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Am Zweiten Advent hielt Ralf-Andreas Gmelin eine Predigt, die von dem apokalyptischen Bild vom Kommen des Menschensohnes ausging, das das Lukasevangelium Lk 21,25-33 schildert:

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus.

Eine Geschichte aus dem Lukasevangelium führt uns zum Ende aller Zeiten und berichtet von Vorzeichen, die zuvor passieren werden: Im 21. Kapitel heißt es:

25 Das Kommen des Menschensohns
Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht. Und er sagte ihnen ein Gleichnis: Seht den Feigenbaum und alle Bäume an: wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es, so wißt ihr selber, daß jetzt der Sommer nahe ist. So auch ihr: wenn ihr seht, daß dies alles geschieht, so wißt, daß das Reich Gottes nahe ist. Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht. Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.

HERR; tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Die Kräfte des Himmels werden ins Wanken kommen!

Liebe Gottesdienstgemeinde,

eine schroffe Vorstellung vom Ende der Welt. Ein apokalyptisches Bild. Ziemlich weit weg: Ausgerechnet jetzt im freundlichen Advent so eine düstere Aussicht. Weit weg?

Der italienische Philosoph Umberto Eco unterschied 1994 in einem Buch „Apokalyptiker und Integrierte“, also Menschen, die mit einem radikalen Wechsel rechnen oder Menschen die Schritt für Schritt an ihrer Welt weiterarbeiten, damit sie immer ein bisschen weiter kommt. Zu welcher Sorte gehören wir, die Menschen am Ende des Jahres 2002? Umberto Eco, dessen apokalyptischer Kriminalroman „Der Name der Rose“ selbst ein großer Kinoerfolg geworden ist, hat sehr oft Kinofilme analysiert, weil sie einiges von unserer Gegenwart verraten. Wenn wir auf die großen Kinoerfolge unserer Zeit schauen, zeigt sich eine erhebliche Neigung zur apokalyptischen Weltsicht:

Die beiden größten Kino-Hits des vergangenen und des laufenden Jahres sind eben apokalyptische Geschichten: Die Kinoversion des erfolgreichsten Kinderbuches der Literaturgeschichte „Harry Potter“ hat einen apokalyptischen Inhalt: Lord Voldemort, ein dunkler Zauberer droht die ganze Welt mit Erpressung, Drohung, Mord und Verschwörung zu unterjochen. Die alte Welt mit ihren kleinen und großen Schwächen würde unter der Wucht seiner Bosheit untergehen. Der, der sich ihm entgegenstellt ist ein kleiner Junge, der mit Edelmut, Entschlossenheit und Tapferkeit gegen den Mörder seiner Eltern kämpft.

Das Vorbild für den Bildungsroman des Zauberlehrling Harry Potter ist der 1954 zum ersten Mal erschienene dreiteilige Roman von
John Ronald Reuel Tolkien, „Der Herr der Ringe“. Auch in diesem mythischen Abenteuerroman geht es um eine Apokalypse, um einen Weltuntergang: Die alte Welt von Mittelerde wird bedroht von Sauron, dem Herrn von Moria. Tolkien, der seit den dreißiger Jahren seinen Söhnen die Grundzüge dieser Geschichte erzählt hat, schreibt um die Wette mit seinem Oxforder Freund und Professoren-Kollegen - beide sind Professoren für englische Sprache - Clive Staples, „C.S.“, Lewis, der auch eine Serie von Kindergeschichten verfasst hat, die Narnia-Chroniken. Beide Autoren setzen sich in ihren Geschichten mit dem christlichen Glauben auseinander. Beide erzählen apokalyptische Geschichten, in denen hinter einer glatten, modernen und technisch sich entwickelnden Welt ein brodelnder Untergrund spürbar wird, in dem die Kräfte des Guten gegen die Mächte des Bösen ringen. Und beide sind bekennende Christen.

