Auferstehungshoffnung identisch wäre. Paulus schrieb in einem Brief an die Gemeinde in Korinth: (1.Kor 15,12-17)
Wenn aber Christus gepredigt wird, dass er von den Toten auferstanden ist, wie sagen dann einige unter euch: Es gibt keine Auferstehung der Toten? Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes befunden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, wenn doch die Toten nicht auferstehen."

Ohne Auferstehung und ohne Auferstehungshoffnung stehen alle Kirchen dieser Welt sinnlos herum und alle Pfarrer und Prediger erzählen Unsinn. Von Paulus würden sie dann als „falsche Zeugen“ benannt, schlicht als Schwindler. Christ ist erstanden. Das ist das Herzstück christlichen Glaubens. Ohne dies ist alles andere ziemlich unwichtig und zweitrangig. Warum ist unsere Hoffnung so winzig? Trotz Taufe und Konfirmandenunterricht, trotz einem geregelten Religionsunterricht, trotz flächendeckender Gottesdienste in unseren Städten und Dörfern? Was bleibt bei Euch, Konfirmandinnen und Konfirmanden von diesem Konfi-Jahr, übrig, wenn es am 1. Juni vorbei ist? Verschwindet Ihr spurlos aus der Kirche? Verschwindet der Glaube spurlos aus Eurem Denken und Empfinden?
Hat Euch in diesem Jahr überhaupt etwas erreicht, was in Euch die Überzeugung wach gerufen hat: Es ist gut, zu der Herde Jesu Christi zu gehören? Jesus Christus hat uns versprochen:
"Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe. … Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater."

Ich wünsche uns allen, dass wir die Größe dieses Versprechens wahrnehmen. Dass wir das Geheimnis von Karfreitag und Ostern ernst nehmen und dass wir uns erkennen als wache Mitglieder der einen Herde Jesu Christi - egal in welchem Stall wir stehen.
Gott schenke Du uns solches Vertrauen auf DICH als unserem Guten Hirten, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.