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Am 14. Sonntag nach Trinitatis geht es in der Predigt von Ralf-Andreas Gmelin um die Vorstellung, was wäre, wenn Morgen Jesus Christus wiederkäme. Anstoß ist der 1. Thessalonicherbrief (5,14-24):
 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRn Jesus Christus. Lasst uns hören auf die Worte der Heiligen Schrift, wie wir sie aufgezeichnet finden im 1. Brief an die Gemeinde in Thessaloniki (5,14-24):

Wir ermahnen euch aber, liebe Brüder: Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann. Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann. Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. Den Geist dämpft nicht. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles, und das Gute behaltet. Meidet das Böse in jeder Gestalt. Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.

HERR, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.

Liebe Gottesdienstgemeinde,
liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

nimm Dich ernst! Wirf Dich nicht weg! Mach Dir klar, dass Gott darauf schaut, was Du aus Deinem leben machst. Gott ist dabei keine Videokamera, die aus dem Vordach der Tankstelle kontrolliert, dass Du auch bezahlst, was Du tankst. Gott ist auch kein Türspion, der erst mal guckt, wer da vor seiner Himmelstür steht. Gott möchte auch kein Wachposten sein, der eifersüchtig seine Schwelle von störenden Elementen frei hält.

Der Gott des Friedens, der will uns in seine göttliche Sphäre ziehen. ER will uns „heiligen”, uns durch und durch aus dem Sumpf von blankem Materialismus, Egoismus und lebensverachtender Gleichgültigkeit ziehen. ER will uns bewahren: ER möchte, dass unser gesamtes Ich, unser Geist samt Seele und Leib unversehrt ist, ohne Verletzungen, zerstörerischen Erinnerungen und blankem Zynismus. Und bewahren heißt, ER möchte uns vor den falschen Illusionen unserer zeit schützen: Vor einem Geist, der nur noch dazu dient, mir einen Vorteil zu verschaffen, vor einer Seele, die ein Leben lang keine Rolle spielen darf, bis sie irgendwann krank wird und mich zerstört. Und vor einem Leib, der nicht als Hülle von Geist und Seele fest mit beiden verbunden ist, sondern der sich als King im Ring aufspielt, der mir Anerkennung verschaffen soll, auch dann, wenn ich für seine harmonische Gesundheit nichts tue.

Und das alte Bibelwort sagt auch unverblümt, was Gott damit verfolgt, wenn er uns diese große Aufgaben stellt: Wir sollen untadelig sein für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus.

Was ist, wenn Jesus morgen, am Montag kommt? Untadelig bin ich auf keinen Fall. Wo habe ich mir weh getan? Wo habe ich mich weggeworfen? Wo habe ich so gelebt, dass ich kein Gefäß Gottes mehr bin: Gott hat sein göttliches Leben in mich hineingelegt. Darum bin ich unendlich kostbar. Aber wie oft habe ich dieses Gefäß mit wertlosem Zeug gefüllt? Wie oft habe ich das Geschenk Gottes entwürdigt, um irgendwem zu imponieren, um irgendjemanden zu gewinnen, um eines kurzfristigen Vorteils willen?

Was ist, wenn Jesus morgen, am Montag kommt? Er kommt in die Schule. Hat auf dem Schulhof, in der Pause jemand auf ihn gewartet, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden? Hast Du Platz für ihn? Oder bist Du viel zu sehr konzentriert auf die Hackordnung: Ich möchte in meiner Klasse nicht ganz unten stehen und darum lass ich lieber einen anderen über die Klippe springen. Jesus kommt in die Schulstunde, evangelische Religion bei Pfarrer Gmelin: Störst Du mich da im Unterricht nicht? Habe ich Platz für Dich, wenn ich gerade mühsam versuche, den Schülerinnen und Schülern die letzten 2000 Jahre Christentum zu erklären?

Jesus kommt am Montag auf die Ringkircheninsel. Er sieht das Kreuz, das an ihn erinnert, er sieht ein Bauwerk, für das vor über 100 Jahren eine ganze Stadt ihre ganzes handwerkliches Geschick aufgeboten hat. Und er sieht unsere Ringkircheninsel von heute. Jesus geht die Rheinstraße hinunter zum Diakonischen Werk. Zum Dekanat und zur Gesamtgemeinde. Verwaltet Ihr mein Ja zum Leben? Oder verwaltet Ihr etwas ganz anderes? Hängt Ihr an mir, meiner Treue, die vor dem Kreuz nicht halt macht oder hängt ihr Euren Lieblingsideen nach, Eurer Anpassung an eine Welt, die schon lange nicht mehr will, was Gott möchte? Habt Ihr noch Mut, eine andere Botschaft zu verkündigen.

