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Am Palmsonntag, dem letzten Sonntag in der Passionszeit ging Ralf-Andreas Gmelin von der Palmsonntagserzählung aus, wie sie das Johannesevangelium erzählt:

„Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war, hörte, daß Jesus nach Jerusalem käme, nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und riefen: Hosianna! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn, der König von Israel! Jesus aber fand einen jungen Esel und ritt darauf, wie geschrieben steht: »Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.« (Sacharja 9,9) Das verstanden seine Jünger zuerst nicht; doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran, daß dies von ihm geschrieben stand und man so mit ihm getan hatte. Das Volk aber, das bei ihm war, als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte, rühmte die Tat. Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte, er habe dieses Zeichen getan. Die Pharisäer aber sprachen untereinander: Ihr seht, daß ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.“

Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Jerusalem 2003. Etwas länger als eine Woche ist es her, dass wir versuchen, zum Tempelberg zu gelangen. Am Fuße der Treppe gegenüber der Westmauer versperrt ein Gebäude der Sicherheitskräfte den Weg. Der Rucksack wird abgeschnallt, er läuft durch ein Röntgengerät, mittlerweile routiniert, weil dieses ganze Land aus Durchleuchtungsgeräten und Metalldetektoren zu bestehen scheint. Um das Taschenmesser nicht suchen zu müssen, lege ich meine Weste mit auf das Förderband und lege mein Portemonnaie in ein Plastikschälchen. Nach der Sperre und nachdem der Metallfühler an mir entlang geführt wurde ohne zu Piepsen, stehe ich auf dem Platz vor dem Tempelberg. Es ist Freitag, der Feiertag der Muslime, die dort oben eine große Moschee und ein Heiligtum unterhalten. Es wimmelt von Polizei und Sicherheitskräften. Über der Altstadt schwebt eine Spionageballon, der jede Bewegung von oben registriert. Ein Teil der Altstadt, zu der sich der Tempelvorplatz öffnet, ist von Sicherheitskräften gesperrt. Auch an anderen Tagen werden von der israelischen Polizei nur erkennbare Muslime auf den Tempelberg gelassen. Es heißt nur lakonisch: Er ist geschlossen!

Irgendwie schwer vorstellbar, dass da fast 2000 Jahre früher ein einfacher Mann aus der nördlichen Provinz in die Stadt geritten kam. Ohne Pass, ohne Papiere, ohne Sicherheits - Check, ohne Leibwache, ohne Leibesvisitation. Einfach ein Mensch, auf einem billigen Tragtier. Einer, der nichts aus sich macht. Einer der nicht herumprotzt. Einer, der nicht klug ist wie eine Schlange, sondern der in die Stadt kommt, obwohl er weiß, dass er hier wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt wird.

Jesus wäre nach der Erzählung des Johannes von Bethanien in das damalige Jerusalem gekommen. Vielleicht durch die Vorgängerin des heutigen  Goldenen Tores im Osten, das zum Kidron-Tal hinabführt und direkt beim Tempelberg in die Stadt führt. Heute wäre er - mit oder ohne Esel - nicht an den Sicherheitskräften und ihren Schranken vorbei gekommen. Auch die Blätter der Dattelpalme, mit denen Jesus begrüßt wird, sind heute wie damals in Jerusalem eine Rarität. Da Jerusalem über 700 Meter hoch liegt, wachsen dort Dattelpalmen kaum. Die Menschen, die Palmblätter in der Hand hatten mussten es sich leisten können, sich welche zu kaufen. Zur Zeit Jesu scheint das wahrscheinlich. Dattelpalmblätter in Jerusalem stammten damals meist aus der Palmenstadt Jericho, einer Stadt, die heute im autonomen Palästina liegt und damit hinter einem eisernen Vorhang, der nur schwer zu durchdringen ist.

Wir wissen, wie die Geschichte in der Karwoche weiter geht. Sie geht nicht gut aus. Die von Römern besetzte Stadt ist im Unfrieden. Um die Ordnung aufrecht zu halten, werden Aufwiegler ans Kreuz geschlagen. Heute ist die von Unfrieden besetzte Stadt auch wieder von Unruhen durchzuckt. Diese Stadt, die von Juden, Muslimen und Christen als Symbol angesehen wird, diese Stadt, in der Juden, Muslime und Christen dem Rest der Welt zeigen müssen, wie ein friedliches Miteinander gelingt, diese Stadt liegt unter einem Schleier von Angst, Unmut, Hass und Gewalt.

