Predigt> Predigtarchiv


 

Am 1. Sonntag nach Trinitatis wurden die Konfirmanden 2002 konfirmiert: Manuel Werner, Walter Stolz, Paul Gaus, Sascha Kuhn, Glenn Mensah Benjamin Besier, Thorsten Hohmann, Andreas Müringer, Cathrin Schneider, Jacqueline Hübner, Kristina Hees, Saskia Kuhn, Jessica Lohr, Sabrina Fischer, Laura Pfeiffer, Lisa Witt, Jenny Sack, Cynthia Schwarztrauber und Nicole Stein. Die Einsegnung nahmen Sunny Panitz und Ralf-Andreas Gmelin vor. Gmelin hielt die folgende Konfirmationspredigt über das Schma Jisrael, das jüdische Glaubensbekenntnis aus dem 5. Buch Mose:

5. Buch Mose im 6. Kapitel. 4-9:
"Höre, Israel,
der HERR ist unser Gott, der HERR allein.
Und du sollst den HERRN, deinen Gott,
liebhaben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
Und diese Worte, die ich dir heute gebiete,
sollst du zu Herzen nehmen
und sollst sie deinen Kindern einschärfen
und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt
oder unterwegs bist,
wenn du dich niederlegst oder aufstehst.
Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein,
und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore."

Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.
 

Liebe Gottesdienstgemeinde,
liebe Eltern und Paten,
liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden

Eine merkwürdige, uralte Geschichte, die als Predigttext zu diesem 1. Sonntag nach Trinitatis vorgeschlagen ist. Sie ist ein Beispiel dafür, wie Menschen etwas dagegen tun können, Gott zu vergessen. Und damit ist diese alte Geschichte aus dem Alten Testament, aus der Hebräischen Bibel ein fast idealer Text für eine Konfirmationspredigt: Was folgt der Konfirmation?

Das große Vergessen? Ihr werdet morgen schon älter sein, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden: Ist dann morgen das, was heute hier in diesem Gottesdienst getan und gesagt wird, für Euer Ich von Morgen nur noch eine Kinderei? Nach der Devise: Da war ich ja noch klein?
Oder werdet Ihr morgen noch wissen, dass dieses Ich von heute immer ein guter Freund von Eurem Ich morgen bleiben will. Das geht nur, wenn Ihr behutsam mit Eurer Vergangenheit umgeht. Wenn Ihr auch behutsam damit umgeht, was Ihr heute versprecht.

Das große Vergessen spukt derzeit wieder einmal in der politischen Landschaft und sorgt für Spannungen und Streit. Es kann uns in diesem Gottesdienst egal sein, was aus den Auseinandersetzungen zwischen Möllemann und Friedman oder zwischen der F.A.Z und Martin Walser wird. Mein eigenes Gedächtnis hat mich in diesen Tagen zurückerinnert an den September 1972, als eine arabische Terrorgruppe namens „Schwarzer September” das olympische Dorf in München überfiel. Nicht der klägliche Befreiungsversuch, bei dem alle Geiseln umkamen, war mir ins Gedächtnis gekommen, sondern die Bemerkung meines damaligen Friseurs: „Die Judde solle uns doch endlich mal in Frieden lassen”. Als wären die Opfer die Täter. Mir fiel damals zu diesem antijüdischen Unfug nichts ein, aber es befremdet mich in diesen Wochen sehr, dass nicht ein Friseur, sondern ein Politiker, stellvertretender Vorsitzender einer demokratischen Partei eine solche merkwürdige Verdrehung von Täter und Opfer von sich gibt. Man muss sicherlich nicht jeden Zug der gegenwärtigen israelischen Militärpolitik für richtig und menschlich halten, aber eines können wir vom Judentum lernen: Gegen das Vergessen hat es eine hohe Kultur des Erinnerns entwickelt. Die jüdische Religion ist von Alters her eingeübt im Nicht-Vergessen. Und zu dieser Kultur gehört dieses Bekenntnis, das „Schma Jisrael”.
In unserer jüdischen Schwesterreligion ist jeder erwachsene Mann verpflichtet, dieses Glaubensbekenntnis zwei Mal am Tag zu sprechen:

"Höre, Israel,
der HERR ist unser Gott, der HERR allein.
Und du sollst den HERRN, deinen Gott,
liebhaben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und mit all deiner Kraft.
Und diese Worte, die ich dir heute gebiete,
sollst du zu Herzen nehmen
und sollst sie deinen Kindern einschärfen
und davon reden, wenn du in deinem Hause sitzt
oder unterwegs bist,
wenn du dich niederlegst oder aufstehst."

