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Am 5. Sonntag nach Trinitatis ging es in der Predigt von Ralf-Andreas Gmelin um die Frage, die ebenso die Gemeinde in Thessaloniki beschäftigte, wie sie heute von der aktuellen Ringkirchengemeinde zu beantworten ist:

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem HERRN Jesus Christus.

Lasst uns hören auf die Worte der Heiligen Schrift, wie wir sie aufgezeichnet finden im 2. Brief des Paulus an die Christen in Thessaloniki (2. Thessalonicher 3,1-5):

Weiter, liebe Brüder, betet für uns, daß das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch und daß wir erlöst werden von den falschen und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding. Aber der Herr ist treu; der wird euch stärken und  bewahren vor dem Bösen.Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, daß ihr tut und tun werdet, was wir gebieten. Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.

Herr, tu meine Lippen auf, daß mein Mund Deinen Ruhm verkündige.
 

Liebe Gottesdienstgemeinde,

Worin unterscheiden sich Christen von anderen Menschen? Sie sind getauft, sie gehören zur Kirche, die als „Gemeinschaft der Heiligen” bezeichnet wird, und ab und zu gehen sie in die Kirche, vielleicht heute am 5. Sonntag nach Trinitatis, vielleicht aber auch nur am Heiligen Abend. Und dann? Sind Christen anders? Sind Christen gar bessere Menschen?
Der Brief von Paulus nach Thessaloniki richtet sich genau auf diese Frage. Dort in der Gemeinde der Thessaloniker haben Leute aufgehört zu arbeiten. Das Reich Gottes kommt sowieso bald, was sollen wir uns da noch mit niederer Arbeit befassen?
Und da ist ja etwas dran: Wer das Reich Gottes ganz ernst nimmt, wer es besonders glühend erwartet, was soll der sich noch mit der Alltagsplage abgeben, die die anderen haben?

Paulus ist anderer Meinung; ziemlich hart heißt es bei ihm: „Wir gebieten euch aber, liebe Brüder, im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr euch zurückzieht von jedem Bruder, der unordentlich lebt und nicht nach der Lehre, die ihr von uns empfangen habt. Denn ihr wisst, wie ihr uns nachfolgen sollt. Denn wir haben nicht unordentlich bei euch gelebt, haben auch nicht umsonst Brot von jemandem genommen, sondern mit Mühe und Plage haben wir Tag und Nacht gearbeitet, um keinem von euch zur Last zu fallen.”

Thessaloniki ist überall, auch hier auf der Ringkircheninsel. Mich treibt seit Wochen die Frage um, wie wir als Kirchengemeinde mit den Freunden der Bierdose umgehen sollen. Sie sitzen hier um die Kirche herum, bemühen sich, ihre Bierbüchsen in die  Mülleimer zu stecken und fallen dennoch unter die „Brüder, die unordentlich leben”, wie Paulus sie nennt. Sie demonstrieren zwar nicht, dass sie die Ankunft des Reiches Gottes erwarten, aber sie demonstrieren jeden Tag öffentlich, dass man mit Hilfe der Sozialhilfe leben kann, ohne zu arbeiten. Paulus sagt, was er unter einer sozialen Ordnung versteht:
„Wir haben nicht unordentlich bei euch gelebt, haben auch nicht umsonst Brot von jemandem genommen, sondern mit Mühe und Plage haben wir Tag und Nacht gearbeitet.”
Die Botschaft des Evangeliums, die Frohe Botschaft, zu der gehört, dass die Ungerechtigkeit der Welt bald zu Ende sein wird, sie hebt den Umstand nicht auf, dass Menschen nicht auf Kosten der anderen leben sollen.

Dass ein Leben, das um die Bierdose kreist, kein ordentliches Leben im Sinne einer christlichen Sozialordnung ist, das ist damit klar. Nicht klar ist dann aber, wie man die Frage beantwortet: Wohin mit solchen Menschen, deren Leben sich um ihren Alkoholismus dreht und nicht um die Frage nach Ordnung und Gerechtigkeit im Sinne des Paulus?