Die Geschichte von Jesus, wie er unter dem Jubel der Menschen in Jerusalem einzieht, verwandelt den einfachen Menschen aus der nördlichen Provinz in einen gottgesandten Gesalbten. In einen  Menschen, der im Auftrag Gottes das tut, was Gott auf Erden will. In einen Menschen, der von Gott nicht zu unterscheiden ist.

Wo bin ich, wenn Jesus kommt? Sitze ich zu hause und habe viel zu viel meinem Alltag zu tun? Bin ich im Büro, weil ich echt zu viel Stress habe? Lasse ich mich nicht abbringen von dem, was ich mir für heute vorgenommen habe?

Oder gehe ich hin? Schmeiße ich meinen Alltag über Bord? Lasse ich meinen Job hinter mir? Überwinde ich meine Sorgen und Ängste?

Je größer die Sorgen und Ängste, desto weniger lasse ich mich auf ein Ereignis ein, das mein Leben verändert. Im Jerusalem des Jahres 2003 würde ich mich vielleicht selber von  Jesus fern halten, weil ich nicht wüsste, was daraus werden soll. Die damals am Straßenrand stehen, haben allerdings auch schon etwas riskiert: Sie haben ihren Alltag verlassen und haben damit den ersten Schritt getan. Sie haben aber mit ihrem Rufen, Hosianna sowohl die damaligen Tempelbehörden auf den Plan gerufen, die da keinen Spaß verstanden. Und sie haben die römische Besatzungsmacht aufmerksam gemacht, die am Ende mit Waffengewalt beseitigt hat, wer da voller Erwartung in die Stadt geleitet wird.

Ein Krieg im Mittleren Osten geht vielleicht langsam zuende. So lange das Töten, Plündern und Bombardieren nicht aufhört, ist es zu früh, von einem Frieden zu sprechen. In Israel hatten die Menschen in diesem Jahr Angst, mit irakischen Raketen von diesem Krieg getroffen zu werden.Dafür, dass die Angst in Israel nach gelassen hat, dafür können wir heute schon Gott danken. Ohne den Frieden in Israel wird es im Mittleren Osten keine positive Entwicklung geben, weder im Irak noch in den Nachbarländern Israels.

Dass ein Friede kommt, der Hass und Streit beendet, dass er in Jerusalem und in allen Städten der Welt die Gräben zwischen Juden, Muslimen und Christen, zwischen Armen und Reichen und zwischen unterschiedlichen Kulturen auffüllen wird, das ist eine Hoffnung, die in vielen Menschen wach ist. In vielen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Abstammung, ihrer Rasse, ihrer Sprache, ihrer Heimat und Herkunft, ihres Glaubens, ihrer religiösen oder politischen Anschauungen.

Als Christen wünschen wir uns, dass Christen an diesem Frieden einen Anteil haben, auch wenn wir wissen, dass Christen oft Verantwortung für Krieg und Gewalt übernommen haben, gerade im sogenannten „Heiligen Land“. In der Hoffnung, dass unser christlicher Glaube von seinen Abwegen abgekommen ist und heute kompromisslos den Frieden Gottes verkündigt, in dieser Hoffnung taufen wir auch kleine Kinder: Wir wünschen uns, dass Kinder wie Dominik ihren Beitrag zum Frieden leisten werden: Vielleicht im Kleinen, in der Familie und im Freundeskreis, vielleicht an Orten, wo viele Menschen etwas von solcher Friedfertigkeit haben. Wir wünschen Dominik, dass er bei der Suche nach Gottes Frieden von Gottes Engeln beschützt ist, dass sie ihn auf allen seinen Wegen behüten. Das wünschen wir auf unserer Erde allen, die für den Frieden kämpfen, an welcher Stelle auch immer. Gott schenke Du uns Friedfertigkeit, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.