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
auch Ihr habt ein - allerdings etwas anderes - Glaubensbekenntnis gelernt, und einige von Euch haben auch gemerkt, wie schnell man die Details wieder vergisst: Wie war das im Zweiten Artikel? „Geboren von der Jungfrau Maria, gelitten, gestorben und begraben.” Genau, aber vorher fehlte noch dieses „Empfangen durch den heiligen Geist.” -
Das Vergessen hat vielleicht für manchen von Euch jetzt schon begonnen: Erst vergessen wir Worte, dann Sätze, dann geht es weiter. Zum Schluss gerät der in Vergessenheit gerät, für den wir diesen Gottesdienst feiern.

Der Konfirmationsgottesdienst ist ein Gottesdienst und er wird nicht für die Familie gefeiert, nicht für Eure Eltern, nicht für Eure Patenonkel und -tanten, sondern er wird als Gottes Dienst an und für Euch gefeiert. Die Grundaussagen dieses Konfirmations-Gottesdienstes heißen:
„Gott denkt an Dich.
Er hat Dich in Deiner Taufe bei Deinem Namen gerufen.
Gott möchte, dass Du Dich daran erinnerst.
Gott möchte, dass Du ihn nicht vergißt.”

- "Und du sollst sie binden zum Zeichen auf deine Hand, und sie sollen dir ein Merkzeichen zwischen deinen Augen sein, und du sollst sie schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore.
In der jüdischen Religion sind solche Merkzeichen als Gebetsriemen verbreitet. Mir persönlich würde es genügen, wenn jede und jeder von Euch beim Betrachten Eurer Hand überlegen würde: „Was möchte Gott, was ich mit meiner Hand tue?”
Wenn Ihr bei jedem Gedanken, den ihr fasst, den Einfall habt: „Würde Gott dieser Gedanke gefallen?” Und wenn Ihr schließlich jedes Mal, wenn Ihr zuhause durch die Tür kommt, die Frage in Euch spürt: „Herrscht bei uns zu Hause Gottes Friede - und was tue ich selbst für diesen Frieden unter uns?”
Ihr merkt: Wenn Ihr diese Geschichte aus der Bibel wirklich in Euer Leben hinein holt, dann wird es Euch nicht mehr gelingen, Gott zu vergessen.

Zwei herausragende Ereignisse gehören zu Eurer Konfirmandenzeit dazu, die miteinander zu tun haben. Ich meine nicht die Schießerei in einer Erfurter Schule, sondern den terroristischen Anschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, an einem Dienstag, an dem wir uns zu unserer Konfirmandenstunde getroffen hatten. Jetzt, am vergangenen Donnerstag, wurden mit einer Trauerkundgebung die Aufräumungsarbeiten beendet. Dabei läuteten um 10.29 Uhr in New York die Kirchenglocken.
Und ich denke, in direkter Verbindung zu diesem Ereignis stehen zwei Verabredungen zwischen den beiden feindlichen Machtblöcken des früheren Kalten Krieges: Sowohl die USA als auch die NATO haben mit Russland einen Vertrag abgeschlossen, der ihre neuen Beziehungen für das 21. Jahrhundert als eine Art Partnerschaft festschreibt. Russland und die USA wollen die gemeinsamen Anstrengungen im Kampf gegen die wechselseitigen Bedrohungen durch den internationalen Terrorismus verstärken.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
vielleicht ist Eurem Ich von Heute ziemlich egal, was Russen und NATO-Partner da miteinander verhandeln. Aber was diese Verträge besiegeln, ist, dass ein Faktor in die internationale Politik zurückgekehrt ist, den man längst abgeschrieben, längst vergessen, hatte: Die Religion.

Die NATO-Staaten und die Reste des Warschauer Paktes, die größte Militärallianz, die die Welt jemals gesehen hat, baut sich auf gegen den Terror, der aus den islamistischen Ideen stammt. Die gewaltigste Herausforderung der Zukunft wird auf der Ebene religiöser Vorstellungen stattfinden. Und Euer Ich von Morgen wird gefragt sein, damit umgehen zu sollen:
Werdet Ihr von Religion nur noch wissen, dass Ihr alles vergessen habt, womit Ihr Euch zum Beispiel dieses eine Jahr lang - mehr oder weniger begeistert - beschäftigt habt? Oder werdet Ihr einer Diskussion mit einem überzeugten Moslem nicht ausweichen müssen, weil Ihr wisst: „Ich habe meinen christlichen Glauben. Und der braucht sich vor Deinem nicht zu verstecken.” Es gab Zeiten, da gehörte der Glaube in eine gemütliche Sofaecke, harmlos und leicht verstaubt. Ihr werdet den Glaubensbekenntnissen von Menschen auf den Straßen begegnen, Ihr werdet noch viele Konflikte erleben, die immer auch damit zu tun haben, dass Menschen unterschiedlicher Religion so schwer mit einander sprechen können.