Bei Paulus sind die „Brüder und Schwestern” ein Teil der Gemeinde. Paulus empfiehlt, sich von denen fernzuhalten, sich von ihnen zu trennen. Andererseits sollte Christen im Umgang mit sozial Schwachen noch etwas anderes einfallen, als sie polizeilich vertreiben zu lassen. Dieser Wunsch hebt aber die Sorge nicht auf, dass eine christliche Kirche nicht das Umfeld ist, in dem öffentlich die Unordnung eines alkoholisierten Alltags gelebt werden darf.

Die übergeordnete Frage ist, wie Christen Leben gestalten sollen. Dazu sagt Paulus den Leuten in Thessaloniki: „Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.” Liebe und Geduld. Das klingt bei unserem Beispiel zunächst eindeutig: Müssen wir nicht den Schwachen gegenüber die Liebe bewähren? Sollten wir nicht Geduld mit ihnen haben? Fordert uns das nicht ab, dass wir die Freunde der Bierdose hier auf unserer Ringkircheninsel eine Art Tagesasyl gewähren müssten?
Sicher erst einmal richtig. Aber gilt die Liebe und Geduld nicht auch für die anderen? Die, denen es Angst macht, wenn ein Haufen junger Männer im Weg sitzt, wenn sie auf der Ringkircheninsel vorbei möchten? Die, die jeden Tag acht Stunden für das Geld arbeiten müssen, das andere in Bierdosen investieren können, weil unsere Gesellschaft es ihnen ermöglicht?

Es macht oft unzufrieden, das aus der Perspektive des christlichen Glaubens keine schnelle eindeutige Antwort möglich ist. Der rasche Schuss aus der Hüfte ist nicht das Kennzeichen christlichen Lebens. Hören wir noch einmal auf den Ratschlag des Paulus:
„Weiter, liebe Brüder, betet für uns, dass das Wort des Herrn laufe und gepriesen werde wie bei euch und dass wir erlöst werden von den falschen und bösen Menschen; denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding. Aber der Herr ist treu; der wird euch stärken und  bewahren vor dem Bösen. Wir haben aber das Vertrauen zu euch in dem Herrn, dass ihr tut und tun werdet, was wir gebieten. Der Herr aber richte eure Herzen aus auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi.”

Wenn jetzt die Menschen leicht in die Schubladen „gut” und „böse” sortiert werden könnten, dann wären wir fein raus. Dann könnten wir guten Gewissens die Polizei rufen, die die Freunde der Bierdosen bereits von der unteren Schiersteiner Straße vertrieben hat. Die Tatsache, dass wir nun das Problem haben, beweist schon, dass dies offenbar nicht die Lösung war.
Ein selbstgerechtes: „Ich hab recht und die sind böse!” lässt sich aus dem Thessalonicherbrief nicht ablesen. Aber die Treue Gottes, das vertrauen darauf, das er uns eine Lösung zeigen wird, dass er uns auch die Energie gibt, nicht sorglos die Hände in den Schoß zu legen, das ist entscheidend.
Unser Herz soll ausgerichtet sein auf die Liebe Gottes und auf die Geduld Christi. Das dürfen wir bei den Alltagsfragen von Gott erbitten. Und das ist es, was Christen von anderen Menschen unterscheiden sollte: Dass sie nicht aus der Hüfte schießen mit ihrem Urteil, sondern darauf vertrauen, dass Gott ihnen helfen wird, eine Lösung zu finden, die mit der Liebe Gottes und der Geduld Christi übereinstimmt.

Sende Du uns in allen fragen, die uns als Christen fordern das Vertrauen in Deine Leitung, das bitten wir, denn Dein Friede, der höher ist denn alle Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo Jesu, Amen.