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Am Karfreitag geht die Predigt von Ralf-Andreas Gmelin von der Passionsgeschichte aus, die der Evangelist Johannes erzählt:

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Jesus Christus stirbt am Kreuz. Berührt Sie seine Geschichte? In einem Jahr, in dem es so vielfältiges Leiden gibt? Die rätselhafte Lungenkrankheit, der schon viele zum Opfer gefallen sind. Der genannte Krieg im Irak, auf dessen beiden Seiten Hunderte ihr Leben gelassen haben. Diese vielen kleinen schmutzigen Kriege, über die niemand spricht, von deren Opfer niemand etwas hört. Der Sicherheitsbeauftragte eines Lokals in Netania in Israel, der mutig den Attentäter vor die Tür holte und von ihm in die Luft gesprengt wurde. Ihm wäre nichts passiert, wenn er den Terroristen einfach in das Lokal gelassen hätte. Er gab sein Leben für die anderen.

Aber wir denken heute am Karfreitag an den einen, an Jesus Christus.

Seine Geschichte wird uns nicht berühren, wenn wir nicht glauben, dass es etwas Besonderes damit auf sich hat. Dass einer in den Tod geht für seine Idee, für seine Freunde, für die Staatsraison seiner Feinde, das kommt auf unserer Erde ständig vor. Das wurde den Soldaten abverlangt, die auf beiden Seiten des Irak-Krieges kämpfen mussten. Das wird deutschen Soldaten abverlangt, die in Kabul im wieder vergessenen Afghanistan Dienst tun und dort täglich erheblichen Gefahren ins Auge sehen müssen. Leiden und Sterben ist auf einer Erdkugel mit sechs Milliarden Menschen wahrlich keine Seltenheit.

Den Unterschied zwischen dem vielfältigen Leiden und Sterben von Menschen zu der Passionsgeschichte Jesu ist, dass wir von Jesus Christus glauben, dass ER dieses Schicksal auf sich genommen hat, um ein für alle Mal stellvertretend für uns Menschen das Verhältnis von Mensch und Gott zu verändern.Unser Glaube macht das Leiden und Sterben von Jesus Christus zu einem Ereignis, das völlig herausfällt aus den sonstigen Beispielen von Leiden und Sterben von Menschen.

Welchen Sinn hat dieses Opfer von Jesus Christus? Warum soll Gott Blut fordern, um das Verhältnis von Gott und Mensch zu erneuern? Es gibt gerade in der evangelischen Theologie eine Strömung, der das Wort von Leiden, Kreuz und Tod ein Ärgernis ist. Eine Richtung, die die Vorstellung von dem Opfer, das Jesus Christus für uns auf sich nimmt, ablehnt.

Die Quittung hat der Protestantismus gestern aus Rom bekommen: Im Hinblick auf die Abendmahlsfrage haben sich der Papst und sein Glaubenswächter Ratzinger einmal mehr als Kühlaggregate für eine ökumenische Eiszeit erwiesen. Letztlich handelt die gegenwärtige römische Kirchenregiment in dogmatischen Fragen ähnlich wie der von ihm bekämpfte amerikanische Präsident im Irak: Die Rechthaberei wird weiter getrieben, auch wenn es selbst Freunden peinlich und unerträglich ist. Nur dass die Waffen die Vatikan aus Papier sind; Verletzungen bringen auch sie bei!

Aber einen Teil der Schuld trägt auch ein zersplitterter Protestantismus, der nicht nur im Hinblick auf das Abendmahl, sondern auch im Hinblick auf Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus meint, man könne sich nur die gesellschaftspolitisch korrekten Rosinen aus dem Teig des Neuen Testaments klauben und die schweren, unbegreiflichen und blutigen Tatsachen als archaisches Märchen abtun. Da müssen sich die evangelischen Kirchen von orthodoxer und von römischer Seite die Frage gefallen lassen, was an ihnen noch Kirche ist, wenn sie nicht einmal mehr die Verbindlichkeit des Neuen Testaments akzeptieren. Auf Luther kann sich ein solcher Protestantismus jedenfalls nicht beziehen. „Das Wort sie sollen lassen stahn“ heißt es in der vierten Strophe von „Ein feste Burg“. Und das ist ein Vermächtnis des alten Luther, das im heutigen Protestantismus gehört werden sollte.

Damit steckt die evangelischen Kirchen eben da, wo die Evangelien den Sinn von Leiden und Sterben Jesu sehen: Jesus ist in den Evangelien ständig einer Versuchung ausgesetzt. Hier erweist er sich wirklich als wahrer Mensch und wahrer Gott. Wahrer Mensch ist er, weil er versucht wird wie alle Menschen. Er wünscht sich im Keltergarten am Ölberg, in Gethsemane, das der Kelch des leides an ihm vorüber gehen möge. Hier ist er uns Menschen sehr nahe. Aber als wahrer Gott erweist er sich, weil er sich niemals davon abbringen lässt, was Gott von ihm wünscht. Ihm auf diesem Weg nachfolgen heißt daran glauben, dass Gott den Weg für die Welt weiß, dass er ihn mitteilt, indem er uns seinen Willen offenbart und dass wir den göttlichen Willen suchen und finden können.

Es fällt uns Geschöpfen der Leistungsgesellschaft schwer, Jesus Christus auf dem Weg nach zu gehen: Uns nicht auf unsere Schlauheit zu verlassen, nicht auf unsere Fähigkeit, alles in den Griff zu kriegen, sondern darum zu bitten, dass Gott uns seinen Weg zum Guten zeigt. Viele von uns leiden schon unter dieser Vorstellung. Und hier beginnt eine Leidensgeschichte des Glaubens, die uns nahe zu dem führt, der uns mit seinem Leiden und Sterben ein Vorbild geworden ist, wie es der1.Petrusbrief aussagt (2,21): „Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, daß ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen.-

Lass uns Dir nachfolgen, DU unser Herr und Erlöser, Jesus Christus, gib uns dazu Mut und Kraft, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.