Für den Frieden unter Menschen hier in Deutschland und zwischen den Kulturen der Welt wird es entscheidend sein, dass auch und gerade Christen in der Lage sind, über ihren Glauben zu sprechen. Es ist schlimm, wenn Muslime unter uns den Eindruck gewinnen, dass Christen eigentlich an nichts glauben, dass ihnen ihre Familien völlig egal sind, dass sie nicht nach gut und böse fragen und dass es gähnend langweilig wird, wenn sie irgend etwas über ihren Glauben sagen sollen.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden:
Erinnert Ihr Euch an die Geschichte mit den Türpfosten?
"Und diese Worte, die ich dir heute gebiete,
die sollst du schreiben auf die Pfosten deines Hauses und an die Tore?"
Ich hatte Euch gesagt, dass das eine gute Erinnerungsstütze wäre, wenn wir jedes Mal an Gottes Frieden denken, wenn wir nach Hause kommen.
In Israel und in vielen jüdischen Haushalten, wird dieses Erinnerungszeichen ganz wörtlich genommen: Das alte Glaubensbekenntnis wird auf ein Pergamentblatt geschrieben und in eine Kapsel gesteckt, die am Türpfosten befestigt wird. Diese Mesusah wird beim Eintreten oder beim Herausgehen ehrfürchtig berührt, denn sie erinnert ja an Gott.

Über diese Mesusah gibt es eine kleine jüdische Geschichte:
"Der König Artabon schickte einst dem Rabbi Jehuda ein Geschenk - einen kostbaren Edelstein - , und er bat ihn, er möge sich dafür revanchieren und ihm auch ein Geschenk senden. Ein Geschenk, das der Rabbi für wertvoll hielte. Da schickte ihm der Rabbi eine Mesusah. Der König wunderte sich darüber sehr und fragte ihn: „Ich verstehe dich nicht. Ich habe dir doch einen teuren Edelstein geschickt, wie du ihn nirgends finden wirst. Du hast mir etwas geschickt, was nichts wert ist.” Da antwortete der Rabbi: „Mein Geschenk und Dein Geschenk lassen sich nicht vergleichen. Du hast mir ein Geschenk geschickt, das ich gut behüten muss. Ich habe dir ein Geschenk geschickt, das dich behüten wird.”

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
das Erinnerungszeichen wird dich behüten. Oder auch: Wenn du dich an Gott erinnerst, wenn du ihn nicht vergisst, dann behütet dich Gott. Dein Glaube ist keine Einbahnstraße, er bekommt eine Antwort.
Der Wert der Mesusah kann es mit jedem Edelstein aufnehmen.
Der Edelstein bleibt eine Einbahnstraße. Ich muss mich um ihn kümmern, ich habe Sorge um ihn und eines Tages ist er weg. Und sehr oft muss ich erkennen, dass mein Edelstein falsch war; ein raffiniertes Geglitzer ohne wirklichen Wert.
Dagegen ist die Erinnerung an Gott um so wertvoller, je länger sie dauert; weil ich mit Gott eine wertvolle Beziehung aufbaue, die länger hält als alle anderen Beziehungen in meinem Leben.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
ein Erinnerungszeichen für Euer Verhältnis zu Gott ist unsere Ringkirche. Immer wenn Ihr daran vorbei kommt, will sie Euch darauf aufmerksam machen, dass diese Beziehung zwischen Dir und Gott angefangen hat. Und ein solches Erinnerungszeichen ist auch der sonntägliche Gottesdienst.
Er will uns Christen darauf aufmerksam machen, dass das Leben nicht aus echten und falschen Edelsteinen besteht, sondern aus einem lebendigen Verhältnis zu Gott.
Ich wünsche Euch allen, dass Ihr in Eurem Leben Erinnerungszeichen entdeckt für Eure Beziehung zu Gott. Und dass Ihr solche Zeichen pflegt. Diese Zeichen sollen Euch daran erinnern an das alte Wort:

"Du sollst den HERRN, deinen Gott,
liebhaben von ganzem Herzen,
von ganzer Seele und mit all deiner Kraft."

Das ist das Herzstück der drei biblischen Religionen, Judentum, Christentum und Islam. Und es ist vielleicht der einzige Maßstab, mit dem sich die drei Religionen messen und vergleichen können: Haben ihre Angehörigen Gott lieb? Und geben sie diese Liebe an ihre Mitmenschen weiter?
Ich wünsche Euch, dass man es Euch anmerken wird, dass Gott mit jedem von Euch eine Geschichte begonnen hat, dass ER dafür sorgt, dass Ihr IHN liebhabt.
DU, Gott, beschütze unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden, alle alten und jungen Christen vor dem schädlichen Glanz falscher Edelsteine - und schenke uns Glauben gegen das Vergessen, denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo Jesu, Amen.