Wir ersparen es Jesus, in den Wahlkampfzeiten ins Rathaus, in den Wiesbadener Landtag oder gar in den Berliner Bundestag zu gehen.

Wir schauen lieber bescheiden auf uns selbst: haben wir den Mut, klar Stellung zu beziehen? Und die Frage zu stellen: Was sagst DU, Jesus dazu? Und halten wir auch DEINE Antwort aus?

Der 1.Thessalonicherbrief zeigt, was wir tun müssen, damit unser Leben so aussieht:
„Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch. Den Geist dämpft nicht. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles, und das Gute behaltet.”

Es gibt ein weitgehend totgeschwiegenes Buch von Ricarda Huch, der meines Erachtens größten Dichterin deutscher Sprache im 20. Jahrhundert. Es heißt: Der wiederkehrende Christus. Und es spielt den Gedanken in den zwanziger Jahren durch: Was wäre, wenn da plötzlich der Messias wieder da wäre?

Zu den Gründen, warum dieses Buch unbeliebt ist, gehört, dass es vielen anständigen Kräften, die freundliche Maske vom Gesicht zieht. Der Papst der römisch-katholischen Kirche, der sich in dieser Zeit darum bemüht, Anschluss an die Gegenwart zu bekommen, wird gnadenlos als mittelalterlicher Despot geoutet, dem Macht wichtiger ist als Glaube. So muss der Papst darüber befinden, ob Christus überhaupt der Christus ist. Er schickt einen Nuntius zu dem wiederkehrenden Christus und lässt prüfen, ob man mit diesem neu erstandenen Jesus verhandeln kann. Der Papst fragt den Nuntius, ob dieser neue Messias sich dem Prozess unterwerfen würde, nach dem er, der Papst, feststellen könne, dass er der wirkliche Messias sei. „Er unterwirft sich diesem Prozess überhaupt nicht” bekommt der Papst zu hören. Er hat, als ich ihm gelegentlich eine Andeutung darüber machte, darüber gelacht. „Sie mögen in Rom Heilige für Ihre Kirche machen, ausgestopfte Puppen, die man herumträgt, aber die lebendigen Söhne Gottes werden anders bestimmt. Ob ich von Gott gesandt bin, darüber entscheiden ich und mein Volk.” Der Papst kann nicht anders, als solche reden aufwieglerisch, lutherisch und bolschewistisch zu finden. Er hält den Messias für einen Teufelsknecht, der nach Schwefel stinkt. Aber auch die protestantische Geistlichkeit kommt nicht besser weg: Auch sie beteiligt sich am Inquisitionsgericht gegen den neuen, den wiederkehrenden Messias. Ausgerechnet ein Kommunist möchte den Messias gegen die Inquisition retten. Aber er soll Kommunist werden. Der wiederkehrende Christus lässt das aber bleiben. der Kapitalist und textilindustrielle, würde den Messias vor dem Tod retten, wenn er den Südsee-Völkern die Segnung von unverkäuflichen Strümpfen einimpfen würde. Auch darauf verzichtet der Messias. Am Ende wird er nicht gekreuzigt. Aber die führenden Kreise analysieren in gelehrten Abhandlungen, wie er zu seinen Erfolgen gekommen sei, während der Messias sich mit ein par Freunden in der schleierweichen Oktoberluft befindet, die man in der Heide findet, „das Feuer der Liebe im Herzen”.

Dass auch dem, der nach dem Kern des christlichen Glaubens sucht, das Feuer der Leibe im herzen ausgehen kann, das berichtet dieser ernste, aber zugleich witzige Roman von Ricarda Huch. Die große christliche Schriftstellerin lutherischen Bekenntnisses, die als erste Autorin eine klare Stellung gegen den nationalsozialistischen Ungeist in der Reichsschrifttumskammer bezog, sie beweist, wie wenig Jesus in ihre Zeit gepasst hätte. Auch in unsere Zeit passt er nicht. Um so mehr ist müssen Christen bereit sein, Positionen zu beziehen, die dem Rest der Welt abwegig vorkommen.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, ein Ziel unseres beginnenden Jahres ist, dass wir Euch vorleben, dass wir Mut haben, einen christlichen Standort in einer unchristlichen Zeit zu beziehen. Und dass wir Euch Mut machen, mutiger zu sein als die Erwachsenenwelt. Denn Gott will kompromisslos das Leben. Und seine Christenheit muss sich kompromisslos für das Leben einsetzen.

Gut, wenn wir uns alle anstecken lassen vom Mut eines Jesus Christus. Gib uns dazu ein offenes Herz, denn dein  Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.