Gerade der „Herr der Ringe“ zeigt die Brüchigkeit unserer modernen Welt und erinnert sie an eine andere Geschichte, in der auch ernst damit gemacht wird, dass die Regeln der politisch gestalteten und verantworteten Welt nur die Kruste auf einer Wirklichkeit ist, die viel tiefer, leidenschaftlicher und hingebungsvoller ist, an die Geschichte von Leben und Tod des Jesus Christus. Eine religiös geprägte Sprache kennzeichnet auch den Umgang mit dem „Herrn der Ringe“. Schon in den Hippie-Tagen wurde der Roman zu einem zivilisationskritischen Kultbuch. Und zu der neuen Verfilmung lässt sich im Internet die Aussage finden: „Wir sind hoch motiviert durch die Leidenschaft und Hingabe der Online-Community, die einen sehr wichtigen Beitrag zum weltweiten Phänomen der "Herr der Ringe" Trilogie geleistet hat", sagt ein Vermarkter des Kino-Films: Leidenschaft und Hingabe der Internet-Gemeinde, das verrät schon durch seine Wortwahl eine Nähe zu religiöser Achtung.
Zum Teil sprechen aber schon manche Namen in Tolkiens Buch eine Sprache, die eine biblische Herkunft nahe legen. Die Retter der Welt, die den Ring des Bösen vernichten sollen, müssen durch die Minen von Moria. In Moria haben sie eine unheilvolle Begegnung mit einem feurigen Ungeheuer namens Balrog, das den Zauberer Gandalf in die Tiefe reißt.  Morija kommt auch in der Bibel vor: Es ist Abraham, der seinen Sohn Isaak in das Land Morija bringt, um ihn dort einem Menschenopfer zu unterziehen. Er hat ihn schon auf einen Scheiterhaufen gelegt, um ihn nach seinem Tod zu verbrennen, da bekommt er von Gott den Befehl, dass Menschenopfer verboten sind. In der jüdischen Legende wird das Land Morija mit dem Tempelberg des König Salomo gleich gesetzt: Also mit dem Zionsberg in Jerusalem. Das Feuer droht bei Abraham und Isaak den Menschen zu vernichten. Im Herrn der Ringe kommt das Feuerwesen aus den Tiefen des Berges, um Leben zu vernichten und reißt den Lebenden hinab in die Tiefe. Viele Namen im „Herrn der Ringe“ enthalten auch den Gottesnamen El, der im Alten Testament als kanaanäische Gottheit ebenfalls in vielen Namen steckt: Galadriel oder Elrond kommen im Herrn der Ringe vor, wie in der Bibel Nathaniel oder Bethel, Elija und auch der Beginn des Psalm 22, den Jesus am Kreuz spricht: Eli, Eli, lama asabtani, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

Tolkiens Familie konvertiert zur katholischen Kirche, als John Ronald acht Jahre alt ist. Er bleibt Zeit seines Lebens praktizierender Katholik. Und nicht nur das: Am 28. September 1931 kommt es zu ein langes Gespräch zwischen Tolkien und seinem Freund und Kollegen C.S. Lewis. Lewis berichtet später über dies Gespräch: „Als wir uns mit dem Motorrad zum Whipsnade-Zoo aufmachten, glaubte ich nicht, dass Jesus Christus Gottes Sohn sei. Als wir ankamen, glaubte ich’s.“

Während Tolkien, der überzeugte Christ und Missionar mit seinen Hobbit-Geschichten berühmt wird, wird der gebürtige Nordire C.S. Lewis einer der bedeutendsten Verteidiger des Christlichen Glaubens im 20. Jahrhundert. Seine Radiobotschaften während des Zweiten Weltkriegs sind berühmt und seine seit 1941 für die Zeitung geschriebenen „Screwtape Letters“ werden auch in deutscher Sprache noch immer neu aufgelegt: „Dienstanweisung für einen Unterteufel“ heißt diese witzige Psychologie des christlichen Glaubens und seiner Feinde aus der unteren Welt des Teufels. Was beide Engländer im Christentum entdeckt haben, zeigen ihre literarisch erschaffenen Welten. Tolkien sagte zu Lewis in einem Gespräch über seinen Herrn der Ringe einmal: „Da wir von Gott kommen, spiegeln unsere Mythen unvermeidbar einen Funken des wahren Lichts wieder, von Gottes ewiger Wahrheit, obwohl sie voller Irrtümer stecken.“

Der Erfolg, den „Der Herr der Ringe“ seit 50 Jahren auf dem Buchmarkt hat und seit einem Jahr auf der Kinoleinwand, zeigt, dass unsere Zeit den beiden englischen Freunden folgt in ihrer Begeisterung für ein apokalyptisches Bild von unserer Welt. Wo der Einzelne in vollem Ernst vor der Frage steht, wie er handeln soll, was gut ist oder böse. Die liberale Gleichgültigkeit, nach der alles gleich gültig und damit jede Entscheidung egal ist, sie gilt zwar offiziell als Ausdruck unserer Zeit. Aber in den Träumen, Mythen, Büchern und Filmen zeigt sich eine Sehnsucht, die auch junge Menschen heute erfüllt: Eine Sehnsucht, dass es wichtig ist, was ich selbst tue, dass ich einen Auftrag habe, der so wichtig ist, als hinge der Fortbestand der Welt davon ab.

Es ist die gleiche Sehnsucht, die für die Zeit des frühen Christentums charakteristisch ist. Weil die Menschen fest daran glaubten, dass ihr Leben verbunden ist mit Gottes Wiederkehr am Ende der Zeiten: „Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen. Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.“

Weil Jesus Christus kommt, weil er kommen wird wie das Weihnachtsfest langsam näher rückt, darum ist es wichtig, was wir empfinden, denken, sagen oder tun. Es ist egal, ob das Weltende morgen oder in 10.000 Jahren kommt. Jede Sekunde unserer Welt ist gleich weit von Gott entfernt.
Unser Leben gilt, was wir entscheiden ist von Bedeutung, Gut und Böse sind keine Märchen aus uralten Zeiten, denn Gott kommt zu uns, auf uns zu. Das ist die Botschaft des Advent und es ist eine kostbare Botschaft, die uns in ihrem Kern auch in den Werken von John Ronald Reuel Tolkien und Clive Staples Lewis begegnen.

Ja, komm, Herr Jesus Christus, denn Dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.